Ein Moment der Unachtsamkeit reicht: Heisses Wasser, Herd oder Grill – besonders Kinder erleiden schnell schwere Verbrennungen. Wie Eltern im Ernstfall richtig handeln und worauf sie bei der Vorbeugung achten sollten, erklären Rettungsdienstleiter Wladimir Gervasoni und Intensivmediziner und Chefarzt Dr. med. Thomas Böker-Blum vom Spital Lachen. Ihre Tipps können Leben retten – oder schlimme Folgen verhindern.
- Was ist das Wichtigste, das man in den ersten Sekunden und Minuten nach einer Verbrennung tun sollte?
- Ab wann spricht man von einer leichten, mittelschweren oder schweren Verbrennung – und woran kann ein Laie das erkennen?
- Welche Fehler passieren am häufigsten bei der Ersten Hilfe – und warum können sie gefährlich sein?
- Wie verhält man sich, wenn Kleidung brennt oder am Körper klebt?
- Wann sollte eine Verbrennung ärztlich behandelt werden?
- Welche Hausmittel sind gefährlich und sollten vermieden werden?
- Warum sind Verbrennungen bei Kindern besonders kritisch?
- Wie vermeidet man Infektionen bei Brandwunden?
- Welche Langzeitfolgen können schwere Verbrennungen haben?
- Wie werden Verbrennungen heute in Kliniken behandelt – was hat sich in der modernen Wundversorgung verändert?
- Wie kann man Verbrennungen im Alltag vorbeugen?
- Wenn Sie einen einzigen Ratschlag geben dürften: Was sollte jeder Mensch über den richtigen Umgang mit Verbrennungen wissen?
Was ist das Wichtigste, das man in den ersten Sekunden und Minuten nach einer Verbrennung tun sollte?
Wladimir Gervasoni: Das Wichtigste ist, die eigene Sicherheit zu beachten. Kann ich die Hitzequelle gefahrlos stoppen? Kann ich Flammen löschen und die betroffene Person aus der Gefahrenzone bringen? Wenn das nicht möglich ist, alarmieren Sie so schnell wie möglich die Feuerwehr. Wenn ja, soll danach heisse Kleidung, entfernt werden, sofern sie nicht an der Haut klebt. Die verbrannte Stelle soll mit lauwarmem Wasser (15–20 °C) für etwa 10 bis 20 Minuten gekühlt werden. Kaltes Wasser oder Eis sind ungeeignet – das kann die Haut zusätzlich schädigen und zur Unterkühlung führen.
Ab wann spricht man von einer leichten, mittelschweren oder schweren Verbrennung – und woran kann ein Laie das erkennen?
Wladimir Gervasoni: Leichte Verbrennungen erkennt man an einer geröteten, schmerzhaften Haut ohne Blasen, ähnlich wie bei einem Sonnenbrand. Bei mittelschweren Verbrennungen entstehen Blasen und stärkere Schmerzen, die Wunde ist feucht und hell. Schwere Verbrennungen zeigen sich durch weisse, braune oder gar schwarze, verkohlte Haut, oft ohne Schmerzempfinden, weil Nerven zerstört sind. Als Faustregel gilt: Wenn die Fläche mittelschwer verbrannt und grösser als die Handfläche des Patienten ist oder das Gesicht, der Hals, Gelenke oder Genitalien betroffen sind, sollte man sofort medizinische Hilfe holen. Bei schweren Verbrennungen muss unabhängig der Fläche immer medizinische Hilfe geholt werden.
Welche Fehler passieren am häufigsten bei der Ersten Hilfe – und warum können sie gefährlich sein?
Wladimir Gervasoni: Der Klassiker ist langes Kühlen mit Eis oder eiskaltem Wasser – das verschlimmert die Verletzung und kann zu Unterkühlung führen. Auch Hausmittel wie Zahnpasta, Öl oder Mehl sind tabu – sie verschliessen die Wunde, fördern Infektionen und erschweren die ärztliche Beurteilung. Wichtig ist ausserdem: Brandblasen nicht aufstechen und die betroffene Person insgesamt warmhalten.
Wie verhält man sich, wenn Kleidung brennt oder am Körper klebt?
Wladimir Gervasoni: Wenn Kleidung brennt: «Stopp – Hinlegen – Wälzen!». So wird der Sauerstoff entzogen und die Flammen erstickt. Nicht wegrennen – das verstärkt das Feuer. Wenn Ersthelfer eine Feuerlöschdecke griffbereit haben, kann der Betroffene bis zum Ersticken der Flammen darin eingewickelt werden. Klebende Kleidung niemals abreissen, sondern locker mit einem sauberen Tuch oder einer sterilen Kompresse abdecken und medizinische Hilfe anfordern.
Wann sollte eine Verbrennung ärztlich behandelt werden?
Dr. med. Thomas Böker-Blum: Grundsätzlich immer dann, wenn Blasen auftreten, die Verletzung grösser als die Handfläche des Patienten ist oder kritische Körperstellen betroffen sind – etwa Gesicht, Hände, Füsse oder Gelenke. Auch bei Kindern, älteren oder vorerkrankten Personen gilt: lieber einmal zu viel ärztlich abklären lassen als zu spät.
Welche Hausmittel sind gefährlich und sollten vermieden werden?
Wladimir Gervasoni: Zahnpasta, Öl, Butter, Essig oder Quark – all das gehört nicht auf eine Brandwunde. Diese Mittel erhöhen das Infektionsrisiko und machen die spätere Behandlung komplizierter. Am besten: vorsichtig kühlen, steril abdecken, ärztliche Hilfe aufsuchen.
Warum sind Verbrennungen bei Kindern besonders kritisch?
Dr. med. Thomas Böker-Blum: Kinderhaut ist viel dünner und empfindlicher. Schon wenige Sekunden mit heissem Wasser können tiefgreifende Schäden verursachen. Zudem verlieren Kinder schnell Körperwärme – das Risiko einer gefährlichen Unterkühlung ist gross. Und: Kinder reagieren oft mit Angst und Stress, was die Situation zusätzlich belastet.
Wie vermeidet man Infektionen bei Brandwunden?
Dr. med. Thomas Böker-Blum: Am besten gar nicht erst in die Wunde fassen. Hände sauber halten, nichts auftragen, keine Blasen öffnen. Später in der Klinik sorgen wir mit sterilen, feuchtigkeitsregulierenden Verbänden, regelmässigen Kontrollen und – falls nötig – antibiotischer Therapie für eine sichere Heilung.
Welche Langzeitfolgen können schwere Verbrennungen haben?
Dr. med. Thomas Böker-Blum: Neben Narbenbildung kann es zu Bewegungseinschränkungen, Sensibilitätsstörungen oder Pigmentveränderungen kommen. Häufig bleiben auch Schmerzen im Narbenbereich. Auch psychische Folgen sind möglich – etwa Angst oder wiederkehrende Bilder, Gerüche und sonstige Eindrücke des Unfalls. Darum gehört zur Behandlung heute immer auch eine interdisziplinäre Nachsorge mit Physio-, Ergo- und Schmerztherapie sowie eine psychologischer Begleitung.
Wie werden Verbrennungen heute in Kliniken behandelt – was hat sich in der modernen Wundversorgung verändert?
Dr. med. Thomas Böker-Blum: Spitäler arbeiten heute mit hochentwickelten, speziellen Verbandsmaterialien, die die Heilung fördern und Schmerzen reduzieren. Bei schweren Fällen kommen Hauttransplantationen oder moderne Hautersatzverfahren zum Einsatz.
Dank Fortschritten in der Intensivmedizin, Infektionskontrolle und Schmerztherapie sind die Überlebenschancen und die Lebensqualität nach schweren Verbrennungen deutlich gestiegen.
Wie kann man Verbrennungen im Alltag vorbeugen?
Wladimir Gervasoni: Die meisten Unfälle passieren zu Hause – besonders in der Küche oder im Bad. Also: Heissgetränke ausser Reichweite von Kindern, Kabel von Wasserkochern sichern, Bügeleisen nie unbeaufsichtigt lassen und Rauchmelder installieren. Während der Grillsaison ist auf die korrekte Anwendung von Brandbeschleunigern zu achten. Eine weitere Gefahrenquelle ist der Umgang mit Feuerwerk. Halten Sie sich an die Herstellerangaben.
Kleine Änderungen im Routineablauf und sich informieren verhindern oftmals grosse Katastrophen.
Wenn Sie einen einzigen Ratschlag geben dürften: Was sollte jeder Mensch über den richtigen Umgang mit Verbrennungen wissen?
Wladimir Gervasoni: Ruhig bleiben, Eigenschutz beachten, Hitze stoppen, lauwarm kühlen, nichts auftragen – und im Zweifel Hilfe holen.
Dr. med. Thomas Böker-Blum: Und ich darf ergänzen: Jede Minute zählt. Wer richtig reagiert und früh alarmiert kann bleibende Schäden verhindern – oft schon mit erstaunlich einfachen Mitteln.