Eine Ernährungsmedizinerin und Professorin an der Hochschule für Gesundheitsberufe «Institut et Haute École de la Santé La Source» spricht öffentlich mit einem Chefkoch und Gastronomie-Historiker darüber, mit welchen Lebensmitteln sich Entzündungen wirksam bekämpfen lassen.
Allergien, Unverträglichkeiten, Entzündungen, das Mikrobiom: Unsere Ernährung beeinflusst unsere Gesundheit in vielerlei Hinsicht. Im Rahmen der von La Source veranstalteten Konferenzreihe «Toque et doc» diskutieren Fachleute das Thema in aller Öffentlichkeit. MyMed war bei einer Diskussion zum Thema «Lebensmittel als Entzündungshemmer» dabei.
In einer Zeit, in der immer mehr Menschen an Allergien und chronischen Krankheiten leiden, wird es immer wichtiger, den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit besser zu verstehen. Es gibt bestimmte Mechanismen, die eine Entzündung und auch oxidativen Stress auslösen können, der sich sogar schädlich auf unser Genom auswirkt. Zwischen dieser sogenannten «Entzündungskaskade» und den Lebensmitteln, die wir zu uns nehmen, gibt es einen Zusammenhang.
Professorin Dominique Truchot-Cardot erklärt, dass die «Entzündungskaskade» der Auslöser für die meisten chronischen entzündlichen Erkrankungen der Gelenke, des Magen-Darm-Traktes oder anderer Stellen im menschlichen Körper ist. Die Immunzellen im Körper, die den Organismus schützen sollen, reagieren überempfindlich auf verschiedene Substanzen, die Auslöser für oxidativen Stress sein können, und sind schliesslich dauerhaft in Alarmbereitschaft. Der Organismus richtet seinen Verteidigungsmechanismus gegen sich selbst und reagiert mit einer entzündlichen Erkrankung.
In der Schweiz leiden 12 000 Menschen an einer chronischen Darmentzündung, 85 000 an rheumatoider Arthritis (womit die Schweiz eines der am stärksten betroffenen Länder ist) und 400 000 an einer chronischen Bronchitis.
Da die genannten Erkrankungen in erster Linie von Sauerstoffradikalen ausgelöst werden, sollte man meinen, dass solche Krankheiten Geschichte sind, wenn dem Körper nur ausreichend Antioxidantien wie Vitamin E, Vitamin C, Polyphenole und Carotinoide zugeführt werden. Doch so einfach ist es leider nicht. In mindestens drei Studien wurde gezeigt, dass die verstärkte Zufuhr von Antioxidantien in manchen Fällen solchen Krankheiten tatsächlich vorbeugt, eine bereits vorhandene Erkrankung aber oft sogar noch verschlimmert. So verschlimmerte sich beispielsweise der Prostatakrebs bei bereits erkrankten Patienten und Raucher, denen Betacarotin verabreicht wurde, litten verstärkt unter Lungenkrebs und die Sterblichkeitsrate stieg auf 28 Prozent.
Kann man die schädlichen Sauerstoffradikale also einfach mit der richtigen Ernährung in den Griff bekommen, ohne auf Tabletten oder Nahrungsergänzungsmittel zurückgreifen zu müssen? Dazu erklärt Chefkoch Philippe Ligron, dass die Menschen nachweislich schon seit jeher und lange bevor die genauen Abläufe in den Zellen bekannt waren, versucht haben, Schmerzen durch den Verzehr bestimmter Nahrungsmittel in den Griff zu bekommen, und ihre diesbezüglichen Erfahrungen an andere weitergegeben haben. Schon Karl der Grosse habe dieses Wissen zusammentragen und im Buch «Capitulaire de Villis» niederlegen lassen, in dem 94 Pflanzen erfasst waren, die erwiesenermassen Krankheiten vorbeugen oder diese heilen konnten. Diese Pflanzen sollten in allen grossen Städten seines Reiches angebaut werden.
Ligron erzählt auch so einiges, das kaum bekannt ist. Oder wussten Sie, dass der Verzehr von Fleisch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa eher zum Angeben als zur Nahrung diente? Früher kam ausschliesslich Wild auf den Tisch. Wer Fleisch haben wollte, musste also jagen. Für die Jagd waren aber grosse Ländereien notwendig, wie sie nur die Reichen besassen. Fleisch war daher der Oberschicht vorbehalten. Der Grossteil der Bevölkerung kann erst seit der Entstehung der industriellen Fleischproduktion nach 1945 Fleisch essen, wann immer es ihm gefällt. Das war gut für die einfachen Leute, denn im roten Fleisch stecken viele gesättigte Fettsäuren und es kann, wenn es nicht richtig zubereitet wird, Gicht auslösen. Das ist nichts anderes als eine Entzündung, unter der früher vor allem die Reichen litten.
Allerdings beinhaltet eine gesunde Ernährung weit mehr, als nur auf Fleisch zu verzichten. Die beiden Fachleute sind sich einig: Dass viele Menschen mehr als nur eine «Baustelle» haben, ist vor allem der Qualität unseres heutigen Essens geschuldet. Während die Preise für Lebensmittel gestiegen sind, hat ihre Qualität abgenommen: Sie sind zu stark verarbeitet, enthalten zu viel Fett und Zucker. Ihr Rat? Eine ausgewogene Ernährung ohne Verbote und mit möglichst wenig gekochten Lebensmitteln, denn kochen bedeutet immer auch verarbeiten. Die Experten empfehlen auch saisonale Lebensmittel, denn die Natur sorgt dafür, dass wir uns ausgewogen und gesund ernähren, indem sie genau das bereitstellt, was wir in der jeweiligen Jahreszeit am meisten brauchen. Laut Chefkoch Ligron nehmen Unverträglichkeiten und andere Probleme zu, weil unsere Lebensmittel immer stärker verarbeitet und «optimiert» werden. Wenn man ein Sauerteigbrot isst, das wie früher mit Mehl ohne viele Zusätze gebacken wurde, ist eine Glutenunverträglichkeit weniger schlimm als wenn man beispielsweise ein Weissbrot von der Tankstelle isst. Der Grund dafür ist einfach: Während der Sauerteig reift, verschwindet ein Grossteil des Glutens.
Für alle, die wissen wollen, wie man gut isst, hat der Koch einen einfachen Ratschlag parat: «Heutzutage kursieren so viele widersprüchliche Informationen, dass die Leute es fast nicht mehr wagen, überhaupt noch etwas zu essen. Nehmen Sie sich die Zeit, frisch zu kochen, mit Zutaten, von denen Sie wissen, wo sie herkommen. Greifen Sie bei Bedarf auf Lebensmittel zurück, die von Natur aus eine entzündungshemmende Wirkung haben, wie schwarzer Knoblauch oder Kurkuma, aber auch rote Früchte, Brokkoli, Kohl und Blumenkohl, Avocados oder Fisch mit hohem Fettanteil. Beim Anblick eines leckeren selbstgekochten Gerichts läuft uns das Wasser im Mund zusammen. Und damit hat die Verdauung schon begonnen.»
Auf den Körper hören und besser essen
Bild
Ernährung
Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.