Der Krebs und die Psyche: Ein Gespräch mit Psychoonkologe Jan Schulze

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Psychoonkologie
Psychoonkologie
Quelle: Universitätsspital Zürich & TCS MyMed

Krebs – die Diagnose ist für viele ein Schock. Körper und Seele werden durch die Krankheit stark belastet. Die Psychoonkologie bietet den Betroffenen Unterstützung in dieser schwierigen Lebensphase. Wie genau erklärt Jan Schulze, Psychoonkologe in der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik am Universitätsspital Zürich (USZ).

Dr. Schulze, was genau ist Psychoonkologie?
Das Wort ist eine Komposition aus Psyche und Onkologie. Das Grundwort bestimmt hier auch die Ausrichtung der Behandlung, also die psychische Auseinandersetzung mit der onkologischen Krankheit. Es ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, mit dem Ziel, die psychischen und sozialen Folgen einer Krebserkrankung zu reduzieren, respektive die betroffenen Patienten in ihrer Auseinandersetzung zu unterstützen. Die Erhaltung der Lebensqualität steht dabei im Zentrum.

Werden Krebspatienten, die auch psychoonkologisch betreut werden, schneller wieder gesund?
Einige Patientinnen und Patienten denken, dass eine psychoonkologische Betreuung direkte Auswirkungen auf den Verlauf einer Krebserkrankung hat. Das ist aber nicht der Fall. Ausser man kommt an einen Punkt, an dem man die körperliche Behandlung nicht mehr umsetzen kann. Dann versuchen wir die Ressourcen unserer Patienten zu aktivieren, so dass dies wieder gelingt. Aber wir können die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. Ich beschreibe es gerne so: Der Onkologe sorgt dafür, dass die Patienten «am» Leben bleiben und wir, dass sie «im» Leben bleiben.

Wie können Sie die Lebensqualität der Betroffenen verbessern?
Das ist sehr individuell. Im USZ werden jedes Jahr 16’000 Patientinnen und Patienten mit Krebs behandelt. Das psychoonkologische Behandlungskonzept ist dabei genauso individuell wie das onkologische. Stellen Sie sich vor, Sie stehen mitten im Leben. Plötzlich werden Sie mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Auf einen Schlag ist alles anders. Da ist es völlig normal, dass eine Welt zusammenbricht. Die Patientinnen befinden sich nach der Diagnose häufig für mehrere Tage in einer Art Schockzustand. Eine normale Reaktion auf eine abnormale Situation. Wir sind vor Ort und versuchen die Patienten aufzufangen, und sie in der Situation zu unterstützen.

Wieso wenden sich die Patienten nicht an allgemeine Psychotherapeuten?
Das könnten sie. Aber nicht jeder Psychotherapeut kennt sich mit Krebserkrankungen aus. Auch benötigt es eine Sensibilität gegenüber der Endlichkeit des Lebens. Und es gibt häufig lange Wartelisten, um einen Termin zu bekommen. Wir sind im Haus, schnell vor Ort und bieten unkompliziert unsere Unterstützung an. Häufig führt dieser Erstkontakt bereits zu einer Entlastung für die Patientinnen und Patienten. Falls nicht und es die Situation erfordert, können wir auch mit Medikamenten unterstützen.

Wie wichtig ist es, dass die Patientinnen und Patienten während einer Krebsbehandlung auch psychologisch betreut werden?
Die Belastung bei so einem Ereignis ist sehr hoch. Viele fallen in ein tiefes Loch, haben Existenzängste, finanzielle Sorgen oder Angst vor dem Tod. Dazu kommt, dass Krebs immer noch stigmatisiert ist. Es ist also typisch, psychisch heftig auf so eine Diagnose zu reagieren. Es gibt verschiedene Studien, die belegen, dass ein Drittel der Krebspatienten psychologische Unterstützung benötigt.Hier ist es wichtig, ein niederschwelliges Angebot zu unterbreiten. Viele Patientinnen und Patienten sind froh um unsere Unterstützung in dieser Phase und melden uns das übrigens auch in Feedbacks zurück.

Wie hilft man einem Patienten, der sich nach einer Krebsdiagnose komplett aufgibt?
Befindlichkeitsstörungen kommen nach einer Krebsdiagnose häufig vor. Eine komplette Selbstaufgabe  aber selten. Das ist wichtig zu wissen. Auch wird es nach einem Tiefpunkt mit der Zeit meistens besser. Wir versuchen, die Bewältigungsstrategien der Patientinnen und Patienten zu aktivieren. Das kann sehr unterschiedlich aussehen. Manchen hilft es zum Beispiel, alles Wissen über Krebs aufzusaugen und so das Problem zu intellektualisieren. Andere wollen sich austauchen und emotionale Unterstützung erfahren. Jeder findet hier seinen eigenen Weg. So nimmt die Belastung mit der Zeit ab und die Betroffenen finden zurück ins Leben.

Gibt es Krebsmedikamente, die depressive Verstimmungen begünstigen?
Der Tumor selbst kann depressive Symptome auslösen und es gibt bestimmte Medikamentengruppen, die die Psyche belasten können, zum Beispiel Glukokortikoide. Wir stimmen uns daher eng ab mit den zuständigen Onkologen. Häufig sind es aber andere Nebenwirkungen, mit denen die Patientinnen und Patienten umgehen müssen. Längere Zeit mit starker Übelkeit zum Beispiel ist kaum auszuhalten und kann völlig zermürbend sein. So stark, dass man sämtliche Hoffnung aufgibt. Zum Glück kann man Übelkeit behandeln. Aber auch permanente Müdigkeit – die sogenannte Fatigue – kann stark belasten.

Ist die Betreuung auch für die Angehörigen der Patienten vorgesehen?
Ja, absolut. Das ist eine Besonderheit in der Psychoonkologie. Wir sind für alle Betroffenen der Krebserkrankung da. Das kann viele Personen umfassen. Vom Partner, den Kindern und Freunden, bis manchmal zum Arbeitgeber. Häufig sind die Angehörigen sogar höher belastet als die Patienten selbst. Ihnen allen bieten wir unsere Hilfe an.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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