Schwindel: Wann sollte ein Arzt aufgesucht werden?

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Schwindel
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Quelle: TCS MyMed

Dr. med. Guido Schwegler, Leitender Arzt und Leiter Neurologie & Stroke Unit des Spitals Limmattal, zum Thema Schwindel.

Herr Schwegler, das erste Auftreten von Schwindel kann unangenehm sein und Angst auslösen. Welche Ursachen kann Schwindel haben?
Generell kann Schwindel in zwei Grundformen unterteilt werden: Einerseits gibt es den sogenannten vestibulären Schwindel – das heisst Schwindel, der entweder vom Gleichgewichtsorgan oder vom Kleinhirn ausgeht. Andererseits den unsystematischen Schwindel, der umgangssprachlich als «Trümmel» bezeichnet wird. Der Trümmel äussert sich in einem schwer zu beschreibenden Unsicherheitsgefühl, das verschiedene Auslöser haben kann. Die häufigsten Ursachen davon sind: tiefer Blutdruck, schlecht verträgliche Medikamente, Alkoholüberkonsum, Abnahme der Tastempfindungen der Füsse, Fehlsichtigkeit. Der vestibuläre Schwindel entsteht, wenn das Vestibularorgan, das ein Teil des Innenohrs ist und das Gleichgewicht steuert, entweder über- oder unteraktiviert ist. Der physiologische Schwindel ist eine Sonderform des vestibulären Schwindels: Jeder kennt das Gefühl, wenn er im Zug sitzt und nicht weiss, ob der eigene Zug abfährt oder der Nachbarzug sich bewegt. Das Losfahren eines Zuges vom Nebenperron verursacht bei vielen Menschen ein Schwindelgefühl.

Für welche Erkrankungen kann Schwindel möglicherweise ein Vorbote sein?
Der Schwindel ist meistens kein Vorbote von Erkrankungen, sondern ein Symptom einer im Moment ablaufenden Störung. Selten kann Schwindel ein Vorbote für Schlaganfälle sein. Man spricht dann von sogenannten Streifungen, in der medizinischen Sprache von transient ischämischen Attacken (TIA).

Kann Schwindel weitere Symptome auslösen?
Der vestibuläre Schwindel wird meistens von weiteren Symptomen begleitet. Es besteht eine enge Nachbarschaft zwischen dem Schwindelzentrum und dem Brechzentrum. Viele Patienten mit Schwindel leiden demzufolge unter Übelkeit und Erbrechen. Exemplarisch dafür ist die Seekrankheit, bei der das vestibuläre System so stark gereizt ist, dass die Betroffenen sich wiederholt übergeben müssen. Ein weiteres Symptom, das der vestibuläre Schwindel auslöst, ist die Unsicherheit beim Gehen und Stehen. Die Betroffenen müssen sich abstützen oder bei einer Hilfsperson einhängen. Dies hängt damit zusammen, dass das Vestibularorgan unter anderem die Aufgabe hat, die Stabilisierung des Körpers im Raum zu gewährleisten.

Gibt es chronische Schwindelerkrankungen?
Ja. Sowohl der unsystematische Schwindel (der Trümmel) wie auch der vestibuläre Schwindel können chronifizieren. Der Trümmel beispielsweise bei anhaltend tiefem Blutdruck oder chronischem Alkoholüberkonsum, der vestibuläre Schwindel im Falle einer bleibenden Schädigung des Vestibularorgans im Innenohr oder nach einem Schlaganfall im Kleinhirnbereich. Glücklicherweise sind die meisten Schwindelerkrankungen jedoch von vorübergehender Natur – oder sie laufen Attacken-artig und nicht chronisch ab.

Wann sollte ein Arzt aufgesucht werden?
Ein Arzt sollte dann aufgesucht werden, wenn der Schwindel Attacken-artig, heftig und mit einer deutlichen Unsicherheit beim Stehen und Gehen verbunden ist.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Je nach Schwindelart sind die Behandlungsmöglichkeiten sehr unterschiedlich: Eine der häufigsten Ursachen für Schwindelattacken ist der sogenannte gutartige paroxysmale Lagerungsschwindel. Hier kommt es spontan oder durch Erschütterung zu einem Verrutschen von kleinen Kristallen im Innenohr, sodass Kopfbewegungen, insbesondere das Hinlegen oder Aufstehen, heftige Schwindelattacken auslösen. Das ist darum eine meiner «Lieblingserkrankungen», weil es die einzige ist, die der Neurologe oder HNO-Spezialist ohne Medikamente oder invasive Eingriffe heilen kann – dies erst noch mit einer simplen gymnastischen Übung. Die Anleitung zu diesen Übungen gibt es auch im Internet. Allerdings benötigt es einiges an Erfahrung, damit diese gymnastischen Übungen (sogenannte Liberations-Manöver) schnell zum Erfolg führen. Die meisten Laien sind damit überfordert.

Gibt es weitere Störungen des Vestibularorgans und wie sehen dort die Behandlungsmöglichkeiten aus?
Die anderen Störungen des Vestibularorgans können durch verschiedene Methoden günstig beeinflusst werden: Die Menière-Krankheit zum Beispiel mittels einer prophylaktischen Therapie mit dem Wirkstoff Betahistin, die Entzündung des Vestibularnervs mit Cortison im Akutstadium – um nur einige zu nennen. Als Grundregel gilt: Alle vestibulären Erkrankungen (mit Ausnahme des häufig vorkommenden paroxysmalen Lagerungsschwindels) profitieren davon, wenn der Patient sich trotz Schwindel möglichst bald wieder im normalen Umfeld bewegt. Das Hirn braucht Übung und Zeit, um nach einer vestibulären Störung mit der neuen Situation zurechtzukommen.

Was soll man tun, wenn ein plötzlicher Schwindelanfall auftritt?
Man sollte einen Arzt aufsuchen. Wenn der plötzlich auftretende Schwindelanfall nach 15 Minuten nicht verschwindet und man sehr unsicher auf den Beinen ist, soll man die Notfallstation aufsuchen. In solchen Situationen kann ein Schlaganfall dahinterstecken.

Wie verhält man sich richtig, wenn Schwindel auftritt und man sich im Auto im Strassenverkehr bewegt?
Diese Situation ist selten. Der gutartige Lagerungsschwindel manifestiert sich in der Regel nicht beim Lenken von Fahrzeugen. Wenn Schwindel auftritt, allenfalls begleitet von verschwommenem oder doppeltem Sehen, ist es angezeigt, das Auto an der nächstbesten, sicheren Stelle zum Stillstand zu bringen.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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