Medikamente spielen eine wichtige Rolle in der Behandlung verschiedener Krankheiten und Beschwerden, aber leider können sie auch unerwünschte Nebenwirkungen haben. In diesem Interview werden wir uns genauer mit diesem Thema befassen und herausfinden, wie man eine Medikamentenallergie erkennt, welche Symptome auftreten können und wie man am besten damit umgeht. Sonja Hartmann, Expertin bei aha! Allergiezentrum Schweiz, beantwortet wichtige Fragen dazu.
Frau Hartmann, was genau ist eine Medikamentenallergie und wie unterscheidet sie sich von anderen Medikamentenreaktionen?
Bei der Einnahme von Medikamenten kann es relativ häufig zu unerwünschten Effekten kommen. In den meisten Fällen handelt es sich um typische, auf die Wirkungsweise des Medikaments zurückzuführende und vorhersehbare Nebenwirkungen. Viel seltener sind Unverträglichkeiten, bei denen das eingenommene Medikament bei der betroffenen Person völlig unvorhersehbare Beschwerden auslöst. Liegt die Ursache in den Abläufen im Immunsystem, spricht man von einer Medikamentenallergie. Ist keine Reaktion des Immunsystems nachweisbar, handelt es sich um eine Intoleranz. Es wird angenommen, dass etwa 15 Prozent der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus sowie insgesamt knapp 7 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer Nebenwirkungen auf Medikamente zeigen. Nur bei circa einem Drittel dieser Reaktionen handelt es sich um Allergien oder Intoleranzreaktionen.
Welche Symptome können auf eine Medikamentenallergie hinweisen und wie schnell treten sie normalerweise nach der Einnahme des Medikaments auf?
Es gibt sowohl allergische Reaktionen vom Soforttyp, bei denen innerhalb von wenigen Minuten nach der Medikamenteneinnahme Beschwerden auftreten, als auch Reaktionen vom Spättyp. Bei diesen Spätreaktionen treten die Beschwerden oft erst nach mehreren Tagen oder Wochen auf. Mögliche Symptome bei einer allergischen Sofortreaktion können unter anderem Hautrötungen, Urtikaria (Nesselfieber), Hautschwellungen, schnupfenartige Beschwerden oder Atemnot sein. Beim Spättyp zeigen sich die allergischen Reaktionen zum Beispiel mit masernartigen, stark juckenden Hautveränderungen oder schmerzhaften Rötungen und Einblutungen der Haut. Bei einem schweren Verlauf unter Beteiligung der inneren Organe kommt ein allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber und Abgeschlagenheit dazu.
Welche Medikamente sind am häufigsten mit allergischen Reaktionen verbunden?
Bestimmte Medikamentengruppen führen häufiger zu allergischen Reaktionen. Es handelt sich dabei vor allem um Antibiotika (z. B. Penicillin), Gichtmittel (z. B. Allopurinol), Antiepileptika sowie Schmerzmittel (z. B. Acetylsalicylsäure).
Wie wird eine Medikamentenallergie diagnostiziert und welche Tests werden zur Bestätigung durchgeführt?
Zuerst wird eine umfassende Anamnese geführt.
- Welche Medikamente wurden in den letzten Stunden, Tagen oder Wochen wie oft und wie lange vor der Reaktion eingenommen?
- Welche Beschwerden zeigten sich während der Reaktion?
Anschliessend sind zur genauen Diagnosestellung oft weitere Untersuchungen notwendig. Diese werden frühestens vier Wochen nach der allergischen Reaktion durchgeführt. Im Vordergrund stehen dabei vor allem Haut- und Bluttests. In Spezialfällen wird auch ein Blutzellentest veranlasst. Dabei werden Blutzellen der Betroffenen mit dem verdächtigten Medikament im Labor zusammengebracht. Wenn trotz Haut- und Bluttests keine eindeutige Diagnose möglich ist oder wenn die Verträglichkeit eines negativ getesteten Medikaments geprüft werden soll, wird in bestimmten Situationen ein Provokationstest gemacht. Unter ärztlicher Aufsicht und mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen wird das Medikament erneut verabreicht – etwa als Tablette, Sirup, Salbe oder Infusion. Es können auch Präparate getestet werden, die als Ersatz für das auslösende Medikament infrage kommen.
Welche Massnahmen sollten Patientinnen und Patienten ergreifen, wenn sie eine Medikamentenallergie vermuten?
Wer bei sich ungewöhnliche Nebenwirkungen beobachtet oder sich unsicher fühlt, sollte nicht zögern, sich mit seiner oder ihrer Ärztin zu besprechen und sich gegebenenfalls beim Allergologen abklären zu lassen. Es ist hilfreich, wenn die Symptome und alle eingenommenen Medikamente – auch selbst gekaufte und Naturheilmittel – notiert werden. Betroffene sollten zudem festhalten, in welcher Reihenfolge welche Beschwerden aufgetreten sind. Ein Foto in der Akutphase der Hautreaktionen kann zusätzlich hilfreich sein. Als erste Massnahme sollte in Absprache mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt das verdächtige Medikament abgesetzt werden. Bei sehr starken Reaktionen muss die Einnahme aller Medikamente gestoppt werden – auch derjenigen, die bislang keine Reaktion ausgelöst haben, bis die Beschwerden abgeklungen sind. Der Entscheid, ob ein Medikament oder eine ganze Wirkstoffgruppe in Zukunft strikt gemieden werden muss, sollte jedoch nicht allein auf Basis des Erlebten, sondern nach einer möglichst detaillierten Diagnostik erfolgen.
Gibt es bestimmte Faktoren, die das Risiko einer Medikamentenallergie erhöhen?
Es gibt gewisse Faktoren, die das Risiko erhöhen können. Bei Medikamenten in Tablettenform besteht ein geringeres Riko als bei Infusionen oder Injektionen. Zudem gelten das weibliche Geschlecht, eine unregelmässige Einnahme des Medikaments, eine plötzliche Steigerung der Dosis, ein gleichzeitiger Virusinfekt sowie eine Mastzellvermehrung als Risikofaktoren. Für herzkranke Personen über 50 Jahre gilt ein besonderes Risiko für einen schweren Verlauf einer Medikamentenallergie (v. a. auf Betalaktam-Antibiotika, muskelentspannende Medikamente und Röntgenkontrastmittel).
Welchen Stellenwert hat eine frühzeitige Diagnose?
Eine verlässliche Diagnose ist unerlässlich, um als wichtigste vorbeugende Massnahme das auslösende Medikament in Zukunft zu meiden. Zu diesem Zweck erhalten die Betroffenen einen Allergiepass, der von der Ärztin oder vom Arzt ausgestellt wird.
Was ist ein Allergiepass?
Darin werden der Reaktionstyp, die Auslöser und die kreuzreaktiven Substanzen sowie verträgliche Alternativen aufgeführt. Diesen Allergiepass sollten die Betroffenen immer auf sich tragen und medizinisches Personal über ihre Allergie informieren.
Welche Massnahmen werden beim Auftreten einer allergischen Reaktion getroffen?
Zur Behandlung von auftretenden Reaktionen werden häufig Antihistaminika und Kortisonpräparate eingesetzt. Bei Notfallsituationen kommt bei schweren allergischen Reaktionen Adrenalin zum Einsatz.
Welche Möglichkeiten gibt es, wenn man das notwendige Medikament nicht verträgt?
Es ist nicht immer möglich, auf das zur Behandlung notwendige Medikament zu verzichten. In diesem Fall wird versucht, auf andere Inhaltsstoffe auszuweichen. Die Betroffenen können vorbeugend Kortison oder Antihistaminika einnehmen, um die allergischen Reaktionen abzuschwächen. Durch die Anwendung einer Methode zur Desensibilisierung oder einer spezifischen Immuntherapie besteht unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, die Verträglichkeit gegenüber einem lebenswichtigen Medikament zu erhöhen. Dies ist besonders relevant, wenn es keine Alternativen zu einem bestimmten Medikament gibt, beispielsweise bei der Therapie von Krebserkrankungen, bestimmten Infektionen oder der Behandlung von Epilepsie.
Gibt es Möglichkeiten, eine Medikamentenallergie zu verhindern oder zu minimieren?
Eine Allergie oder Intoleranz auf ein Medikament ist schwer vorhersehbar. Jede Person kann auf ein Medikament mit unvorhersehbaren Nebenwirkungen reagieren, und leider lässt sich in den meisten Fällen nicht abschätzen, wer besonders gefährdet ist. Eine wichtige Massnahme besteht darin, die Medikamentenliste möglichst schmal zu halten und auch immer wieder mit der betreuenden Ärztin oder dem betreuenden Arzt zu thematisieren. Denn je mehr verschiedene Medikamente gleichzeitig eingenommen werden, desto grösser ist das Risiko, dass sich Wechselwirkungen und Reaktionen daraus ergeben. Aus diesem Grund sollte die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt bei jeder Neuverschreibung über alle einzunehmenden Medikamente informiert werden.