Dr. Serena Barberis vom medizinischen Dienst des TCS spricht mit uns über Schlaganfälle und darüber, wie wichtig eine schnelle Behandlung ist.
Dr. Barberis, was genau ist ein Schlaganfall?
Unter einem Schlaganfall oder Hirninfarkt versteht man die plötzliche Unterbrechung der Blutzirkulation, und damit der Sauerstoffversorgung, im Hirnbereich.
Welche Ursachen gibt es dafür?
In 80 Prozent der Fälle ist der Verschluss eines Blutgefässes, meistens einer Arterie, durch ein Blutgerinnsel die Ursache für einen Schlaganfall. Das ist der sogenannte ischämische Schlaganfall. Seltener, in etwa 20 Prozent der Fälle, wird er dadurch verursacht, dass ein Gefäss platzt. Das nennt man Hirnbluten oder hämorrhagischen Schlaganfall.
Welche Folgen kann ein Schlaganfall haben?
Die Symptome eines Schlaganfalls hören für gewöhnlich nicht einfach wieder auf. Meistens kann durch radiologische Untersuchungen wie CT-Scan und MRT eine Hirnschädigung festgestellt werden. Es kann aber auch sein, dass die Blutzirkulation nur vorübergehend unterbrochen war, die Symptome nach weniger als einer Stunde wieder aufhören und sich bei radiologischen Untersuchungen keine Schäden feststellen lassen. Dann spricht man von einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA).
Wieviel Prozent der Schweizer Bevölkerung erleiden einen Schlaganfall?
Im Jahr 2019 wurden über 16000 Schlaganfallpatientinnen und -patienten erfasst. Das sind etwa zwei Prozent der Bevölkerung und es bedeutet, dass alle 30 Minuten jemand einen Schlaganfall erleidet.
Sind Frauen und Männer gleich häufig betroffen?
Statistisch gesehen sind Männer etwas häufiger betroffen als Frauen. Laut dem Schweizer Bundesamt für Statistik erlitten 8534 Männer und 7970 Frauen im Jahr 2019 einen Schlaganfall.
Ist das Alter ein Risikofaktor oder können auch junge Leute einen Schlaganfall erleiden?
Ältere Menschen über 65 Jahren erleiden deutlich häufiger einen Schlaganfall. Das Durchschnittsalter liegt bei 74 Jahren. Aber die Zahl der jüngeren Schlaganfallpatienten nimmt deutlich zu. Das liegt hauptsächlich an einem ungesunden Lebensstil, durch den die Risikofaktoren steigen, womit sich die Chance, einen Schlaganfall zu erleiden, erhöht.
Lässt sich das Risiko für einen Schlaganfall senken?
Bluthochdruck, ein erhöhter Cholesterinspiegel, Übergewicht, Diabetes Typ 2, Bewegungsmangel, Rauchen, der Konsum von Drogen wie Kokain oder Ecstasy, Herzrhythmus- oder Gerinnungsstörungen gelten als Faktoren, die einen Schlaganfall begünstigen. Daher ist ein gesunder Lebensstil die beste Präventionsmassnahme.
Was sind die Hauptsymptome eines Schlaganfalls?
Ein Schlaganfall beginnt ganz plötzlich. Die Symptome, die Anzeichen, treten innerhalb von Sekunden oder Minuten auf. Abhängig davon, welcher Hirnbereich von Schlaganfall und Sauerstoffmangel betroffen ist, können folgende Symptome auftreten:
- Motorische und sensible Störungen (Hemiplegie): Eine Körperseite (Gesicht, Arm, Bein) kann nicht mehr bewegt werden, die Betroffenen empfinden ein Gefühl der Taubheit und Schwäche.
- Sprachstörungen: Hängender Mundwinkel, Lächeln ist nicht möglich, Sprechen fällt schwer, Wortfindungsstörungen, selbst einfache Fragen können nicht in ganzen Sätzen beantwortet werden.
- Sehstörungen: Die erkrankte Person sieht kurzzeitig nichts mehr auf einem Auge, kann auf einer Seite überhaupt nichts mehr erkennen oder sieht «doppelt».
- Gleichgewichtsstörungen und Schwindel, der Boden unter den Füssen scheint zu schwanken.
- Hartnäckige Kopfschmerzen bei Personen, die normalerweise selten bis nie unter Kopfschmerzen leiden. Gängige Schmerzmittel helfen nicht.
Wie verhalte ich mich richtig bei einem Verdacht auf Schlaganfall?
Sofort zum Arzt gehen! Wählen Sie zunächst den Notruf und beschreiben Sie, welche Symptome auftreten. In der Leitstelle wird dann dafür gesorgt, dass sofort ein Krankenwagen zu Ihnen kommt. Also: 1) Notruf wählen und 2) bis zum Eintreffen des Notarztes beim Patienten oder der Patientin bleiben, ihn oder sie beobachten und beruhigen.
Es ist wichtig, schnell zu reagieren...
Das ist sogar am allerwichtigsten! Wenn der Patient höchstens eine Stunde nach Auftreten des Schlaganfalls ins Krankenhaus kommt, kann er noch ein Medikament bekommen, das dabei hilft, das Blutgerinnsel aufzulösen und die verstopfte Arterie zu befreien. Dadurch ist seine Prognose sehr viel besser. Das gilt insbesondere für den bei 80 Prozent der Patienten auftretenden ischämischen Schlaganfall. Deshalb spricht man auch von der «golden hour», der «goldenen Stunde». Auch bei einem hämorrhagischen Schlaganfall ist eine schnelle Behandlung äusserst wichtig, um Spätfolgen möglichst auszuschliessen.
Was sind mögliche Folgen eines Schlaganfalls?
Wenn die Behandlung nicht rechtzeitig erfolgt, kann der Sauerstoffmangel bleibende Schäden verursachen. Manche Patienten können beispielsweise nicht mehr laufen oder eine Körperhälfte ist gelähmt.
Kann man an einem Schlaganfall auch sterben?
Etwa ein Viertel der Personen, die einen Schlaganfall erleiden, stirbt. Das Sterberisiko steigt in Abhängigkeit davon, welches Hirnareal nicht mit Sauerstoff versorgt wurde. Auch die Zeit, die bis zum Eintreffen des Notarztes oder bis zum Eintreffen des Patienten im Krankenhaus vergangen ist, spielt eine Rolle bei der Frage, ob der Patient überlebt oder nicht.
Kann ein Schlaganfall behandelt werden oder muss man einfach lernen, mit den Spätfolgen zu leben?
Eine Behandlung ist möglich. Das hängt auch wieder davon ab, wie schnell der Patient nach Auftreten der ersten Symptome ins Krankenhaus gekommen ist. Wenn allerdings bleibende Schäden eingetreten sind, bleibt einem nichts anderes übrig, als damit zu leben.
Lässt sich ein erneuter Schlaganfall verhindern?
Leider kann ein weiterer Schlaganfall nie ganz ausgeschlossen werden. Man kann nur das Risiko so weit wie möglich senken. Nach einem Schlaganfall werden die Patienten sehr genau beobachtet und regelmässig ärztlich untersucht. Verschriebene Medikamente sind strikt nach Anweisung einzunehmen. Oft handelt es sich dabei um Medikamente, die die Blutgerinnung beeinflussen und daher ein besonderes Augenmerk erfordern. Um das Risiko möglichst gering zu halten, wird eindringlich auf eine Veränderung des Lebensstils beim Patienten hingewirkt.