Proteinpulver: Wundermittel oder überflüssige Ergänzung?

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Proteinpulver
Proteinpulver
Quelle: TCS MyMed

Proteinshakes sind aus Fitnessstudios und Supermarktregalen nicht mehr wegzudenken. Doch wer profitiert wirklich von ihnen? Elisabeth Huemer, Ernährungsberaterin MSc am Luzerner Kantonsspital (LUKS), spricht über Nutzen, Risiken und häufige Fehler beim Konsum von Proteinprodukten – und gibt Tipps, wie sich der tägliche Bedarf am besten decken lässt.

Frau Huemer, das Jahr 2025 ist noch relativ frisch und die Werbetrommeln für Proteinpulver werden nach wie vor kräftig gerührt. Wann macht der Einsatz von Proteinpulver wirklich Sinn?
In der Regel können gesunde Erwachsene ihren Proteinbedarf durch regelmässige Mahlzeiten im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung decken, wenn jede Hauptmahlzeit eine Portion einer Proteinquelle (z.B. Hülsenfrüchte, Käse, Eier) beinhaltet. Sinnvoll kann der Einsatz von Proteinpulver für Menschen sein, die tierische Proteinquellen wie Fleisch, Fisch oder Eier meiden, ferner für Kraftsportlerinnen und -sportler oder für Menschen mit einem erhöhten Bedarf aufgrund bestimmter Krankheiten oder Wundheilungsstörungen. Allenfalls haben auch ältere Menschen einen höheren Bedarf, wenn der Appetit und damit die Nahrungsaufnahme natürlicherweise trotz erhöhtem Bedarf abnimmt. Auch auf Reisen oder bei Zeitmangel kann ein Proteinshake je nach Produkt eine sinnvolle Ergänzung zur sonst ausgewogenen Ernährung sein.

Welche Unterschiede gibt es zwischen Whey-, Casein- und pflanzlichen Proteinpulvern?
Das Molkenprotein Whey und das Milchprotein Casein werden aus Milch tierischer Herkunft hergestellt. Molkenprotein ist schnell verdaulich, versorgt die Muskeln rund ums Training und trägt zu schneller Regeneration bei. Casein wird langsamer verdaut und trägt neben einer längeren Versorgung der Muskeln, etwa über Nacht, auch zu einer länger anhaltenden Sättigung bei. Beide Proteine beinhalten wie alle tierischen Proteinquellen alle unentbehrlichen Aminosäuren, also Bausteine der Proteine, die der Körper nicht selbst herstellen kann und die für den körpereigenen Proteinaufbau zwingend notwendig sind.

Die meisten pflanzlichen Proteinquellen (ausser Soja, Hanf, Lupinen) beinhalten nicht alle essenziellen Aminosäuren. Beim Kauf ist darum darauf zu achten, dass das Produkt verschiedene sich ergänzende Quellen beinhaltet, deren Bausteine zusammen zu einem «vollständigen» Protein führen.

Was passiert im Körper nach der Einnahme der Pulver, und gibt es gesundheitliche Risiken, welche beachtet werden sollten?
Proteine werden bei der Verdauung durch Magensäure und verschiedene Enzyme aus dem Magen und der Bauchspeicheldrüse in ihre einzelnen Bestandteile (Aminosäuren) zerlegt, ins Blut aufgenommen und über die Blutbahn zu Muskeln und Organen transportiert. Dort werden sie unter anderem für Muskelaufbau, Reparatur von Zellen und Herstellung von Hormonen genutzt. Überschüssiges Protein kann zur Energiegewinnung genutzt oder in Fett umgewandelt werden. Bei der Proteinverdauung fällt Stickstoff an, der über die Nieren als Harnstoff ausgeschieden wird. Überkonsum kann so zu Nierenbelastung führen. Zudem können gewisse Zusatzstoffe wie Laktose (Milchzucker) oder künstliche Süssstoffe (Sucralose, Acesulfam-K usw.) zu Verdauungsbeschwerden führen.

Sind natürliche Proteinquellen (wie Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchte) nicht die bessere Wahl?
Aus ernährungsphysiologischer Sicht sind natürliche Proteinquellen auf jeden Fall die bessere Wahl. Sie beinhalten neben Protein weitere wichtige Nährstoffe. Je nach Proteinquelle sind das Mikronährstoffe wie Eisen, Zink, Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffe. Der höhere Gehalt an Ballaststoffen, insbesondere aus pflanzlichen Proteinquellen wie Hülsenfrüchten oder Vollkorngetreide, trägt etwa zu einer schnelleren und länger anhaltenden Sättigung bei, was beim Gewichtsmanagement von Vorteil ist. Natürliche Proteinquellen beinhalten auch keine Zusatzstoffe (mit Ausnahme verarbeiteter Lebensmittel) oder Süssstoffe und Zuckeraustauschstoffe, was bei Proteinpulvern sehr häufig der Fall ist.

Wie rechnet man den Tagesbedarf an Proteinen aus und mit welchen Lebensmitteln deckt man diesen am besten?
Die deutschsprachigen Fachgesellschaften für Ernährung (Schweiz, Österreich, Deutschland) empfehlen 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag für gesunde Erwachsene. Ab 65 erhöht sich der Bedarf um 0,2 Gramm, weil die Herstellung von Proteinen in der Leber abnimmt. Schwangere und stillende Frauen sowie Menschen in bestimmten Krankheitssituationen haben ebenfalls einen erhöhten Bedarf.

Die Ernährungsempfehlungen für die Schweiz wurden 2024 überarbeitet. Neu werden auch Gesundheitsförderung und Nachhaltigkeitsaspekte gemäss unserem üblichen Essverhalten berücksichtigt: Neben 2 bis 3 Portionen Milch- und Milchprodukten werden täglich eine Portion Tofu, Eier, Fleisch oder Fisch/Meeresfrüchte sowie eine Portion Hülsenfrüchte pro Woche empfohlen. Fleisch sollte maximal zwei- bis dreimal pro Woche auf dem Speiseplan stehen. Zudem drei Portionen Getreide, zur Hälfte als Vollkornvariante, und 15 bis 30 Gramm Nüsse täglich, letztere liefern vor allem in einer pflanzenbetonten Ernährungsweise wertvolles Protein.

Gibt es spezielle Empfehlungen für verschiedene Zielgruppen (Sportlerinnen, Senioren, Veganerinnen)?
Wie bereits beschrieben, sollte die tägliche Proteinaufnahme ab 65 und in bestimmten Lebenssituationen gesteigert werden. Entgegen dem Glauben in der breiten Bevölkerung ist der Proteinbedarf von «Breitensportlerinnen» nicht erhöht. Sportliche Betätigungen unterhalb von fünf Stunden pro Woche sind lediglich als Ausgleich für eine zumeist sitzende Tätigkeit zu betrachten. Darüber hinaus liegt die Empfehlung für die Proteinaufnahme in Abhängigkeit von Trainingszustand und Trainingsziel bei zirka 1,2 bis 2 Gramm pro Kilo und Tag. Wer sich vegetarisch ernährt, hat dank tierischen Lebensmitteln wie Milch/Milchprodukten und Eiern keinen erhöhten Bedarf. Wer vegan isst, sollte wegen der schlechteren Verfügbarkeit von pflanzlichen Proteinen im Körper 0,2 Gramm Protein pro Kilo mehr zu sich nehmen.

Was sind die häufigsten Fehler, die Menschen beim Kauf oder Konsum von Proteinpulvern machen?
Proteinshakes sollte man nicht als Mahlzeitenersatz sehen, da sie häufig kaum Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Kohlenhydrate, Ballaststoffe und gesunde Fette beinhalten, die ein gesunder Organismus zwingend braucht. Wer anderseits seine ausgewogene Ernährungsweise aufgrund eines erhöhten Bedarfs ergänzen möchte, sollte Pulver mit mindestens 70 g Protein pro 100 g Pulver zu sich nehmen, da es sich sonst um einen Mahlzeitenersatz handelt. 

Generell kann auch zu viel Protein konsumiert werden, was Organe wie die Nieren stark belasten kann.
Elisabeth Huemer, Luzerner Kantonsspital (LUKS)

Zudem gilt es die Zutatenliste auf Süssstoffe und Zuckeraustauschstoffe wie Aspartam und Sucralose, billige Füllstoffe wie Laktose und Verdickungsmittel wie Carrageen oder Xanthan zu überprüfen. Als Proteinquelle sollte Whey-Isolat oder Casein herangezogen werden, bei der pflanzlichen Alternative Soja, Hanf oder Lupinen oder eine Mischung aus verschiedenen Quellen wie Kürbis mit Reis und Mandeln. Das erhöht die Verfügbarkeit der Proteine im Körper.

Was ist Ihr wichtigster Tipp für Verbraucherinnen und Verbraucher, die über den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln und Proteinpulver nachdenken?
Grundsätzlich sollten Nahrungsergänzungsmittel und/oder Proteinpulver nicht als Ersatz für eine gesunde, ausgewogene Ernährung betrachtet werden. Nahrungsergänzungsmittel sollten nur bei nachgewiesenem Mangel oder in besonderen Lebenssituationen (etwa Schwangerschaft) eingesetzt werden. Beim Rückgriff auf Nahrungsergänzungsmittel und/oder Proteinpulver sollte darauf geachtet werden, dass diese von seriösen Herstellern stammen und eine möglichst kleine Zutatenliste aufweisen.

Glauben Sie, dass die Popularität von Nahrungsergänzungsmitteln mehr mit Wissenschaft oder mit geschicktem Marketing (Social Media) zu tun hat?
Das ist schwierig zu beantworten. Vermutlich ist die Popularität einiger Nahrungsergänzungsmittel eine Mischung aus wissenschaftlicher Grundlage und geschicktem Marketing. Der Einsatz einiger Nahrungsergänzungsmittel basiert auf solider wissenschaftlicher Basis, etwa der Einsatz von Kreatin für den Muskelaufbau oder Vitamin D für das Immunsystem und die Knochengesundheit. Trotz wissenschaftlicher Basis sollte die maximal empfohlene Tagesmenge beachtet werden, um negativen Auswirkungen einer Überdosierung vorzubeugen.

Andere Produkte wie Fat-Burner-Pillen, insbesondere online und ohne jegliche Überprüfung durch Behörden erhältliche Produkte sind mit Vorsicht zu geniessen. Speziell von Produkten, die mit «schnellem Nutzen» und/oder bekannten Persönlichkeiten werben, ist abzuraten.

Braucht es neben Proteinpulver auch High-Protein-Milchprodukte?
Sogenannte High-Protein-Produkte sind häufig hoch verarbeitet und enthalten – wie auch Proteinpulver – oft viele Zusatzstoffe und/oder künstliche Süssungsmittel, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken können. Sie enthalten auch kaum Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe oder Kohlenhydrate, die ein gesunder Organismus zwingend braucht. Zudem kosten High-Protein-Produkte oft ein Vielfaches von natürlichen Lebensmitteln. Generell gilt: Proteinpulver und High-Protein-Produkte sollten eine vollwertige Ernährung nicht ersetzen, nicht als Mahlzeitenersatz dienen und nur gezielt eingesetzt werden.

E. Huemer

 

Elisabeth Huemer

Ernährungsberaterin MSc, Leiterin Ernährungsberatung/-therapie
Luzerner Kantonsspital (LUKS)

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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