
Nicht jede Kopfverletzung ist harmlos – im Gegenteil: Selbst eine vermeintlich leichte Gehirnerschütterung kann schwerwiegende Folgen haben, wenn sie zu spät erkannt oder falsch behandelt wird. Umso wichtiger ist es, typische Warnzeichen zu kennen und im Ernstfall richtig zu handeln.
Dr. med. Simon J. Bosbach, Chefarzt für Notfallmedizin am Spitalzentrum Biel, spricht im Interview über typische Fehler, gefährliche Symptome («Red Flags») und erklärt, wie man das Risiko für Kopfverletzungen gezielt reduziert – insbesondere auch im Alltag älterer Menschen.
- Welche Schutzmassnahmen helfen, Kopfverletzungen im Alltag oder beim Sport zu vermeiden?
- Welche Symptome deuten darauf hin, dass eine Kopfverletzung lebensgefährlich ist?
- Wie sollte man eine bewusstlose Person mit Kopfverletzung stabilisieren?
- Warum sind selbst leichte Gehirnerschütterungen nicht zu unterschätzen?
- Welche Fehler passieren häufig bei der Ersten Hilfe bei Kopfverletzungen?
- Wie kann man zwischen einer harmlosen Prellung und einer ernsthaften Hirnverletzung unterscheiden?
- Welche Risiken bestehen bei verzögerter Behandlung einer Kopfverletzung?
- Was tun, wenn eine Kopfverletzung mit starkem Blutverlust einhergeht?
- Wie wirkt sich eine Kopfverletzung auf die langfristige Gesundheit aus?
Herr Bosbach, welche Schutzmassnahmen helfen, Kopfverletzungen im Alltag oder beim Sport zu vermeiden?
Präventive Massnahmen sind zur Vermeidung von Kopfverletzungen unerlässlich. Dazu gehören an erster Stelle das Tragen von Helmen bei risikoreichen Aktivitäten wie Velofahren, Skifahren oder Bauarbeiten, die Sicherung von Arbeitsbereichen und das Vermeiden von unnötigen Gefahren. Zusätzlich können Gleichgewichtsübungen, die Wahl der richtigen Schuhe und die Anpassung der Wohnumgebung helfen, Stürze und damit Kopfverletzungen zu verhindern.
Im Alltag – insbesondere bei älteren Menschen – spielen Sturzprävention und eine sichere Wohnumgebung eine zentrale Rolle: rutschfeste Matten, Haltegriffe im Bad, das Entfernen von Stolperfallen sowie gezielte Gleichgewichtsübungen oder Physiotherapie können das Risiko deutlich senken.
Welche Symptome deuten darauf hin, dass eine Kopfverletzung lebensgefährlich ist?
Man spricht hier von sogenannten «Red Flags» – Warnzeichen, die auf einen möglichen erhöhten Hirndruck oder eine schwerwiegende Verletzung hinweisen. Dazu gehören:
- Schwere, zunehmende Kopfschmerzen
- Krampfanfälle
- Erbrechen
- Ungleiche / lichtstarre Pupillen
- Veränderte Atmung
- Bewusstseinsstörung (nicht ansprechbar, Verwirrung, Schläfrigkeit, Wesensveränderung, Verlangsamung)
- Nackensteifigkeit (Meningismus)
- Neue neurologische Ausfälle (z.B. Seh- und Sensibilitätsstörungen oder Lähmungserscheinungen sowie Sprechstörungen)
- Blut oder Liquoraustritt (Hirnwasser = i.d.R. weisse Flüssigkeit) aus Kopfwunde, Nase oder Mund)
Wichtig: Diese Symptome können auch andere Ursachen haben, sollten aber immer ernst genommen und ärztlich abgeklärt werden.
Wie sollte man eine bewusstlose Person mit Kopfverletzung stabilisieren?
Wenn eine Person bewusstlos und keine normale Atmung (keine Brustkorbbewegungen, keine Atemgeräusche) feststellbar ist oder Zweifel an der Atmung bestehen, liegt ein möglicher Herzstillstand vor. In dem Fall muss unmittelbar ein Notruf erfolgen und mit der Reanimation begonnen werden. Ist hingegen eine normale Atmung beim Bewusstlosen zu verzeichnen, sollte dieser vorsichtig und ohne weitere Verletzung der Wirbelsäule, bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes in die stabile Seitenlage gebracht werden – wenn möglich mit zwei Helfern.
Hierbei gilt es die Wirbelsäule bzw. die Kopfverletzung so wenig wie möglich zu manipulieren, um Folgeschäden zu vermeiden. Bei einer Bewusstlosigkeit sind natürliche Schutzreflexe wie beispielsweise der Schluck- oder Hustenreflex ausgeschaltet. Flüssigkeiten wie Blut oder Erbrochenes können hierdurch in die Atemwege gelangen. Auch ist die gesamte Muskulatur erschlafft, was dazu führen kann, dass die Zunge die Atemwege verschliesst. Die stabile Seitenlage kann diese Risiken reduzieren.
Hat die verunfallte Person einen Helm an und eine normale Atmung, so sollte dieser nicht durch Laien ausgezogen werden. Eine Kopfverletzung mit Bewusstlosigkeit lässt einen gefährlichen Unfallhergang vermuten. Durch die Manipulation beim Entfernen des Helmes können irreversible Folgeschäden entstehen. Die Entfernung des Helmes sollte in diesem Fall nur durch professionell geschultes medizinisches Personal erfolgen.
Weitere wichtige Massnahmen:
- Die verunfallte Person warm halten (z. B. mit einer Decke)
- Unfallstelle sichern
- Bei Krampfanfällen gefährliche Gegenstände aus dem Umfeld entfernen
- Die verletzte Person nicht alleine lassen und Zustand regelmässig kontrollieren
Warum sind selbst leichte Gehirnerschütterungen nicht zu unterschätzen?
Eine Gehirnerschütterung wirkt oft harmlos, kann jedoch schwerwiegende Folgen haben – insbesondere bei älteren Menschen oder Personen, die blutverdünnende Medikamente einnehmen. Symptome wie Kopfschmerzen oder Übelkeit können auch verzögert auftreten. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass sich trotz zunächst leichter Beschwerden eine schwerere Hirnverletzung entwickelt. Deshalb ist eine ärztliche Kontrolle immer ratsam, auch bei vermeintlich harmlosen Stürzen.
Welche Fehler passieren häufig bei der Ersten Hilfe bei Kopfverletzungen?
Wenn die Erste Hilfe nicht korrekt durchgeführt wird, können sich Verletzungen verschlimmern oder sogar neue, bleibende Schäden entstehen. Einer der häufigsten Fehler ist es, die Verunfallten zu mobilisieren, da je nach Unfallhergang eine zusätzliche Verletzung der Wirbelsäule oftmals nicht ausgeschlossen werden kann. Daher sollte man darauf achten, den Kopf ruhig zu halten und unnötige Bewegungen des Kopfes sowie der Wirbelsäule zu vermeiden. Ein weiterer Fehler ist die fehlende Überwachung bis zum Eintreffen der Rettungskräfte. Die verletzte Person sollte nicht alleine gelassen werden. Eine stetige Überwachung mit Fokus auf Veränderungen im Zustand ist essentiell, um unmittelbar z.B. auf einen Atemstillstand reagieren zu können.
Wie kann man zwischen einer harmlosen Prellung und einer ernsthaften Hirnverletzung unterscheiden?
Entscheidend zur Differenzierung zwischen einer harmlosen und einer ernsthaften Kopfverletzung ist eine genaue Anamnese (oftmals auch Fremdanamnese) mit Fokus auf den genauen Unfallhergang. Sobald ein gefährlicher Unfallmechanismus vorliegt oder die obengenannten Symptome auftreten, ist primär von einer ernsthaften Hirnverletzung auszugehen.
Eine Prellung (Kontusion) ist eine Verletzung, die i.d.R. durch stumpfe Gewalt entsteht, ohne dass dabei eine offene Wunde oder ein Knochenbruch vorliegt. Dabei wird das Gewebe unter der Haut gequetscht, was zu Blutungen in das Gewebe und somit zu einem Bluterguss (Hämatom) führen kann. Bei einer reinen Prellung ohne Hirnverletzung liegen die obengenannten Symptome sowie neurologische Ausfälle in der Regel nicht vor.
Welche Risiken bestehen bei verzögerter Behandlung einer Kopfverletzung?
Eine verspätete Behandlung bei Kopfverletzungen, vor allem bei Schädel-Hirn-Traumata, kann zu ernsthaften Komplikationen und irreversiblen Folgen führen. Zu den Gefahren zählen erhöhter Hirndruck, neurologische Ausfälle, Blutungen, Infektionen und in schweren Fällen sogar bleibende Behinderungen, bis hin zum Hirntod oder Atemstillstand.
Bei Kopfverletzungen ist eine zügige medizinische Behandlung essentiell, um mögliche Schäden einzugrenzen und eine optimale Genesung zu fördern. Auch bei scheinbar leichten Verletzungen sollte eine ärztliche Versorgung gewährleistet sein, da Symptome oftmals erst verzögert auftreten. Besonders bei Bewusstseinsstörungen oder neurologischen Ausfällen sind eine klinische Überwachung und stetige Reevaluation indiziert, um Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Was tun, wenn eine Kopfverletzung mit starkem Blutverlust einhergeht?
Eine Kopfverletzung mit erheblichen Blutverlust erfordert eine sofortige und umfassende medizinische Versorgung. Die Behandlung beinhaltet das Stillen der Blutung, die Stabilisierung des Patienten, in der Regel eine Operation zur Entfernung von Blutgerinnseln oder zur Gefässreparatur. Bei starken Blutungen ist es wichtig, die Blutung so schnell wie möglich zu stillen, z.B. durch direkten Druck auf die Wunde oder einen Druckverband
Wie wirkt sich eine Kopfverletzung auf die langfristige Gesundheit aus?
Kopfverletzungen können eine Vielzahl langfristiger Folgen haben, die von leichteren Beeinträchtigungen bis hin zu schweren Behinderungen reichen. Die Schwere der Verletzung, der betroffenen Bereiche des Gehirns und individuelle Faktoren spielen eine wesentliche Rolle bei der Ausprägung der Langzeitfolgen. Zu den wichtigsten Langzeitfolgen zählen neben neurologischen Ausfällen (z.B. Krampfanfälle, Lähmungserscheinungen, Sensibilitäts- und Sprachstörungen) sowie psychischen Veränderungen (z.B. Depressionen, Verhaltensänderungen, kognitive Störungen) auch chronische Schmerzen und unspezifische Symptome wie Schwindel, Übelkeit und Schlafstörungen.
Dr. med. Simon J. Bosbach
Chefarzt Notfallmedizin
Facharzt Innere Medizin, MHBA
Schwerpunkt prä- & klinische Notfallmedizin
FA Sonografie/POCUS
Spitalzentrum Biel
Vogelsang 84, Postfach
CH-2501 Biel-Bienne