Medikamente und Nebenwirkungen: Sollen ängstliche Patienten den Beipackzettel besser nicht lesen?

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Martine Ruggli, Präsidentin Schweizerischer Apothekerverband pharmaSuisse
Martine Ruggli, Präsidentin Schweizerischer Apothekerverband pharmaSuisse
Quelle: TCS MyMed

Martine Ruggli, Präsidentin Schweizerischer Apothekerverband pharmaSuisse, zum Thema Nebenwirkungen von Medikamenten.

Frau Ruggli, wie ist Ihre Erfahrung: Haben Kunden oder Patienten Angst vor Nebenwirkungen?
Ja, natürlich. Wenn ein Patient den Beipackzettel seiner Medikamente liest, ist er oft erschrocken über die lange Liste der Nebenwirkungen. In den meisten Fällen werden nur wenige auftreten und meistens nur in milder bis mittlerer Intensität. Starke Nebenwirkungen bilden glücklicherweise die Ausnahme. Es ist aber trotzdem wichtig, den Rat einer medizinischen Fachkraft in Anspruch zu nehmen, wenn eine Nebenwirkung auftritt.

Können Nebenwirkungen für immer bleiben?
Ja, leider kann das vorkommen und manchmal sogar zum Tod führen; dies ist jedoch selten. Das Auftreten von Nebenwirkungen hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem vom Wirkmechanismus des Medikaments, der Dosis, der Anwendungsdauer, der Empfindlichkeit des Patienten (zum Beispiel allergische Reaktionen), seinem Gesundheitszustand (zum Beispiel bei Nierenproblemen), den besonderen Umständen der Anwendung (zum Beispiel Dehydrierung des Patienten), aber auch von der Tatsache, dass andere Medikamente eingenommen werden (sogenannte Wechselwirkungen). Der Patient sollte seinen Arzt oder Apotheker informieren, wenn er andere Medikamente einnimmt und auch nach den häufigsten Nebenwirkungen des Medikaments erkundigen – und was zu tun ist, wenn sie auftreten.

Lassen sich Nebenwirkungen nicht von vornherein verhindern?
Nein, leider nicht. Wie oben ausgeführt, gibt es viele Einflussfaktoren. Manchmal sind die Nebenwirkungen bekannt, werden aber in Kauf genommen, weil das Medikament einen grösseren Nutzen bringt als das Problem, das es verursacht. Nehmen wir das Beispiel der Chemotherapie in der Krebsbehandlung: Wir alle wissen, dass diese Medikamente viele Nebenwirkungen haben, wie Übelkeit und Erbrechen oder Haarausfall, um nur zwei zu nennen, aber sie retten dem Patienten oft das Leben ... also akzeptiert er die Nebenwirkungen.

Gibt es weitere Einflussmöglichkeiten – ausser der Einnahmezeit?
Selbstverständlich! Es ist wichtig zu wissen, dass unerwünschte Wirkungen meist zu Beginn einer Behandlung auftreten, in der Zeit, in der sich der Körper an die Wirkung des Medikaments gewöhnt. Die meisten dieser Effekte neigen dazu, nach einigen Tagen oder Wochen zu verschwinden. Manchmal ist es auch möglich, einfache Massnahmen zu ergreifen, wie zum Beispiel wie erwähnt die Änderung der Einnahmezeit, die Einnahme zu einer Mahlzeit oder die Verteilung der Dosis über den Tag, um die Auswirkungen zu verringern. Manchmal ist es notwendig, ein anderes Medikament zu geben, das die Nebenwirkungen des ersten Medikaments reduziert.

Kortison ruft wohl die meisten Ängste hervor?
Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Denn richtig eingesetzt, kann Kortison wahre Wunder bewirken. Kortison ist ein Medikament, das bestens bekannt ist, und wir wissen, wie es klugerweise für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt wird, damit es keine langfristigen problematischen Nebenwirkungen verursacht. Die Angst des Patienten kann aber auch mit der erwarteten positiven Wirkung zusammenhängen: Wenn Sie zum Beispiel unter extrem starken Schmerzen leiden, werden die Nebenwirkungen nicht Ihre grösste Sorge sein, da es in erster Linie darum geht, endlich von diesen unerträglichen Schmerzen erlöst zu werden.

Lassen sich Nebenwirkungen auch durch gezielte Mahlzeiten verringern?
Manchmal kann die Einnahme des Medikaments mit einer Mahlzeit helfen, Nebenwirkungen zu reduzieren. Dies gilt jedoch keineswegs für alle Medikamente oder für alle Menschen. Auch hier lohnt es sich, Ihren Apotheker um Rat zu fragen.

Sind Antibiotika wirklich so heikel, wie manche behaupten?
Nein, ganz und gar nicht! Denken Sie daran: Antibiotika retten jeden Tag Leben. Bevor Antibiotika vor siebzig Jahren entdeckt wurden, starben die Menschen an Infektionen, die heute leicht zu behandeln sind. Aber jetzt stehen wir vor der Bedrohung durch antibiotikaresistente Bakterien, die auftauchen. Das ist ein grosses Problem auf der ganzen Welt. Es ist daher sehr wichtig, Antibiotika nur dort einzusetzen, wo sie benötigt werden, und für die richtige Dauer, um die Infektion zu beheben – nicht mehr und nicht weniger. Um den sachgerechten Einsatz von Antibiotika zu erhöhen, hat der Bund 2018 die Kampagne «Antibiotika: Nutze sie richtig, es ist wichtig» gestartet. Und glücklicherweise stellen wir fest, dass sie beginnt, Früchte zu tragen.

Kann man Nebenwirkungen mit einem anderen Medikament bekämpfen?
Ja, das wird sehr oft gemacht und es funktioniert meistens gut. Wenn Sie zum Beispiel Magenprobleme bei der Einnahme von Schmerzmitteln bekommen, können diese Nebenwirkung mit einem magenschonenden Medikament gedämpft werden. Wenn die Nebenwirkungen bekannt und zu erwarten sind, wird das Medikament von Beginn der Behandlung an auf den Patienten abgestimmt. Zum Beispiel erhält ein Patient bei einer Morphinbehandlung gegen starke Schmerzen immer ein Standard-Abführmittel, um die durch das Morphin verursachte Verstopfung zu begrenzen.

Sollen ängstliche Patienten den Beipackzettel besser nicht lesen?
Das würde ich so nicht sagen. Am besten ist es, mit einer Fachperson darüber zu sprechen, so dass diese über die Wahrscheinlichkeit von unerwünschten Wirkungen aufklären kann, und vor allem darüber, was zu tun ist, wenn sie auftreten. In jedem Fall sollten Sie Ihre Therapie nicht ändern, wie etwa die Dosierung verringern oder Einnahmen auslassen, ohne Ihren Arzt oder Apotheker zu informieren. Ebenso wichtig ist es, sich vor der Einnahme von rezeptfreien Medikamenten zur Linderung einer unerwünschten Wirkung professionellen Rat zu holen, da diese auch mit den übrigen vom Arzt verschriebenen Medikamenten interagieren können. Das gilt übrigens auch für rein pflanzliche Produkte.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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