Angststörung: Bis zu welchem Grad ist Angst normal?

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Frau lic. phil. Dorothee Schmid, Privatklinik Wyss AG
Frau lic. phil. Dorothee Schmid, Privatklinik Wyss AG
Quelle: TCS MyMed

Frau lic. phil. Dorothee Schmid, Fachpsychologin, Integriertes Behandlungsprogramm Angst- und Zwangsstörungen der Privatklinik Wyss, zum Thema Angststörung.

Frau Schmid, kein Mensch ist frei von Ängsten. Bis zu welchem Grad ist Angst normal und ab wann wird sie krankhaft?
Angst ist dann normal, wenn sie durch reale Bedrohungen oder Gefahren ausgelöst wird – also durch Gefahren, die objektivierbar sind und vom überwiegenden Teil der Menschheit als Gefahren betrachtet werden. Man nennt diese Angst deswegen auch Realangst. Eine krankhafte Angst oder eine Angststörung liegt dann vor, wenn sie durch etwas ausgelöst wird, was von den allermeisten als ungefährlich bewertet wird, wenn sie also keinen realen Hintergrund hat.

Gibt es verschiedene Angststörungen?
Ja, man unterscheidet etwa sechs unterschiedliche Arten der Angststörung.

  • Einfache oder spezifische Phobie: Angst vor einer bestimmten Situation oder vor bestimmten Objekten (Angst vor Hunden, Spinnen etc., Höhenangst, Angst vor engen oder geschlossenen Räumen).
  • Agoraphobie (Platzangst): Angst vor grossen Plätzen, vor weiten grossen Räumen; Betroffene fürchten sich davor, Orte, die sie als sicher erleben, zu verlassen.
  • Soziale Phobie: Angst in sozialen Situationen, vor negativer Bewertung durch andere.
  • Panikstörung: Anfallsartige, schwere Angst, die Betroffene «aus heiterem Himmel» anfällt. In der Regel mit Todesängsten oder Angst vor Katastrophen verbunden.
  • Agoraphobie mit Panik: Betroffene gehen nicht mehr aus dem Haus, weil sie befürchten, unterwegs eine Panikattacke zu erleiden und dann der Situation hilflos ausgeliefert zu sein.
  • Generalisierte Angststörung: Anhaltende Angst, die viele Lebensbereiche betrifft, ständiges und übermässiges Besorgtsein.

Eine Spezialform der Angststörung ist die posttraumatische Belastungsstörung. Sie kann nach Ereignissen auftreten, die eine reale Bedrohung für Leib und Leben der Betroffenen waren oder bei denen jemand zuschauen musste, wie andere Personen an Leib und Leben bedroht wurden.

Wie äussert sich die Angst bei einer krankhaften Form?
Das wichtigste Kennzeichen besteht darin, dass sich Betroffene in oder vor Situationen fürchten, die vom Umfeld als nicht gefährlich bewertet werden. Die sichtbaren oder feststellbaren Anzeichen sind die gleichen wie bei der Realangst: Veränderung des Atems, muskuläre Verkrampfung, häufig Schweissausbrüche, Fluchttendenz oder Erstarren, blass werden oder erröten, stockendes Sprechen oder angstvolle Äusserungen. Weitere sichtbare Zeichen sind das Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten der Betroffenen. Das heisst, sie vermeiden alles, was Angst auslösen könnte, und versuchen sich in jeder Hinsicht abzusichern.

Wodurch wird eine Angststörung ausgelöst? Kann es sogar einen genetischen Hintergrund geben?
Es existieren mehrere Erklärungsmodelle. Laut lerntheoretischen Modellen wird die krankhafte Angst beispielsweise durch klassische Konditionierung erlernt. Das heisst, ein Reiz, der ursprünglich keine Angst hervorruft, wird mit einem echten Angstauslöser gekoppelt und löst anschliessend ebenfalls Angst aus. Oder die Angst wird gewissermassen belohnt, indem die Betroffenen aufgrund ihres ängstlichen Verhaltens mehr Zuwendung erhalten oder geschont werden. Angst lässt sich aber auch am Modell lernen: Ängstliche Eltern zum Beispiel bringen ihren Kindern bei, dass überall Gefahren lauern. Die kognitive Theorie besagt, dass krankhafte Angst entsteht, wenn eine Person Gefahren stärker einschätzt als die Ressourcen für die Bewältigung. Psychodynamische Modelle gehen von ungeklärten, unbefriedigten oder nicht zu vereinbarenden Bedürfnissen bzw. Wünschen aus. Als Beispiel lässt sich da der katholische Priester nennen, der sich verliebt. Auch neurobiologische Prozesse (Ungleichgewicht im Hirnstoffwechsel) sind nach heutigem Wissen an der Entstehung von Angststörungen beteiligt.

Ist ein Mensch, der sich um vieles Sorgen macht im Leben, anfälliger für eine Angststörung?
Hier müsste man genauer hinschauen. Möglicherweise erfüllt dieses Besorgtsein das Kriterium einer generalisierten Angststörung. Die Frage wäre also nicht nur, ob eine solche Person anfälliger ist, sondern ob sie allenfalls bereits an einer Angststörung leidet. Ist das (noch) nicht der Fall, müsste man wahrscheinlich davon ausgehen, dass dieser Mensch zumindest eine erhöhte Angstbereitschaft aufweist.

Welche Rolle spielt Stress bei einer Angststörung?
Stress (und zwar der negative) spielt insofern eine Rolle, als er das Erregungsniveau eines Menschen erhöht. Anstatt sich im individuell normalen Erregungsbereich zu bewegen, ist man durch Stress bereits in einem höheren Spannungszustand. Von dieser erhöhten Spannung bis zur kritischen Grenze, wo Spannung in Angst übergeht, braucht es dann nur noch wenig. Zusammenfassend: Je weniger Stress desto «normaler» das Erregungsniveau und desto kleiner das Risiko, über die kritische Grenze hinaus in Angst zu geraten.

In welcher Beziehung stehen Angststörungen und Depressionen?
Etwa 20 bis 40 Prozent der Menschen mit Angststörungen sind auch depressiv. Die Vermutung ist die, dass Angst und die damit verbundenen Einschränkungen den Gemütszustand in Richtung Depression verändern.

Wie wird diese Art der Erkrankung diagnostiziert?
Angststörungen können relativ leicht anhand folgender Kriterien diagnostiziert werden: Ist Angst das dominante Thema? Hat sie ein Eigenleben, d. h. verändert sie sich nicht in Abhängigkeit von anderen Problemen? Zeigt die betroffene Person ein Vermeidungsverhalten, d. h. vermeidet sie Situationen, die sie als angstauslösend empfindet? Zeigt die Person ein starkes Sicherheitsverhalten, muss sie sich immer und überall im Voraus absichern oder rückversichern?

Welche Therapiemöglichkeiten bestehen?
Die wirksamste Therapie der Angststörungen ist die kognitive Verhaltenstherapie. Das ist eine Form der Psychotherapie, bei der an ungünstigen Gedanken und am vermeidenden Verhalten gearbeitet wird. Die ungünstigen Gedanken werden dabei in Richtung Neutralisierung verändert; das Verhalten wird vom Vermeiden in Richtung bewusste Beobachtung dessen, was Angst macht, verändert. Dabei machen die Betroffenen die Erfahrung, dass ihnen real nichts Schlimmes passiert. Sie gewinnen also eine neue Erfahrung, die ihre Angst stark relativiert. Medikamente kommen je nach Schweregrad respektive Art der Angststörung zusätzlich zum Einsatz und können in manchen Fällen hilfreich unterstützen.

Können Betroffene selbst etwas dagegen tun?
In der Regel eher nicht. Das Beste, was Betroffene tun können, ist das Aufsuchen einer qualifizierten Psychotherapie.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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