Hallux valgus: Nur operieren, wenn die Lebensqualität zu stark beeinträchtigt ist

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Quelle: TCS MyMed

Prof. Xavier Crevoisier, Abteilung für Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparats des CHUV in Lausanne, zum Thema Hallux valgus.

Prof. Crevoisier, was versteht man unter Hallux valgus?
Der Hallux valgus, auch bekannt unter dem Namen «Ballenzeh», ist eine schwach oder stark ausgeprägte Verschiebung der Grosszehe gegenüber dem ersten Mittelfussknochen nach aussen (valgus) (Abb. 1). Dabei tritt der Kopf des ersten Mittelfussknochens stärker hervor und kann Schmerzen verursachen: Dies ist der typische vorgewölbte Ballen.

Abbildung 1: Der Hallux valgus, oder «Ballenzeh», ist definiert als eine seitliche Verschiebung der Grosszehe gegenüber dem ersten Mittelfussknochen. In Bild A zeigt der schwarze Pfeil auf die schmerzhafte Stelle am vorgewölbten Ballen. In Bild B zeigt der weisse Pfeil, dass der Kopf des ersten Mittelfussknochens sich in diesem Bereich verschoben hat.

Was sind die Ursachen? Gibt es mechanische oder genetische Gründe?
Auch wenn eine genetische Veranlagung, also das vermehrte Auftreten eines Hallux valgus in einer Familie, der ausschlaggebende Faktor zu sein scheint, sind die Ursachen des Hallux valgus weiterhin unklar. Man geht davon aus, dass hier mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Unabhängig davon beruht die fortschreitende Deformität jedoch auf einer Dysfunktion mit anschliessender Schwächung der Strukturen, die die Grosszehe stabilisieren. Dazu gehören die Gelenkkapsel, die Muskeln und Bänder sowie die Gelenkflächen.

Kommt der Hallux valgus häufiger bei Frauen als bei Männern vor?
Der Hallux valgus, von dem 23% der Bevölkerung und sogar 36% der über 65-Jährigen betroffen sind, tritt bei Frauen drei Mal so oft auf wie bei Männern. Bei den Personen, die wegen der Erkrankung ihren Arzt aufsuchen, ist dieses ungleiche Verhältnis zwischen Frauen und Männern sogar noch höher (8:1).

Oft werden hohe Absätze als Ursache für Hallux valgus angeführt: Mythos oder Realität?
In der Vergangenheit wurden enge hochhackige Schuhe, also elegante Damenschuhe, als Hauptgrund für das Auftreten eines Hallux valgus angesehen. Diese Annahme wurde vor allem durch die Tatsache begünstigt, dass der Hallux valgus deutlich häufiger bei Frauen als bei Männern auftritt. Heute wissen wir, dass die Genetik ausschlaggebend ist und für das Entstehen dieser Deformität mehrere Faktoren vorhanden sein müssen. Bei Menschen mit einer genetischen Veranlagung können die Schuhe jedoch als erschwerender Faktor angesehen werden. So wurde durch eine kürzlich durchgeführte Studie mit fast 300 Patientinnen nachgewiesen, dass das Tragen enger Schuhe in jungen Jahren die Entwicklung eines Hallux valgus nach dem 50. Lebensjahr begünstigt.

Gibt es verschiedene Typen von Hallux valgus?
Es werden zwei Arten des Hallux valgus unterschieden: der juvenile (oder konstitutionelle) Hallux valgus und der erworbene Hallux valgus. Im ersten Fall entwickelt sich der Hallux valgus mit dem Wachstum der Person, man kann vereinfacht von einer Wachstumsstörung sprechen. Der erworbene Hallux valgus hingegen entwickelt sich später im Leben und ergibt sich aus einer Degeneration oder einfach aus der Alterung des Körpers. Interessant dabei ist, dass 20-30% der Fälle von erworbenem Hallux valgus eine Verschlechterung eines juvenilen Hallux valgus sind.

Gibt es verschiedene Schweregrade?
Vereinfacht können drei Schweregrade unterschieden werden: 1.) mässiger Hallux valgus, 2.) schwerer Hallux valgus und 3.) Hallux valgus im Zusammenhang mit anderen Fussfehlstellungen oder als Teil systemischer Erkrankungen. Es handelt sich um einen mässigen Hallux valgus, wenn eine einfache Valgusfehlstellung der Grosszehe vorliegt und wenn die Symptomatik im Allgemeinen auf den ersten Strahl beschränkt ist. Ein schwerer Hallux valgus ist vorhanden, wenn die Fehlstellung stärker ausgeprägt ist, d. h. wenn eine Valgusverschiebung der Grosszehe um mindestens 40° auftritt. Die Stärke dieser Deformität führt zu einer erheblichen Schwächung der Funktion der Grosszehe, insbesondere ihrer Funktion beim Gehen. Dies hat zur Folge, dass ein Teil der Belastung, die beim Gehen ursprünglich von der Grosszehe getragen wurde, nun von den seitlichen Strahlen (Kleinzehen, kleine Mittelfussknochen) übernommen werden muss. Diese sind jedoch nicht für solche Belastungen ausgelegt, was dann zu Schmerzen führt. In Verbindung mit anderen Fussdeformitäten oder systemischen Erkrankungen tritt ein Hallux valgus viel seltener auf. Dies ist jedoch ein komplexes Thema, das über den Rahmen dieses Artikels hinausgeht.

Verschlechtert sich der Hallux valgus mit der Zeit?
In den meisten Fällen nimmt der Schweregrad des Hallux valgus mit der Zeit zu. Diese Verschlechterung verläuft allgemein langsam. Sie kann sich jedoch auch zu bestimmten Zeitpunkten beschleunigen. Leider ist es nicht möglich, den genauen zeitlichen Verlauf vorherzusagen.

Welche Schmerzen verursacht der Hallux valgus? Sind diese erträglich?
Die Schmerzen reichen von ästhetischen Beeinträchtigungen bis hin zu ausgeprägten Ballenschmerzen. Ferner kann es zu Konflikten zwischen den Zehen, Krallenzehen, Schmerzen bei der Übertragung auf die kleinen (seitlichen) Mittelfussknochen sowie häufig zu einer Kombination einer Vielzahl dieser Schmerzerscheinungen kommen. Die Schmerzen stimmen nicht immer mit dem Schweregrad der Deformität überein. So ist es möglich, dass eine Person wegen starker Ballenschmerzen einen Arzt aufsucht, obwohl sie unter einem mässigen Hallux valgus leidet. Andererseits kommt es nicht selten vor, dass ältere Menschen mit einer schweren Fehlstellung kaum darunter leiden.

Welche Probleme verursacht der Hallux valgus? Kommt es nur beim Gehen zu Beschwerden?
In seiner mässigen Variante verursacht der Hallux valgus hauptsächlich Probleme mit dem Schuhwerk, d. h. Schmerzen durch Reibung und Druck im Bereich des vorgewölbten Ballens. Im Falle einer stärkeren Ausprägung ist das Tragen von Schuhen natürlich ebenso problematisch. Darüber hinaus kommt es auch beim Auftreten und Abrollen zu Schmerzen, und zwar unabhängig von der Art des Schuhwerks und sogar beim Barfussgehen. Je stärker ausgeprägt und schmerzhafter der Hallux valgus ist, desto stärker ist die Fussmotorik beim Gehen beeinträchtigt, etwa indem der Fuss eine Schonstellung einnimmt oder durch ungewöhnliche Belastungen aufgrund der funktionellen Schwächung der Grosszehe. So kann es in verschiedenen Bereichen des Vorfusses zu Gelenkschmerzen kommen, es können Zehendeformitäten auftreten und auch Ermüdungsbrüche der seitlichen Mittelfussknochen sind möglich. Diese veränderte Belastung im Vorfuss kann auch zu Arthrose in verschiedenen Bereichen des Vorfusses führen.

Wie sieht es mit dem Autofahren aus?
Der Hallux valgus führt in erster Linie beim Gehen zu Beschwerden. Daher ist es auch bei schweren Fällen ungewöhnlich, dass das Autofahren nicht mehr möglich ist. Denn beim Autofahren wird der Fuss als ein Segment benutzt, im Gegensatz zum Abrollen des Fusses beim Gehen. Zwar muss dieses Segment ausreichend agil und stark sein, um die Pedale des Fahrzeugs treten zu können, jedoch bewirkt der Hallux valgus keine Schwächung des gesamten Fusses. Im Falle von Schmerzen durch das Schuhwerk ist das Tragen bequemer Schuhe beim Fahren – vor allem bei längeren Strecken – anzuraten.

Kann sich der Hallux valgus so weit verschlechtern, dass das Gehen nicht mehr möglich ist?
In seiner schwersten Form kann der Hallux valgus aufgrund der damit verbundenen Schmerzen dazu führen, dass die Länge der zurücklegbaren Strecken zu Fuss stark zurückgeht. Dabei handelt es sich jedoch um eine stark periphere Beeinträchtigung, durch die die Mobilität nicht verhindert werden kann.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Der Hallux valgus kann konservativ behandelt oder durch einen chirurgischen Eingriff beseitigt werden.

Welche Variante ist die beste?
Wie es in der Orthopädie häufig der Fall ist, wird zunächst eine konservative Behandlung empfohlen. Dabei kann die Fehlstellung zwar nicht korrigiert werden, jedoch lassen sich die Symptome lindern. Der erste Schritt bei der konservativen Behandlung ist der gesunde Menschenverstand. Durch das Tragen weiter, weicher Schuhe – und Menschen mit Hallux valgus tun dies fast immer von selbst – lassen sich die Schmerzen oft lindern. Natürlich erfordert dies, insbesondere bei jungen Menschen, einen Kompromiss zwischen Komfort und Eleganz. Dabei muss jedoch nicht vollständig auf modische Schuhe verzichtet werden, auch wenn dies, wenn nötig, auch ein wenig Leid bedeutet. Allerdings sollten im Alltag und beim Sport eher bequeme Schuhe getragen werden. Die konservative Behandlung kann sich zudem für Patientinnen und Patienten mit einer starken Fehlstellung eignen, die sich aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht operieren lassen wollen oder können. In diesem Fall werden die Anpassung von orthopädischen Standardschuhen oder Massanfertigungen durch einen Orthopädieschuhmacher empfohlen.

Und wenn dies nicht ausreicht?
Eine Operation wird vorgenommen, wenn die konservative Behandlung nicht mehr ausreicht, um eine angemessene Schmerzlinderung zu erzielen. Die Hallux-valgus-Chirurgie ist eine periphere Chirurgie und wird oft als «kleiner Eingriff» betrachtet. Es stimmt, dass sie häufig vorgenommen wird, dass die Patientinnen und Patienten heute von hochmodernen Verfahren profitieren können und dass die auftretenden Schmerzen, insbesondere durch die Fortschritte in der Anästhesie, deutlich geringer sind als früher. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine funktionelle Chirurgie, in Abgrenzung zur Vitalchirurgie, die natürlich mit Risiken verbunden ist.

Wie sieht es mit einer präventiven Operation aus?
Eine Operation sollte nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Lebensqualität durch die schmerzhafte Symptomatik in hohem Masse beeinträchtigt ist. Die blosse Angst, «nicht eines Tages die Füsse meiner Grossmutter zu haben», die durch bestimmte Formen der Werbung auf subtile Weise gesteigert wird, ist kein Grund für eine Operation. Darüber hinaus enthält die aktuelle Literatur keine Belege, die für eine frühzeitige oder präventive Operation sprechen.

Worin besteht die Operation?
Ziel der Operation ist es, die Deformität zu korrigieren (Abb. 2), um die Symptomatik zu beseitigen oder zumindest deutlich zu lindern. Sie betrifft sowohl die Knochen als auch das Weichgewebe. Bisher wurden mehr als einhundert chirurgische Verfahren zur Korrektur des Hallux valgus beschrieben. Die modernen Techniken sind dabei nicht so zahlreich, da diese auf der Grundlage bisheriger Erfahrungen ausgewählt wurden, ihre Zuverlässigkeit erwiesen ist und ihre Anzahl ausreicht, um nach sorgfältiger Bestimmung der vorliegenden Art des Hallux valgus die beste Technik an den jeweiligen Fall anzupassen.

Welche Techniken stehen zur Auswahl?
Es können sogenannte «offene» Techniken angewandt werden, bei denen ein Schnitt vorgenommen wird, der eine direkte Visualisierung der zu korrigierenden Strukturen ermöglicht, oder perkutane Techniken, bei denen die Visualisierung der zu korrigierenden Strukturen indirekt mit Hilfe der Radioskopie erfolgt. Gegenwärtig gibt es keine Belege für die Überlegenheit bestimmter Verfahren, vielmehr ist die Erfahrung des Chirurgen in der offenen oder perkutanen Chirurgie entscheidend.

Abbildung 2: Hallux valgus (A), korrigiert durch eine Osteotomie zur Neuausrichtung des ersten Mittelfussknochens und der Grundphalanx der Grosszehe (B).

Die offenen und perkutanen Techniken wurden mit der Zeit stark verbessert, allerdings gibt es bisher keine «absolut sichere» Behandlung. Die Erfolgsrate aller modernen chirurgischen Techniken zusammengenommen liegt bei etwa 90%. Unter die restlichen 10% fallen Komplikationen wie anhaltende Schmerzen, Rezidive, Hyperkorrekturen, unzureichende Knochenkonsolidierung, sekundäre Arthrose, Infektionen und Gelenkversteifung.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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