Dr. med. Martin Walliser, Leitender Arzt der chirurgischen Abteilung der Kantonsspital Glarus AG sowie Bergführer und Vizepräsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gebirgsmedizin, zum Thema Zelten bei Kälte.
Herr Walliser, Zelten kann man durchaus auch im Winter. Ab welchen Temperaturen ist es jedoch nicht mehr zu empfehlen?
Ob im Winter und bei tiefen Temperaturen gezeltet werden kann, hängt in erster Linie von der Erfahrung und natürlich auch der Ausrüstung ab. In diesem Sinne kann keine Empfehlung gemacht werden, ausser dass man sich selber und die Ausrüstung in keinem Fall überschätzen soll. Wenn rundherum alles stimmt, kann problemlos auch bei Temperaturen weit unter 0° Celsius gezeltet werden. Wichtig ist es, sich so gut wie möglich trocken zu halten und den Wärmeverlust zu minimieren.
Durch den Tag hält man den Körper durch Bewegung warm. Wie verhindert man, dass man in der Nacht friert?
Eine genügende Kalorien- und Flüssigkeitszufuhr ist die Voraussetzung für einen funktionierenden Stoffwechsel und auch um die eigene Wärmeproduktion aufrechtzuerhalten. Da der Mensch aber der Kälte von Natur aus ziemlich schutzlos ausgeliefert ist, kommt auch hier die Ausrüstung ins Spiel. Falls diese vorhanden ist und auch korrekt angewendet werden kann und die schon oben erwähnten Grundprinzipien eingehalten werden, ist die Temperatur nicht mehr wirklich ein Problem.
Es ist wichtig, dass dem Körper genügend Energie zugeführt wird. Wie sieht der richtige Proviant für ein Wintercamping aus, damit der Körper leistungsfähig bleibt?
Eine ausreichende Kalorienzufuhr ist wichtig. Mit einer warmen Mahlzeit kann zusätzlich Energie zugeführt werden. Es macht Sinn, in erster Linie kohlenhydratreiche Nahrungsmittel mitzunehmen, diese sind im Allgemeinen gut verdaulich, und die Energie steht schnell zur Verfügung. Eiweiss- und fetthaltige Lebensmittel haben natürlich auch einen hohen Energiegehalt, sind aber teilweise schwerer verdaulich und im Falle einer Unterzuckerung nicht gleich schnell für den Körper verfügbar.
Wie sieht es bei gekochten Mahlzeiten aus?
Bei einer gekochten Mahlzeit darf aber durchaus auf eine ausgewogene Zusammenstellung geachtet werden. Wenn es keine Rolle spielt, wie schwer das Gepäck ist, kann man frische Lebensmittel – Gemüse und Früchte – mitnehmen. Hinzu kommt, dass Gerichte mit einem hohen Wasseranteil viel länger warm bleiben. Beachten Sie beim Kochen bei sehr tiefen Temperaturen: Pasta wird viel schneller kalt (und gefriert wieder) als Reis oder Suppe.
Was passiert, wenn der Körper zu wenig Energie zugeführt bekommt?
Die Kälte führt über einen angeregten Stoffwechsel zu einem grösseren Kalorienverbrauch. Falls der Nachschub an Kalorien fehlt, wird auch die Wärmeproduktion heruntergefahren, es droht eine allgemeine Unterkühlung, und auch das Risiko für lokale Erfrierungen steigt an.
Wie wichtig ist es, auch in der kalten Jahreszeit genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen, und welche Folgen kann eine zu geringe Aufnahme mit sich bringen?
Bei sehr tiefen Temperaturen und sehr tiefer Luftfeuchtigkeit kann vor allem bei starker Anstrengung der Flüssigkeitsverlust über die Atmung zunehmen. Falls ein Flüssigkeitsmangel auftritt, wird der Stoffwechsel beeinträchtigt, das Risiko für Thrombosen steigt, und die Nierenfunktion kann beeinträchtigt werden. Allerdings passiert dies nur bei längeren Aufenthalten unter extremen Bedingungen. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr kann indirekt über die Farbe des Urins kontrolliert werden: Klarer oder leicht gelblicher Urin ist gut, sobald der Urin konzentriert ist, wird er dunkelgelb bis sogar braun – das ist dann nicht mehr gut. Auf eine genügende Flüssigkeitszufuhr muss also zwingend geachtet werden. Warme Getränke sind aus energetischen Gründen klar überlegen. Da der Salzverlust ebenfalls berücksichtigt werden muss, sind Suppen – auch eine einfache Bouillon – sehr zu empfehlen.
Was darf in der Wintercamping-Apotheke nicht fehlen?
Der Inhalt einer Outdoor-Apotheke richtet sich nach dem Risikoprofil der Tätigkeiten, dem Aufenthaltsort und auch der Dauer des Aufenthalts. In diesem Sinne gibt es keine winterspezifischen Empfehlungen oder Medikamente. Allenfalls können Wärmebeutel als Zusatz und Erweiterung einer Apotheke verstanden werden – sie sind manchmal wirklich praktisch und hilfreich.
Was sollte in einer Notfallsituation beachtet werden?
In Notfallsituationen, zum Beispiel bei einem ungeplanten Biwak (verirrt, verunfallt, keine Kommunikationsmittel), gibt es einige Regeln, die die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen: Schutz suchen und wenn möglich vor Wind schützen (Schneehöhle graben, Windschutz bauen oder natürlichen Windschutz nutzen). Auch die Nässe ist ein Risiko für Unterkühlung. Wenn mehrere Personen zusammen sind, kann man die gegenseitige Körperwärme nutzen – zusammenrutschen. Falls alles nichts nützt, in Bewegung bleiben. Wenn die Unterkühlung ein gewisses Mass überschritten hat und die Lethargie die Oberhand gewinnt, ist der Kampf verloren.
Was sollten Camper zusätzlich beachten?
Vorgängig sollte man sich informieren, ob das Zelten in der gewählten Region überhaupt erlaubt ist. Weiter sollten die Regeln des Bundes, der Kantone und der Gemeinden beachtet und bewirtschaftetes Gebiet gemieden oder nur mit Einverständnis des Eigentümers genutzt werden. Es gibt ganz klar Gebiete, in denen das Zelten verboten ist: Wildschutzgebiete, Wildruhezonen, Naturreservate. Weiter sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
- Respektieren der Wildbestände, lieber ausserhalb der Waldzonen oder sogar oberhalb der Waldgrenze campieren. In schneereichen und kalten Wintern ist das Meiden der Wildeinstände (insbesondere Wald- und Vegetationszonen) noch wichtiger als in der warmen Jahreszeit.
- Sämtliche Abfälle müssen wieder mitgenommen werden.
- Der Gang zur Toilette kann nicht gut verboten werden. Es ist aber nicht notwendig, Toilettenpapier oder ähnliches um den Ort des Ereignisses zu streuen. Grundsätzlich mitnehmen, verbrennen oder zumindest so entsorgen, dass keine Spuren sichtbar sind.
- Feuerstellen an geeigneten Orten anlegen und diskret dimensionieren – sodass sie, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen, wieder abgebaut werden können.
- Idealerweise hält man sich an offizielle Zelt- und Campingplätze, die auch in den Wintermonaten viele Möglichkeiten bieten.