
Durchfall ist eine weit verbreitete und oft unangenehme Erscheinung, die in den meisten Fällen von selbst abklingt. Doch unter bestimmten Umständen kann er auf eine ernsthafte Erkrankung hinweisen und sollte ärztlich abgeklärt werden. Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Stephan Vavricka, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, erfahren wir, ab wann und unter welchen Bedingungen dringend medizinische Hilfe erforderlich ist und welche Risikogruppen besonders gefährdet sind.
Herr Vavricka, ab welcher Dauer oder Intensität von Durchfall sollte dringend medizinische Hilfe in Anspruch genommen werden?
Durchfall ist in den meisten Fällen zwar unangenehm, aber in der Regel nicht gefährlich und klingt oft von selbst ab. Es gibt jedoch bestimmte Fälle, bei denen man dringend ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen sollte. Ein Arztbesuch ist nötig, wenn der Durchfall länger als drei bis vier Tage anhält, besonders ohne Besserung, oder wenn keine klare Ursache wie eine Infektion erkennbar ist. Wenn der Durchfall sehr intensiv ist, etwa mehr als 10 Mal am Tag auftritt und zu starkem Flüssigkeitsverlust führt, sollte ebenfalls ein Arzt konsultiert werden. Wässriger oder blutiger Durchfall ist ebenfalls ein Signal, dass ernste Erkrankungen vorliegen könnten, etwa bakterielle Infektionen oder entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa.
Welche Symptome deuten darauf hin, dass jemand dringend ärztliche Hilfe braucht?
Neben der langen Dauer und der Intensität des Durchfalls gibt es einige weitere Symptome, die auf einen ernsten Zustand hinweisen. Ein hohes Fieber von über 39 °C zusammen mit Durchfall kann auf eine schwere Infektion hinweisen, wie zum Beispiel Salmonellen oder Shigellen. Starke Bauchschmerzen oder Krämpfe können auf ernsthafte Erkrankungen wie eine Blinddarmentzündung oder einen Darmverschluss hindeuten. Auch Blut im Stuhl ist ein ernstes Signal, das auf eine Entzündung oder in seltenen Fällen auf einen Darmtumor hinweisen kann.
Zudem sollten bei Anzeichen einer Dehydration – wie trockenem Mund, wenig oder dunklem Urin sowie Schwäche, Schwindel oder Benommenheit – dringend ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden.
Welche Risikogruppen sind besonders gefährdet, bei Durchfall ernsthafte Komplikationen zu entwickeln?
Besonders gefährdet sind Kinder, ältere Menschen und Schwangere. Diese Gruppen haben ein höheres Risiko, an Dehydration zu leiden, was zu schweren gesundheitlichen Problemen führen kann. Auch Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, etwa durch eine Krebsbehandlung, HIV oder nach einer Organtransplantation, sollten bei Durchfall schnell ärztliche Hilfe suchen, da sie anfälliger für schwere Infektionen sind.
Es gibt viele Mythen über Durchfall. Welche davon halten sich hartnäckig, obwohl sie falsch sind?
Es gibt tatsächlich eine Reihe von Mythen, die oft zu Missverständnissen führen. Ein weit verbreiteter Mythos ist, dass Durchfall immer durch eine bakterielle Infektion verursacht wird. In Wirklichkeit kann er auch durch Viren wie Noroviren oder Rotaviren, Parasiten, Lebensmittelunverträglichkeiten oder sogar durch Stress und bestimmte Medikamente ausgelöst werden. Ein weiterer Mythos besagt, dass Durchfall immer ansteckend ist, was nicht zutrifft. Nur durch infektiöse Ursachen wie Viren oder Bakterien kann Durchfall ansteckend sein, aber nicht jeder Fall von Durchfall hat mit einer Infektion zu tun.
Welche Fehler werden bei der Behandlung von Durchfall häufig gemacht?
Ein häufig gehörter Mythos ist, dass Durchfall immer mit Medikamenten gestoppt werden muss. Tatsächlich ist es oft nicht notwendig, Medikamente wie Imodium (Loperamid) einzunehmen, da der Körper durch den Durchfall versucht, Krankheitserreger oder schädliche Substanzen auszuscheiden. In einigen Fällen ist es sogar besser, dem Durchfall seinen Lauf zu lassen, besonders wenn er durch eine Infektion verursacht wurde. Ein weiterer Fehler ist, Cola oder Limonade zu trinken, um Durchfall zu lindern. Zuckerhaltige Getränke können den Darm sogar noch weiter reizen und die Dehydration verschlimmern. Besser sind Wasser, Elektrolytlösungen oder klare Brühen.
Gibt es bestimmte Lebensmittel, die bei Durchfall besonders empfehlenswert oder schädlich sind?
Ein weit verbreiteter Mythos besagt, dass Bananen bei Durchfall schädlich seien. Das Gegenteil ist der Fall: Bananen sind leicht verdaulich, liefern Kalium und beruhigen den Darm. Sie sind ein empfehlenswerter Bestandteil der BRAT-Diät (Bananen, Reis, Apfelmus, Toast), die bei Durchfall helfen kann. Ausserdem ist es ein Fehler zu denken, dass man bei Durchfall nichts essen sollte. Leichte, gut verdauliche Lebensmittel wie Reis, Toast, Haferbrei und gekochtes Gemüse sind wichtig, um dem Körper Energie und Nährstoffe zu liefern, während er sich erholt.
Welche langfristigen Auswirkungen kann häufiger oder chronischer Durchfall haben?
Häufiger oder chronischer Durchfall sollte auf keinen Fall unbehandelt bleiben. Er kann langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit haben, wie etwa Nährstoffmangel, Dehydration oder sogar eine Beeinträchtigung der Darmgesundheit. Besonders bei anhaltendem Durchfall oder wenn er regelmässig auftritt, ist es wichtig, die Ursachen abzuklären und gegebenenfalls eine Behandlung zu suchen.
Viele Mythen über Durchfall können zu Missverständnissen führen und die richtige Behandlung verzögern. Es ist entscheidend, dass man sich bewusst ist, dass Durchfall nicht immer durch Infektionen verursacht wird und nicht immer mit Medikamenten gestoppt werden muss. Wenn der Durchfall jedoch länger anhält oder ernsthafte Symptome wie Fieber, Blut im Stuhl oder Dehydration hinzukommen, sollte man schnell ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.