Kavernome: Wie kann man die Gefässfehlbildungen im Gehirn erkennen und behandeln?

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Quelle: TCS MyMed
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Dr. Philippe Bijlenga, leitender Arzt und Privatdozent in der Abteilung für Neurochirurgie des HUG in Genf spricht mit uns über Kavernome.

Herr Dr. Bijlenga, was sind Kavernome?
Bei Kavernomen handelt es sich um angeborene Anomalien, um Fehler während der Gehirnentwicklung in der Embryonalphase, die dazu führen, dass bestimmte Gefässe im Gehirn, die sich zurückbilden müssten, fortbestehen.

Bedeutet das also, dass während unserer Entwicklung Gefässe auftreten, die «keine Funktion haben» und sich zurückbilden müssen?
Die Mechanismen bei der Gehirnentwicklung sind sehr komplex und uns noch nicht in allen Details bekannt, doch es ist richtig, dass sich im Laufe der Entwicklung je nach Spezies echte Veränderungen beobachten lassen.  Und beim Menschen bilden sich Gefässe, die sich kreuzen und sich normalerweise anschliessend zurückbilden müssen. Manchmal geschieht das nicht und es bleiben kleine unnötige Gefässe zurück.

Wo liegt der Ursprung von Kavernomen?
Es handelt sich um eine angeborene Fehlbildung, nicht zu verwechseln mit einer genetisch bedingten Fehlbildung. Wenn man sich das als eine Baustelle vorstellt, ist eine genetisch bedingte Fehlbildung ein Fehler im Bauplan. Sie können ihn zehn Mal nachbauen, derselbe Fehler wird zehn Mal auftreten. Im Gegensatz dazu ist eine angeborene Fehlbildung auf einen Fehler des Bauleiters zurückzuführen. Der Plan ist korrekt, aber in der Bauphase ist ein Fehler aufgetreten.

Sie treten also völlig zufällig auf?
Ja, in den allermeisten Fällen. Und sie betreffen Patienten beider Geschlechter gleichermassen. In sehr seltenen Fällen haben Kavernome eine genetische Ursache, die auf der Mutation von einem der drei bekannten Gene CM1, CM2 und CM3 basiert. In einem solchen Fall tritt nicht nur ein einzelnes, sondern eine grosse Zahl an Kavernomen auf. Hier ist der Ursprung genetisch und wird bei Kindern von Blutsverwandten begünstigt, etwa in Gesellschaften, in denen Familienmitglieder miteinander Ehen eingehen.

Stellen angeborene Kavernome eine Fehlbildung dar, die häufig auftritt?
Nein, Kavernome sind selten und betreffen nur 0,5 % der Bevölkerung. Die Kavernomatose mit genetischem Ursprung tritt sogar noch seltener auf und macht nur 10 % aller Fälle von Kavernomen aus. Doch man muss diese Zahlen relativieren, denn sie sind zweifellos deutlich zu niedrig angesetzt.

Weshalb?
Weil Kavernome in den meisten Fällen zu keinerlei Symptomen führen, man bemerkt gar nichts. Darum gibt es zweifellos deutlich mehr Fälle von Kavernomen als die, die wir kennen. Bei einer Studie mit Autopsien, die im Jahr 1989 durchgeführt wurde, waren nur 5 % der Kavernome zu Lebzeiten der Patienten diagnostiziert worden. Heutzutage liegt der Anteil vermutlich etwas höher, weil sie häufiger zufällig entdeckt werden. Zufällig entdeckte Kavernome werden bei Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren gefunden, die zur Aufklärung anderer Krankheiten heute viel öfter eingesetzt werden.

Stellen Kavernome eine Lebensgefahr für den Patienten dar?
Grundsätzlich nicht. Sie sind sehr harmlos und man kann sehr gut mit ihnen leben, ohne jemals Probleme zu haben. Alles hängt vom Alterungsprozess ab. Da die Wände dieser überzähligen Gefässe sehr fein sind, altern sie schlechter und es besteht ein Risiko, dass sie reissen. Doch meistens altern sie sehr gut und es treten keinerlei Probleme auf.

Sind die Folgen einer möglichen Ruptur schwerwiegend?
Das kommt ganz darauf an ... Im Allgemeinen nicht, die Ruptur führt nur zu einer sehr leichten, vorübergehenden Blutung, ähnlich wie bei den kleinen Gefässen, die durch eine Mikroblutung zu einem roten Auge führen, das von allein zurückgeht.

Also kein Zusammenhang mit Schlaganfällen?
In den meisten Fällen nicht. Allerdings können Komplikationen auftreten. Falls es beispielsweise zu mehreren Blutungen kommt, die im Bereich der Hirnrinde ungünstig liegen, kann dies sozusagen zu «Kurzschlüssen» führen, also zu epileptischen Anfällen, die sich mit der Zeit bei wiederkehrenden Anfällen zu einer epileptischen Erkrankung entwickeln können. Dann liegt ein Grund für eine Behandlung vor.

Ja, genau, ist eine Behandlung denn möglich?
Ja, man muss die Kavernome auf chirurgischem Weg entfernen, dann ist der Patient geheilt. Wenn sich die Blutung allerdings in einer tieferen Hirnregion befindet, kann sie zu einer Verformung führen, die selbst Symptome nach sich zieht. Diese verändern sich, wenn die lokale Druckbelastung steigt.

Kann man in einem solchen Fall trotzdem eingreifen?
Eine Läsion in den tieferen Hirnregionen kann dramatische Auswirkungen haben. In einem solchen Fall muss der Neurochirurg den richtigen Augenblick ermitteln und die richtige Technik anwenden, um die Hirnfunktionen des Patienten bewahren zu können, wenn man sich überhaupt für eine Operation entscheidet, nachdem man gewissenhaft alle Vorteile und möglichen Risiken bewertet hat.

Gibt es Alternativen zur Chirurgie?
Ja, aber diese Technik befindet sich noch in der Erprobungsphase. Die Grundidee ist, mithilfe einer Strahlentherapie eine Entzündung der Gefässwand zu erzeugen, damit diese daraufhin dicker wird. Doch bisher bleibt das reine Theorie. Die Wirksamkeit dieser Technik wurde noch nicht eindeutig und klar nachgewiesen.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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