Allergien: Dank Desensibilisierung mehr Lebensqualität

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Desensibilisierung
Desensibilisierung
Quelle: TCS MyMed

Allergien gehören für viele Menschen zum ganz normalen Alltag dazu. Man hat sich daran gewöhnt und gelernt, damit zu leben. Doch das muss nicht sein – dank der Desensibilisierung. Roxane Guillod, Expertin bei aha! Allergiezentrum Schweiz, erklärt, wann eine Desensibilisierung sinnvoll ist und wie sie funktioniert.

Frau Guillod, was ist eine Allergie genau?
Eine Allergie ist eine Überreaktion des Immunsystems auf eigentlich harmlose Stoffe – meistens Eiweisse – aus der Umgebung, etwa Pollen oder Hausstaubmilben. Dabei werden IgE-Antikörper produziert und in der Folge wird unter anderem Histamin ausgeschüttet: ein Stoff, der die Gefässe erweitert und durchlässiger macht. Das ruft Symptome bei verschiedenen Organsystemen hervor. Abhängig vom Allergen kann es zum Anschwellen der Schleimhäute, zu tränenden Augen, laufender Nase bis hin zu Atemnot oder einem allergischen Schock kommen.

Wie entsteht eine Allergie?
Eine Allergie entsteht in zwei Phasen: Nach einem ersten Kontakt mit dem Allergen – etwa Pollen – entwickelt das Immunsystem auf diese Pollenart sogenannte IgE-Antikörper. Diese Antikörper sind in dieser Sensibilisierungsphase vorerst inaktiv und verbleiben eine gewisse Zeit im Körper. Es besteht nun eine Allergiebereitschaft. Bei einem erneuten Kontakt mit dieser Pollenart kann es sein, dass es zu einer allergischen Reaktion kommt.

Warum reagiert man plötzlich allergisch?
Die Bereitschaft, eine Allergie zu entwickeln, ist angeboren, also eine familiäre Vorbelastung. Bei der persönlichen Veranlagung spricht man von einer Atopie oder atopischen Krankheit. Eine Allergie kann aber auch plötzlich neu entstehen und irgendwann im Leben neu auftreten. Die Gründe dafür sind bis heute noch nicht vollständig geklärt.

Was ist eine Desensibilisierung und wie funktioniert sie?
Eine Desensibilisierung – auch allergenspezifische Immuntherapie genannt – setzt nun an dieser Überreaktion des Körpers an, in dem sie den Körper langsam an das Allergen gewöhnt – mit Hilfe einer sogenannten Toleranzentwicklung. Das geht so: Mithilfe eines Haut- und Bluttests prüft die Allergologin oder der Allergologe, welche Stoffe die allergische Reaktion auslösen. Diesem individuellen Profil entsprechend wird die Therapielösung mit Allergenen administriert, die dann regelmässig unter ärztlicher Aufsicht in den Oberarm injiziert oder unter die Zunge gegeben wird.

Für welche Allergien ist eine Desensibilisierung geeignet?
Bei Pollen, Bienen- und Wespengift sowie Hausstaubmilben ist eine allergenspezifische Immuntherapie möglich. Bei einer Tierallergie kann das Risiko für Nebenwirkungen erhöht sein, wenn das Tier während der Therapie weiterhin im Haushalt lebt.

Wie effektiv ist die allergenspezifische Immuntherapie bei der Behandlung von Allergien?
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass bei allergischen Erkrankungen die allergenspezifische Immuntherapie wirksam ist. So können etwa die Beschwerden einer Pollenallergie bis zu 80 Prozent reduziert werden. Bei einer Therapie mit Hausstaubmilbenallergenen ist der Erfolg ähnlich hoch. Rund 85 Prozent der Betroffenen, die gegen Bienengift allergisch sind, können von den Folgen eines erneuten Stichs geschützt werden. Bei Menschen mit einer Wespengiftallergie liegt die Erfolgsquote bei 95 Prozent. Zur Wirksamkeit der Immuntherapie mit Tierallergenen gibt es erst wenige wissenschaftliche Daten. Die Vorteile auf einen Blick: Reduktion der Beschwerden und des Medikamentenverbrauchs, Verbesserung der Lebensqualität und Verhinderung der Entstehung von Asthma. 

Wie lange dauert eine Desensibilisierung in der Regel?
Eine allergenspezifische Immuntherapie kann drei bis fünf Jahre dauern.

Welche Methoden werden bei der Desensibilisierung eingesetzt?
Die Immuntherapiepräparate können auf zwei verschiedene Arten verabreicht werden: mit Hilfe einer Spritze unter die Haut in den Oberarm (subkutan) oder mit Tabletten/Tropfen, die unter die Zunge gegeben werden (sublingual).

Die subkutane Immuntherapie besteht aus den folgenden Phasen: In der sogenannten Einleitungsphase wird die Therapielösung in der Regel alle ein bis zwei Wochen in den Oberarm injiziert – durch die Allergologin oder den Allergologen. Dabei wird die Konzentration des Allergens langsam gesteigert – bis zur individuellen Höchstdosis, die sogenannte Erhaltungsdosis. Nun beginnt die Erhaltungsphase, in der die Therapielösung in der Regel nur noch einmal im Monat verabreicht wird.

Die sublinguale Immuntherapie gibt es zurzeit bei Allergien gegen bestimmte Pollen und Hausstaubmilben. Die Behandlung kann auf zwei verschiedene Arten gestartet werden: entweder mit einer Erhaltungsdosis gleich von Beginn an oder durch eine Erhöhung der Allergenkonzentration über einige Tage oder Stunden – ebenfalls unter ärztlicher Aufsicht.

Gemeinsam mit der Allergologin oder dem Allergologen wird entschieden, welche Immuntherapie ideal ist.

Welche Risiken und Nebenwirkungen können bei einer Desensibilisierung auftreten?
Die allergenspezifische Immuntherapie wird normalerweise sehr gut vertragen. Am häufigsten treten sechs bis zwölf Stunden nach der Injektion Schwellungen um die Einstichstelle auf. Nur sehr selten kann es zu Nesselfieber, allergischem Schnupfen oder Asthma kommen. Durch die ärztliche Überwachung ist ein rasches Handeln problemlos möglich. Bei der sublingualen Immuntherapie treten Nebenwirkungen am häufigsten als Schleimhautreaktionen im Mund auf – beispielsweise Juckreiz, Schwellungen oder Reizungen. Antihistaminika schaffen bei diesen kurzzeitigen Beschwerden schnell Abhilfe.

Gibt es bestimmte Voraussetzungen oder Kontraindikationen für eine Desensibilisierungstherapie?
Die Allergie muss für eine allergenspezifische Immuntherapie eindeutig diagnostiziert sein. Eine Desensibilisierung wird empfohlen, wenn die medikamentöse Therapie keine ausreichende Besserung bringt und die Lebensqualität eingeschränkt ist. Die Desensibilisierung kann zudem einen sogenannten Etagenwechsel verhindern – also den Übergang von einem allergischen Schnupfen zu einem allergischen Asthma.

Ob eine Desensibilisierung in Frage kommt, muss immer individuell mit der Allergologin oder dem Allergologen abgesprochen werden. Bei bestimmten Krankheiten muss die Desensibilisierung genau abgewogen werden – etwa bei schwerem Asthma, bei Krebsleiden, bei schweren Herz- oder Lungenerkrankungen, bei nicht therapiertem Bluthochdruck, bei der Einnahme bestimmter Medikamente wie Betablocker, bei schweren Autoimmunerkrankungen und bei unzureichender Therapietreue der betroffenen Person.

Schwangere Frauen sollten ebenfalls keine Desensibilisierung beginnen, da die Stärke der Immunreaktion und deren Einfluss auf den Fötus nicht ausreichend vorhersehbar sind.

Wie lange hält die Wirkung einer Desensibilisierung an?
Das ist von Person zu Person sehr verschieden. Normalerweise hält die Wirkung ungefähr zehn Jahre an.

Kann eine Desensibilisierung auch bei Kindern durchgeführt werden?
Ja, das ist in der Tat möglich und wird auch empfohlen. Damit lassen sich die Beschwerden reduzieren und möglicherweise ein Etagenwechseln verhindern. In der Schweiz sind die meisten Immuntherapien ab dem fünften Lebensjahr zugelassen.

Gibt es alternative Behandlungsmethoden für Allergien, wenn eine Desensibilisierung nicht möglich ist?
Wenn eine Desensibilisierung nicht möglich ist, gilt es die Allergiebeschwerden möglichst gering zu halten. Etwa indem man seine Symptome mit Medikamenten im Griff hat – für Atemwegsallergien reichen meistens Antihistaminika in Form von Tabletten, Nasensprays und Augentropfen, allenfalls in Kombination mit Kortisonpräparaten aus. Ebenfalls wichtig ist es, den Kontakt mit dem Allergen zu meiden – dafür helfen je nach Allergen unterschiedliche Massnahmen wie etwa das Tragen einer Sonnenbrille, damit keine Pollen in die Augen fliegen, das Nutzen von milbendichter Bettwäsche oder das Waschen der Hände nach jedem Tierkontakt.

Wie hoch sind die Kosten für eine Desensibilisierung und werden sie von der Krankenkasse übernommen?
Die Kosten der allergenspezifischen Immuntherapie hängen von folgenden Faktoren ab:

  • Region/Taxpunkte der Ärztin oder des Arztes
  • Therapieform: Spritze, Tropfen/Tabletten
  • Anzahl Arztbesuche, die mit der Immuntherapie verbunden sind (Spritzen brauchen mehr Arztbesuche als Tabletten/Tropfen)
  • Kombination der Therapie (ein Allergen vs. mehrere Allergene gleichzeitig)

Gemäss Erfahrungswerten aus unseren Fachkreisen ist bei einer sublingualen Therapie (mit Tabletten) mit jährlichen Kosten von mindestens CHF 800.– bis 1’000.– zu rechnen. Wir empfehlen, sich bei der behandelnden Allergologin oder beim behandelnden Allergologen zu erkundigen.

Gibt es spezielle Empfehlungen oder Massnahmen, die während einer Desensibilisierung beachtet werden sollten?
Während der Therapie ist darauf zu achten, dass die Termine für die Injektionen bzw. der Zeitpunkt für die Einnahme der Tabletten oder Tropfen unbedingt eingehalten werden. Nach jeder Injektion muss man 30 Minuten unter ärztlicher Kontrolle warten, um sicher zu sein, dass sie gut vertragen wird. Am Injektionstag sollte man auf grössere körperliche Anstrengungen, Sport oder Saunabesuch verzichten. Ideal ist es, den Kontakt mit den relevanten Allergieauslösern soweit wie möglich zu meiden.

Weitere Informationen erhalten Sie in der Broschüre «Allergenspezifische Immuntherapie» des aha! Allergiezentrum Schweiz.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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