Brustkrebsnachsorge: Eine umfassende und «massgeschneiderte» Behandlung

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Dr. Jean-Philippe Zürcher, Spital von Morges
Dr. Jean-Philippe Zürcher, Spital von Morges
Quelle: TCS MyMed

Dr. Jean-Philippe Zürcher, Chefarzt der Onkologie im Spital von Morges, spricht mit uns über die Brustkrebsnachsorge bei seinen Patientinnen.

Herr Dr. Zürcher, eine Brustkrebsdiagnose stellt für Patientinnen zuallererst einen Schock dar, der ihr Leben durcheinanderwirbelt. Gibt es dazu Zahlen? Wie viele Frauen in der Schweiz sind betroffen?
Es trifft etwa jede achte Frau, in der Schweiz sind das also über 6000 Fälle jährlich.

Laut Statistik liegt die Erfolgsquote der Behandlungen recht hoch, wenn der Krebs frühzeitig erkannt wird. Sie liegt bei rund 80 Prozent, ist das korrekt?
Ganz genau, sie liegt sogar noch höher. Zwischen fünf und zehn Prozent der entdeckten Krebserkrankungen befinden sich leider bereits in einem fortgeschrittenen Stadium mit Metastasen. Doch wenn der Krebs in einem Frühstadium entdeckt wird, ist er heilbar, und die Erfolgsquote der Behandlungen erreicht sogar 90 Prozent.

Wenn wir heute über das Thema Nachsorge sprechen, bedeutet das, dass der Krebs bei der Patientin bereits entdeckt wurde und man sie behandelt hat. Oder gibt es auch eine Nachsorge vor der Operation?
Heutzutage ist die Therapie ganzheitlich und wird von unterschiedlichen Spezialisten durchgeführt. Man kann hier also sagen, dass die Patientinnen von Beginn an eine Nachsorge erhalten, sogar vor ihrer Operation.

Onkologen sind also nicht allein zuständig?
In der Schweiz werden immer mehr «Brustzentren» geschaffen. Dort übernimmt praktisch eine spezialisierte Pflegekraft die Behandlung, die Breast Nurse. Sie ist die Ansprechpartnerin der Patientinnen und hilft bei der Koordination unterschiedlicher medizinischer Fragen. Darüber hinaus stellt meist der Gynäkologe den «Erstkontakt» nach einer Krebsdiagnose her.

Anschliessend beginnt dann ein komplexes und individuelles Verfahren?
Jeder Fall wird in einem multidisziplinären Kolloquium besprochen, in dem sich einmal pro Woche Gynäkologen, Onkologen, Radiologen, Radioonkologen, die Breast Nurse, ein Rekonstruktionschirurg, ein Spezialist für Genetik usw. zusammenfinden. Dieses Team geht die Fälle durch, betrachtet die Diagnose und passt die Behandlung an, um jede Patientin bestmöglich zu therapieren.

Wissen Sie nach einem solchen Kolloquium, welche Behandlung sich für welche Patientin anbietet?
Genau darum geht es. Wir wollen wissen, welche Therapie sich am besten für die Patientin eignet, und die Reihenfolge der Behandlungen festlegen.

Weil die Chirurgie nicht immer die beste Lösung ist?
Doch, in vielen Fällen ist sie das, weil man mit ihr die Erkrankung vollständig heilen kann. Manchmal allerdings wenden wir vorbereitende, so genannte neoadjuvante, Behandlungen an. Sie ermöglichen bei einigen Krebs-Unterarten, weitere Informationen für die Prognose zu erhalten und diese anschliessend anzupassen. In bestimmten Fällen führt man deshalb eine vorbereitende Chemotherapie durch, um anschliessend in einer Operation den Rest entfernen zu können. Wenn kein lebensfähiger Tumor zurückbleibt, was je nach Krebs-Unterart in etwa 40 bis 50 Prozent der Fälle zutrifft, verbessert das die Prognose.

Ist dann keine Operation notwendig?
Doch, weil man das Ergebnis einer Chemotherapie nie sicher bestimmen kann und wir kein Risiko eingehen. Ist der Krebs vollständig entfernt, verbessert das die Prognose abermals. Falls nicht, passen wir die Behandlung an. So können wir die Therapie individuell einstellen und die Prognose der Patientin verbessern. Anschliessend gehen wir zu adjuvanten Behandlungen und der postoperativen Nachsorge über.

Also ist die Behandlung inzwischen «präziser» geworden ...
Ja. Aufgrund der Therapiebedingungen, einer genaueren Diagnostik und verschiedenster neoadjuvanter und adjuvanter Behandlungen können wir unser Vorgehen in jedem einzelnen Fall genau anpassen. So ist beispielsweise nicht unbedingt eine komplette Abnahme der Brust nötig.

Wer stellt in der Praxis die Nachsorge der Patientinnen sicher?
Grundsätzlich die Onkologen, allerdings kann das in der Schweiz je nach Region etwas variieren. Einige Gynäkologen tun es ebenfalls. Adjuvante Behandlungen wie Chemotherapien oder Hormontherapien werden allerdings hauptsächlich von Onkologen durchgeführt.

Wie lange dauert diese Nachsorge?
Sie dauert recht lange. Die Hormontherapie dauert beispielsweise mindestens fünf Jahre. Und je nach Krebsart kann die Nachsorge bis zu 10 Jahre dauern.

Welche Anliegen haben Patientinnen im Stadium der Nachsorge hauptsächlich?
Grundsätzlich geht es um die Nebenwirkungen der adjuvanten Behandlungen. Eine Chemotherapie führt zu Haarausfall, mehrmonatiger Arbeitsunfähigkeit, sie wirkt sich auf das Familienleben und das gesellschaftliche Leben aus ... Auch die Hormontherapie und die Bestrahlung beeinträchtigen die Patientinnen. Diese Behandlungen dauern lang und erzeugen durchaus Ängste, die häufig eine psychologische Unterstützung erforderlich machen.

Betrifft sie auch die Folgen der chirurgischen Behandlung?
Selbstverständlich. Die Narbenbildung dauert eine gewisse Zeit, man benötigt Physiotherapie, um die Beweglichkeit der Schulter wiederherzustellen. Ausserdem müssen die Patientinnen die Situation verarbeiten und die Veränderungen akzeptieren. Fragen zu einem notwendigen Brustaufbau oder einer Wiederherstellung werden im Allgemeinen vor der Operation geklärt.

Doch auch das wird bei der Nachsorge einbezogen ...
Ja. Allerdings können heutzutage viele Tumore operiert werden, ohne dass die ganze Brust abgenommen werden muss. Häufig führt man direkt bei der Operation eine Wiederherstellung durch.

Und die Sorge vor einem Rückfall?
Selbstverständlich beunruhigt die Sorge vor einem Rückfall die Patientinnen. Die Ursachen für einen Rückfall hängen von biologischen Faktoren, der Aggressivität und der Ausbreitung (Stadium) des Tumors ab. Im Spezialistenteam entscheiden wir anhand dieser Kriterien gemeinsam über den weiteren Behandlungsverlauf: Chemotherapie ja oder nein, Hormontherapie, wenn der Tumor auf Hormone anspricht, und Bestrahlung. Letztere hängt von der Art der Operation und dem Tumorstadium ab.

Der psychologische Aspekt ist sehr wichtig, möchte man meinen …
Ja, das ist er in der Tat. In unseren Teams finden sich auch Psychoonkologen, die mit den Patientinnen reden, sie begleiten und unterstützen. Hier in Morges haben wir zudem das Glück, die Dienste eines Sozialarbeiters der Krebsliga Waadt nutzen zu können, die sich für eine umfassende ganzheitliche Therapie einsetzt.

Onkologen sind also nicht nur höchst qualifizierte Spezialisten, sondern müssen auch psychologisches Feingefühl mitbringen ...
Das macht einen grossen Teil unserer Arbeit aus, auch wenn wir leider nicht immer die nötige Zeit dafür haben. Deshalb haben wir uns für einen interdisziplinären Ansatz mit zahlreichen Spezialisten unterschiedlicher Fachgebiete entschieden, darunter spezialisierte Pflegekräfte, die eine Fachweiterbildung in diesem Bereich absolviert haben, aber beispielsweise auch die Nutzung von Hypnosetechniken. So können wir den Patientinnen die bestmögliche Nachsorge garantieren und ihnen Unterstützung anbieten, was noch wichtiger ist.

Und diese Nachsorge steht den Patientinnen jederzeit zur Verfügung?
Ja. Sie haben die Nummer der für sie zuständigen Pflegekraft und können diese im Bedarfsfall kontaktieren, ohne dafür vorher im Sekretariat des Arztes anrufen zu müssen. So können sie sich umsorgt fühlen, da ihnen eine Ansprechpartnerin zur Verfügung steht, und das ist sehr wichtig. Der psychologische Aspekt spielt bei der Heilung eine grundlegende Rolle und muss unbedingt miteinbezogen werden.

Und ich habe gehört, dass sich die Massnahmen sogar über das Krankenhaus hinaus erstrecken ...
Ja, wir arbeiten mit verschiedenen Partnern zusammen, vor allem im sportlichen Bereich für die Rehabilitation. So sind wir beispielsweise Partner einer Rudergruppe, die sich «Ramer en rose» nennt und Patientinnen während oder kurz nach der Behandlung unterrichtet. Das wirkt sich ausgesprochen positiv aus. Die Patientinnen erholen sich sehr viel schneller. Laut einer neueren Studie können derartige Aktivitäten das Risiko eines Rückfalls um 20 Prozent verringern.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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