Susanne Kägi, Co-Bereichsleiterin Beratung der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft, zum Thema Multiple Sklerose.
Frau Kägi, was ist Multiple Sklerose (MS)?
Multiple Sklerose ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) und ist die häufigste neurologische Erkrankung im jungen Erwachsenenalter von 20 bis 40 Jahren. Sie tritt seltener bei Kindern und älteren Menschen auf. Multiple Sklerose ist die Folge von zwei Prozessen. Zum einen wird die eigene Isolationsschicht der Nervenbahnen (Myelin) irrtümlicherweise vom Immunsystem angegriffen und abgebaut (Demyelinisierung). Zum anderen spielen auch abbauende Vorgänge eine Rolle, bei denen die Nervenfasern (Axone) und Nervenzellen beschädigt werden und zugrunde gehen. Dadurch treten Störungen in der Signalweiterleitung auf. Ob und was für Beschwerden dadurch auftreten, ist abhängig von der Lage der akuten Entzündungsherde oder zurückbleibender Narben im zentralen Nervensystem.
Durch welche Symptome äussert sich die Erkrankung?
Das ist von Person zu Person sehr verschieden. Zu den häufigen Erstsymptomen einer Multiple Sklerose-Erkrankung gehören Sehstörungen, Doppelbilder, Gefühlsstörungen in Armen oder Beinen, Gang- und Gleichgewichtsstörungen sowie Kraftlosigkeit. Im Verlauf der Erkrankung können verschiedene Symptome und Behinderungen einzeln oder in Kombination auftreten. Die Störungen betreffen verschiedene Körperfunktionen wie zum Beispiel Seh- und Gleichgewichtsstörungen, Lähmungen an Extremitäten, Spastiken, Schmerzen sowie Blasen-, Darm- und Sexualstörungen. Viele Betroffene leiden zusätzlich unter grosser Müdigkeit, depressiven Phasen oder Depressionen, Sensibilitätsstörungen oder Konzentrationsschwächen.
Es besteht der Verdacht an Multiple Sklerose erkrankt zu sein – wann sollte ein Arzt aufgesucht werden?
Da es nicht wirklich ein ganz klassisches erstes Multiple Sklerose-Symptom gibt, ist es ratsam bei Unsicherheit und nach Ausschluss alltäglicher Ursachen (beispielsweise schwere Erkältung oder Muskelkater) mit dem Hausarzt Kontakt aufzunehmen. Er wird erste Untersuchungen machen. Je nach Ergebnis dieser Untersuchungen wird er die betroffene Person zur weiteren Abklärung an einen Spezialisten im Bereich Neurologie überweisen.
Stimmt es, dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer?
Ja, Frauen sind circa doppelt so häufig davon betroffen wie Männer. Der Grund dafür ist jedoch noch nicht bekannt. Hormonelle Einflüsse werden derzeit untersucht.
Welche Ursachen hat die Krankheit?
Trotz intensiver Forschung sind die genauen Ursachen bisher nicht bekannt. Man nimmt an, dass die erhöhte Reaktionsbereitschaft des Immunsystems dadurch zustande kommt, dass Faktoren aus der Umwelt (zum Beispiel Viren oder Bakterien) auf Menschen mit empfänglicher genetischer Veranlagung treffen. Sehr selten häufen sich Multiple Sklerose-Fälle innerhalb einer Familie, weil es keine eigentliche Erbkrankheit ist, da nur die Veranlagung vererbt wird.
Bedeutet die Diagnose Multiple Sklerose ein Leben im Rollstuhl?
Multiple Sklerose wird auch die Krankheit mit den 1000 Gesichtern genannt. Keine Multiple Sklerose oder deren Verlauf gleicht dem anderen. Multiple Sklerose bedeutet für die Betroffenen mit Unsicherheiten leben zu lernen. Der langfristige individuelle Krankheitsverlauf kann bisher nicht genau vorausgesagt werden. Längerfristig hat etwa jeder fünfte MS-Betroffene einen milden Verlauf mit kaum Einschränkungen – auch nach mehreren Jahren mit der Krankheit. Drei Viertel der Betroffenen sind auch nach langer Krankheit in der Lage, ihr Leben selbstständig und weitgehend ohne Hilfsmittel zu führen. Weniger als 50 Prozent der Betroffenen sind im Krankheitsverlauf auf einen Rollstuhl angewiesen.
Wie wird Multiple Sklerose behandelt und können betroffene Personen geheilt werden?
Die Behandlung basiert auf drei verschiedenen Ebenen. Die Basistherapie ist eine Dauertherapie und wirkt mindernd auf die Multiple Sklerose und das Fortschreiten der Krankheit. Zur Linderung akuter Entzündungen und deren Symptome wird die Schubtherapie angewandt, welche bei einem Schub zum Einsatz kommt. Bei der Symptombehandlung werden Symptome individuell mit entsprechenden Medikamenten und zum Beispiel Physiotherapie behandelt. Mit Hilfsmitteln wie einem umgebauten Auto, Elektrorollstuhl oder einer Rampe zu Hause wird zusätzlich der Erhalt der Lebensqualität unterstütz. Bisher gibt es leider keine Therapie, die MS heilen kann.
Welchen Einfluss hat die Erkrankung auf den Alltag?
Wie Menschen auf die Diagnose Multiple Sklerose reagieren, ist sehr unterschiedlich. Eines bleibt aber für alle gleich: Die Diagnose Multiple Sklerose stellt eine grosse Herausforderung dar und bringt Veränderungen, Ungewissheit, offene Fragen und schwierige Gefühle für die Betroffenen und ihre Angehörigen mit sich. Manche Betroffene und auch Angehörige können gut damit umgehen, andere gar nicht oder mal besser und mal weniger gut. Je nach Einschränkung beeinflusst die MS die berufliche Tätigkeit sowie Berufsziele. Zudem kann das Erfüllen familiärer Aufgaben in Frage gestellt werden. Ein Ausscheiden aus dem Job sowie der Verlust sozialer Kontakte kann zu persönlichen Krisen und finanzieller Not und Abhängigkeit führen.
Kann Multiple Sklerose gar lebensgefährlich werden?
Die Angst an Multipler Sklerose zu sterben, stammt aus Zeiten, als kaum MS-Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen und die Folgen von Invalidität (zum Beispiel Lungenentzündungen) nicht gut behandelt werden konnten. Heute führt die Erkrankung kaum zu einer Verkürzung der Lebensdauer.
Was hilft Multiple Sklerose-Betroffenen und ihren Angehörigen?
Eine gute und vertrauensvolle Beziehung zwischen den Betroffenen, Angehörigen und den Fachpersonen sowie das Wissen über die Krankheit und deren Herausforderungen, kann zur besseren Bewältigung beitragen. Die MS-Gesellschaft stellt Informationen, Beratung und Wissen für Betroffene und deren Angehörige unter www.multiplesklerose.ch zur Verfügung. Zusätzlich besteht die Möglichkeit sich an die Multiple Sklerose-Infoline unter der Nummer 0844 674 636 zu wenden. Hier beantwortet das Beratungsteam Anfragen von MS-Betroffenen, Angehörigen, Fachpersonen und Interessierten.
Für Anregungen und Inputs, können Sie uns gerne per Mail kontaktieren: med@tcs.ch