Der Begriff Lebensmittelvergiftung bezeichnet Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, die durch den Verzehr von giftigen, verunreinigten oder bakteriell kontaminierten Lebensmitteln und Speisen verursacht werden.
Lebensmittelvergiftungen treten in den Sommermonaten gehäuft auf, da die Erhöhung der Aussentemperaturen die Vermehrung entsprechender Keime beschleunigt. Zudem sind die Kühlketten in dieser Zeit häufiger unterbrochen, zum Beispiel durch den Transport von Lebensmitteln in einem aufgeheizten Auto nach dem Einkauf im Supermarkt. Proteinreiche Nahrungsmittel wie Fleisch, Fisch oder Milch- und Eiprodukte sind dabei besonders anfällig für die Besiedlung durch Bakterien, weil sie einen ausgezeichneten Nährboden liefern.
Prof. Dr. med. Aristomenis Exadaktylos, Chefarzt und Klinikdirektor Universitäres Notfallzentrum (Inselspital Bern), zum Thema Lebensmittelvergiftung.
Herr Exadaktylos, warum leiden viele Menschen gerade während den Ferien im Ausland an einer Lebensmittelvergiftung?
Die Gründe sind vielfältig. Einer der Hauptgründe ist wohl, dass unser Magen-Darm-Trakt von unserer teils sterilen «Heileweltküche» sehr verwöhnt ist und wir auf Keime und Verunreinigungen ziemlich hilflos reagieren, beziehungsweise mit Erbrechen und Durchfall. Weiterhin sind uns Ess- und Verzehrgewohnheiten in fernen Ländern manchmal unbekannt, bzw. wir «überfordern» uns mit den vielen «exotischen» Köstlichkeiten.
Welche Symptome deuten auf eine Lebensmittelvergiftung hin?
Strenggenommen muss man zwischen Lebensmittelvergiftungen und Lebensmittelinfektionen unterscheiden. Bei Vergiftungen befinden sich die Gifte bereits in der Nahrung, wie z.B. bei Pilzen, dem berüchtigten Kugelfisch oder dem Botulingift. Bei Infektionen dagegen handelt es sich um Mikroorganismen, wie Bakterien, Viren oder Parasiten, welche erst mit Verzögerung im Magendarmtrakt «zuschlagen». Die Symptome sind sehr unterschiedlich, jedoch kommt es bei Vergiftungen, zu denen auch der berüchtigte Botulismus gehört, schlagartiger zu Symptomen, da das Gehirn und das Nervensystem direkt angegriffen werden. Bei Infektionen ist von Erbrechen bis Durchfall – oder einer unangenehmen Kombination von beidem – alles möglich.
Sie haben das Botulin erwähnt. Was ist das?
Wir alle kennen es als medizinisches Präparat, oder den potenten Nervenglätter Botox, welcher aus Stämmen ebendieses Erregers gezüchtet wird. Die Lebensmittelvergiftung heisst Botulismus. Das von diesem Keim produzierte Gift zählt zu den stärksten Giften und kann unbehandelt zu Lähmungen des Nerven- oder Atemsystems und zum Tod führen. Es wächst in leicht saurem oder neutralem Umfeld ohne Sauerstoff, wie z.B. in Konserven. Deshalb Finger weg von überlagerten oder aufgeblähten Konserven. Diese Vergiftungen sind jedoch selten. Der Name kommt übrigens vom lateinischen Wort Botulus, was Wurst bedeutet, da es früher häufig bei Fleischvergiftungen beobachtet wurde. Es ist aber aufgrund der heutigen Hygienevorschriften sehr selten geworden.
Wann sollte man einen Arzt oder gar die Notfallstation aufsuchen?
Die meisten Komplikationen entstehen durch andauerndes Erbrechen und Durchfall ausgelöste Elektrolyt- und Wasserverluste. Vor allem in heissen Ländern wird dieser Zustand noch verschlimmert. Säuglinge, Kleinkinder, Senioren und Personen mit einem schwachen Abwehrsystem, aber auch chronisch kranke Menschen, sollten deshalb nach 24 bis maximal 48 Stunden einen Arzt oder die Krankenstation aufsuchen. Absolute Alarmsignale sind z.B. sehr hohes Fieber, verminderte Ansprechbarkeit, Sprach- oder Sehstörungen, blutiges Erbrechen und Durchfälle.
Wie wird eine Lebensmittelinfektion behandelt und kann sie lebensgefährlich werden?
Je nach Ursache ist von Flüssigkeitszufuhr bis zu Antibiotika alles möglich. In den meisten Ländern sind isotone Sportlerdrinks im Supermarkt erhältlich. Wenn diese nicht zur Hand sind, so kann man sich auch selber einen herstellen. Eine selbst hergestellte Rehydrierungslösung besteht aus 1 Liter Wasser, 8 gestrichenen Teelöffeln Zucker und 1 gestrichenen Teelöffel Salz. Schmeckt nicht besonders gut, hilft aber. Man kann auch Orangensaft daruntermischen, aber bitte keinen frischgepressten vom Obsthändler um die Ecke. In extremen Fällen, vor allem bei Vergiftungen oder bei den obengenannten Risikogruppen, kann es zu schweren Gesundheitsschäden kommen.
Sollte man Antibrech- oder Antidurchfallmittel nehmen ?
Die Antwort heisst nein, ausser der Arzt hat es verordnet oder man muss auf einer Reise unbedingt «durchhalten». Eine längere Einnahme ist absolut nicht zu empfehlen, da diese Mittel die «Gifte» nicht neutralisieren, sondern den Magendarmtrakt lahmlegen und somit lediglich den Abfluss verstopfen. Was das bedeutet, kann sich ja jeder selber ausmalen.
Man hört immer wieder, dass auf Kreuzfahrtschiffen beinahe alle Passagiere und auch die Besatzung erkranken – was ist da los?
Es handelt sich dabei in der Regel um Ausbrüche von Noroviren, welche sich nach dem Prinzip «kleine Ursache grosse Wirkung» enorm schnell verbreiten können und zu Erbrechen und Durchfall führen – und so in kurzer Zeit ein ganzes Kreuzfahrtschiff infizieren und die Infrastruktur lahmlegen.
Wie kann man sich am besten vor einer Lebensmittelvergiftung schützen?
In Europa sind schwere Fälle selten. Sonst gilt: Erhitzen, erhitzen, erhitzen und zwar für mehrere Minuten über 100 Grad. Ansonsten den gesunden Menschenverstand beim Geniessen nicht vergessen und auf die Hygiene achten. Dann steht dem Feriengenuss nichts entgegen.
Lebensmittelvergiftung durch Bakterien-Toxine
In den meisten Fällen stammen die Giftstoffe, die eine Lebensmittelvergiftung auslösen, von Bakterien. Die sogenannten Enterotoxine entfalten im Magen-Darm-Trakt ihre schädigende Wirkung. Besonders häufige Produzenten solcher Toxine sind die folgenden Bakterien:
Salmonellen
Es sind über 2000 verschiedene Arten von Salmonellen bekannt, die eine Lebensmittelvergiftung auslösen können. Salmonellen werden meist über rohe oder nicht ausreichend erhitzte tierische Nahrungsmittel aufgenommen. Vor allem der Verzehr roher Eier stellt ein hohes Gefahrenpotenzial dar.
Campylobacter
Das Bakterium Campylobacter findet sich vor allem in nicht ausreichend erhitztem Geflügelfleisch und Produkten aus rohen Eiern. Es kann durch das Kochen von Lebensmitteln abgetötet werden.
Shigellen
Shigellen treten gehäuft in warmen Gebieten mit unzureichenden Hygienestandards auf, wo es durch Fäkalien oder Abwasser zu einer Verunreinigung von Lebensmitteln oder Trinkwasser kommt. Eine durch Shigellen verursachte Lebensmittelvergiftung muss von einem Arzt behandelt werden.
Yersinien
Die Übertragung des Bakteriums Yersinia geschieht meist durch den Kontakt mit infizierten Tieren oder den Verzehr kontaminierter tierischer Lebensmittel. Die Krankheitsdauer beträgt zwischen einer und zwei Wochen.
Escherichia coli
Das Bakterium Escherichia coli ist vor allem in rohem Rindfleisch und Rohmilch zu finden. Auch eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist möglich. Kleine Epidemien einer Lebensmittelvergiftung durch E. coli treten beispielsweise häufig in Kindergärten auf.
Staphylokokken
Staphylokokken können zum Beispiel von der Handoberfläche in Lebensmittel gelangen. Sie lassen sich durch Erhitzen der Speisen nicht abtöten.
Listerien
Listerien sind unter anderem in tierischen Lebensmitteln wie Rohmilch, Weichkäse (zum Beispiel Roquefort und Brie) oder rohem Fleisch zu finden und können sich auch in Vakuumverpackungen vermehren. Selbst sehr niedrige Temperaturen (etwa im Kühlschrank) hemmen nicht das Wachstum dieser Bakterien und bieten damit keinen Schutz vor einer Listerien-bedingten Lebensmittelvergiftung. Schwangerschaft stellt einen besonders gefährlichen Zeitpunkt für eine Listerien-Infektion dar: Der Erreger kann nämlich von der Mutter auf das Ungeborene übertragen werden und eine Fehl- oder Totgeburt verursachen.
Clostridium botulinum
Dieses Bakterium wird erst bei Temperaturen über 100 Grad Celsius abgetötet. Ein Hinweis auf eine Kontamination von Lebensmitteln mit Clostridium botulinum sind aufgeblähte Verpackungen. Auch selbsteingelegtes Obst und Gemüse ist eine potenzielle Gefahr. Clostridium botulinum löst eine schwere Form von Lebensmittelvergiftung aus. Dieser sogenannte Botulismus kann das Nervengewebe schädigen und muss immer von einem Arzt behandelt werden.