
Auf der Intensivstation treffen modernste medizinische Geräte auf komplexe ethische Fragestellungen. Dr. med. Michael Glas, Leitender Arzt Intensivmedizin sowie Facharzt für Anästhesiologie und für Intensivmedizin (FMH) am Spital Emmental in Burgdorf, erzählt von seinem Alltag auf der Intensivstation, von den technischen Entwicklungen und von den tiefgreifenden ethischen Fragestellungen, die das medizinische Team täglich begleiten. Ein Gespräch über die Balance zwischen Technik, Ethik und Patientenwohl.
Herr Glas, wie sieht ein typischer Tag auf der Intensivstation aus?
Unser Arbeitsablauf ist, wie auf anderen Stationen auch, sehr durchstrukturiert – und trotzdem recht unvorhersehbar. Pflegepersonal und Assistenzärztinnen und -ärzte arbeiten in drei Schichten, zudem gibt es immer eine kaderärztliche Intensivmedizinerin, einen kaderärztlichen Intensivmediziner, die/der tagsüber ebenfalls fix auf der Station arbeitet und am Abend und nachts Rufbereitschaft hat.
Am Morgen beginnen wir ab 7 Uhr mit der Übergabe von der Nacht, anschliessend findet die Aufgabenplanung für den Tag zwischen Pflege und Ärzteschaft statt. Nach dem Frührapport starten wir mit der Visite am Bett. Die Patientinnen und Patienten, die verlegt werden können, werden für die weiterbehandelnden Fachpersonen vorbereitet. Hierfür werden verschiedene Massnahmen (Pflege, Physiotherapie, gegebenenfalls Ergotherapie oder Logopädie) und Interventionen durchgeführt.
Wie geht es am Nachmittag weiter?
Nachmittags finden Weiterbildungen zu ausgewählten Themen oder Fallbesprechungen auf der Intensivstation statt. Zudem werden geplante Eintritte aus dem Operationssaal nach grösseren Eingriffen oder bei entsprechender Risikokonstellation auf die Intensivstation übernommen.
Die erforderliche enge Betreuung und die unbedingt notwendigen Massnahmen machen es nicht immer einfach, aber wir versuchen, den Patientinnen und Patienten nachts ausreichende Erholung vom anstrengenden Tagesprogramm zu ermöglichen. Ungeachtet des Rund-um-die-Uhr-Betriebs sind wir immer auf Notfälle vorbereitet und übernehmen ungeplante Eintritte von schwerkranken Patientinnen und Patienten zu jeder Zeit.
Was macht die Arbeit auf einer Intensivstation für Sie besonders faszinierend, aber auch belastend?
Interdisziplinäre Intensivstationen wie in Burgdorf bieten ein breites Spektrum an Krankheitsbildern der Akutmedizin aus dem Bereich der Inneren Medizin, Chirurgie, Orthopädie, Neurologie etc. Dadurch ist unser Fach sehr abwechslungsreich, kein Fall gleicht dem anderen, und wir sehen mit den getroffenen Massnahmen bei der Unterstützung von ausgefallenen Organsystemen (wie z.B. Atmung oder Kreislauf) unmittelbar den Einfluss unseres Handelns. Die damit verbundenen medizinethischen Aspekte, denen wir gegenübergestellt werden, bleiben immer eine Herausforderung. Zwar entwickelt man über die Jahre Strategien, um diese zu bewältigen, aber man nimmt Diverses in Gedanken mit nach Hause. Hinzu kommt, dass man in einem kleinen Team an Intensivmedizinern wie in Burgdorf durch die hohe Zahl an Rufdiensten auch nach Anwesenheit in der Klinik nahe am Geschehen bleibt – Abschalten fällt da schwer.
Wie haben sich die medizinischen und technischen Möglichkeiten in der Intensivmedizin in den letzten Jahren verändert?
Auf der Intensivstation ist der breite Einsatz von Technik Alltag. Als Anfänger ist man bei seinen ersten Einsätzen auf der Intensivstation auch schnell mal von all dem übermannt. Schnell ist die Patientin, der Patient von zahlreichen Medizingeräten und Überwachungsmonitoren umgeben. Die technische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten hat die Art von Intensivmedizin, die wir betreiben, erst möglich gemacht und die Grenzen des Machbaren immer weiter verschoben. Und trotzdem steht nicht die Technik, sondern die Patientin oder der Patient und ihre/seine Wertevorstellungen im Mittelpunkt der Behandlung.
Wann stossen selbst modernste medizinische und technische Möglichkeiten an ihre Grenzen?
Neben dem Verständnis und dem Management, der Behandlung der medizinischen Probleme, die die Patientin, den Patienten auf die Intensivstation geführt haben, rücken auch ethische Fragestellungen immer mehr in unser Berufsfeld. Häufig spannt sich während der intensivmedizinischen Behandlung ein Bogen zwischen «medizinisch möglich» und «medizinisch/ethisch sinnvoll». Dabei spielen die Vorerkrankungen, die vorhandenen Ressourcen der Patientin, die enge Kommunikation mit dem Patienten bzw. stellvertretend mit ihren/seinen Angehörigen über Therapiewünsche und Wertevorstellungen natürlich eine entscheidende Rolle.
Werden Grenzen des medizinisch sinnvoll Machbaren, der Medizinethik oder des Patientenwillens erreicht, so gilt es, einen Schritt zurückzutreten, die Krankheitssituation erneut mit den Patientinnen und Patienten (sofern möglich), den Angehörigen und dem Team zu diskutieren und einen alternativen Behandlungsansatz zu finden (Komfort- oder Palliativbehandlung).
Welche Patientenfälle haben Sie am meisten geprägt – im positiven wie im negativen Sinn?
Viele Patientenschicksale nimmt man während seines beruflichen Werdegangs unbewusst mit, aber mir sind v.a. solche aus meiner Zeit am Inselspital während der COVID-Hoch-Zeit in Erinnerung geblieben, bei denen Familien durch die Pandemie auseinandergerissen wurden. Die drastisch eingeschränkten Besuchszeiten, die erschwerte Kommunikation mit den Angehörigen haben neben den medizinischen Herausforderungen dazu beigetragen.
Umso schöner sind die Momente, wenn Patientinnen und Patienten am Ende eines langen Intensiv- und Spitalaufenthalts oder auch nach ein paar Monaten der Rekonvaleszenz zu Besuch kommen, um sich bei uns für die Betreuung zu bedanken. Das ist Bestätigung für die Arbeit und eine grosse Motivation für das Team!
Wie viel Einfluss haben Patientenverfügungen in der Realität der Intensivmedizin und wie wird in solchen Fällen gehandelt?
Der Wille oder mutmassliche Wille der Patientin oder des Patienten (häufig lässt ihr/sein Zustand eine Äusserung dazu nicht mehr zu) steht an oberster Stelle bei der Entscheidungsfindung, wenn Grenzen erreicht werden. Patientenverfügungen sind normalerweise nicht genau genug, um die spezielle Situation, in der sich die Patientin oder der Patient befindet, wiederzugeben – sie vermitteln aber die Einstellung zu Krankheit, Leben und Tod und erleichtern damit dem Behandlungsteam Entscheidungen.
Publikumsvortrag am Spital Emmental in Burgdorf: Auf der Intensivstation
Datum: Donnerstag, 24.04.2025, 19.00–20.00 Uhr
Anzahl Plätze: unbegrenzt
Ort: Kurslokal
Kosten: gratis
Keine Anmeldung erforderlich
Weitere Informationen finden Sie hier.
Publikumsvortrag am Spital Emmental in Langnau: Auf der Intensivstation
Datum: Donnerstag, 01.05.2025, 19.00–20.00 Uhr
Anzahl Plätze: unbegrenzt
Ort: Restaurant
Kosten: gratis
Keine Anmeldung erforderlich
Weitere Informationen finden Sie hier.