PD Dr. med. Raoul I. Furlano, Leitender Arzt und Abteilungsleiter Pädiatrische Gastroenterologie & Ernährung, Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), zum Thema Ernährung bei Säuglingen und Kleinkindern.
Herr Furlano, man liest immer wieder, dass in der Muttermilch Schadstoffe enthalten sind. Stimmt das und wie gesund ist sie für die Kinder?
Spuren von Schadstoffen in der Muttermilch werden seit den 60er-Jahren immer wieder diskutiert. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch den Nachweis von chemischen Substanzen wie DDT und Dioxin, die aus der Umwelt über die Nahrungskette, aber auch durch die Haut und die Atemluft in den mütterlichen Körper gelangen. Dort setzen sie sich in den Fettzellen ab, wo sie beim Stillen in die Muttermilch gelangen können. Die Schadstoffkonzentrationen sind aber seitdem dank internationaler gesetzlicher Regelungen stark zurückgegangen, und es ist bis heute kein Fall bekannt, in dem Schadstoffe in der Muttermilch zu einer Schädigung des Kindes geführt haben. Andere Schadstoffe wie Nikotin stellen aber auch heute noch eine Gefährdung für die Gesundheit der Kinder dar.
Kann dem Kind auch andere Milch, zum Beispiel Ziegen- oder Sojamilch, gegeben werden?
Säuglingsnahrungen auf Sojaeiweissbasis weisen einen hohen Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen (Flavonoiden) mit schwach östrogener Wirkung sowie an Phytaten mit möglichen Nachteilen für die Nährstoffresorption auf. Sie sollten deshalb zurückhaltend eingesetzt werden. Säuglingsnahrung auf Sojabasis kann bei Familien eingesetzt werden, die aus weltanschaulichen Gründen eine Kuhmilchgabe ablehnen (z. B. bei Veganern). Zur Behandlung der Kuhmilchallergie sollte nicht auf Säuglingsnahrungen auf Sojaeiweissbasis, sondern auf therapeutische Nahrungen auf der Basis extensiver Eiweisshydrolysate oder gegebenenfalls auf der Basis von Aminosäuremischungen zurückgegriffen werden.
Wie sieht es bei selbst zubereiteter Säuglingsnahrung aus?
Selbst zubereitete Säuglingsnahrungen aus Kuhmilch, anderen Tiermilchen (Ziegen-, Stuten- oder Schafsmilch) oder anderen Rohstoffen (z. B. Mandeln, Reis) bergen erhebliche Risiken bezüglich ausreichender Energie- und Nährstoffversorgung sowie Kontaminationsrisiken und sollten nicht verwendet werden.
Worauf sollte man achten, wenn man von Milch auf Brei und anschliessend feste Nahrung umsteigt?
Die Beikost sollte nicht vor dem 5. Lebensmonat und nicht später als zu Beginn des 7. Lebensmonats eingeführt werden. Es gibt zurzeit keine Evidenz für einen Nutzen einer gezielten Einführung der Beikost vor dem 5. Lebensmonat, etwa zur Allergieprävention. Die Einführung der Beikost spätestens nach dem abgeschlossenen 6. Lebensmonat ist notwendig, da ab dem 7. Monat die Ernährungsbedürfnisse des Säuglings durch die Muttermilch nicht mehr genügend gedeckt werden können. Dies betrifft vor allem den Bedarf an Eisen, Protein und Energie. Während der Einführung der Beikost soll weiter gestillt werden, da die Muttermilch die Beikost gut ergänzt und so eine bedarfsgerechte Ernährung im ersten Lebensjahr gewährleistet ist.
Wie geht man bei der Umstellung am besten vor?
Beikost sollte mit dem Löffel angeboten und nicht als Flüssignahrung aus der Flasche oder dem Becher getrunken werden. Auch erste Erfahrungen mit dem Selbstfüttern (finger food) gehören zur Einführung der Beikost. Im Alter von 6 bis 8 Monaten soll der Säugling zur Ergänzung der Muttermilch zwei- bis dreimal täglich Beikost erhalten und im Alter von 9 bis 11 Monaten drei- bis viermal täglich. Bis am Ende des ersten Lebensjahres hat sich die Mahlzeitenfrequenz in der Regel dem Familienrhythmus angepasst. Die Auswahl der Lebensmittel für die Beikost wird durch individuelle, traditionelle, regionale und saisonale Faktoren beeinflusst.
Aus welchen Komponenten setzt sich eine optimale Mahlzeit für Kleinkinder zusammen?
Eiweisse, Kohlenhydrate, Fette, Vitamine sowie Spurenelemente. Da bei Säuglingen die Menge der pro Mahlzeit aufgenommenen Lebensmittel eher gering ist, muss darauf geachtet werden, dass die benötigte Energiezufuhr gewährleistet wird. Somit muss der Fettgehalt in der Nahrung entsprechend hoch sein. Es sollte darauf geachtet werden, dass mindestens 25 Prozent der benötigten Energiezufuhr durch Fette abgedeckt wird.
Wie schädlich sind Süssgetränke für Kinder?
Es gibt Hinweise, dass Süssgetränke zu einem Anstieg der Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen führen. Die WHO hat bereits im Jahr 2003 eine Auswirkung des Erfrischungsgetränkekonsums auf das Köpergewicht als «wahrscheinlich» eingeschätzt.
Und wie sieht es bei Schokolade oder anderen Süssigkeiten aus?
Gesund ist, was gut schmeckt und der Gesundheit gut tut – immer mit dem Dogma: sola dosis facit venenum, es ist immer eine Frage der Dosis, auch beim Essen und auch bei Kindern.
Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine vegetarische oder gar vegane Ernährung. Eignen sich diese Lebensweisen auch für Kinder und was muss man beachten?
Bei Säuglingen, welche eine vegetarische Beikost erhalten, sollte auf eine genügende tägliche Milchzufuhr (ca. 500 ml) in Form von Muttermilch oder Säuglingsanfangs- bzw. Folgenahrung geachtet werden. Auch die genügende Eisenzufuhr muss gesichert sein. Vitamin B12 kommt praktisch nur in Nahrungsmitteln tierischer Herkunft vor und wird daher bei einer rein veganen Ernährung nicht in genügender Menge zugeführt. Vitamin B12 spielt eine wichtige Rolle bei der Blutbildung und der Gehirnentwicklung; ein Mangel führt zu makrozytärer Anämie und zu Hirnatrophie mit erheblicher Einschränkung der kindlichen Entwicklung. Eine vegane Ernährung kann deshalb für Säuglinge nicht empfohlen werden. Falls eine vegane Ernährung aus ethischen Gründen praktiziert wird, muss diese bei Säuglingen und Kindern durch einen erfahrenen Arzt und eine qualifizierten Ernährungsfachkraft begleitet und betreut werden. Vitamin B12 muss immer supplementiert werden. Auch eine vollständige Versorgung mit anderen Mikronährstoffen (z. B. Eisen) ist ohne zusätzliche Supplementation oft nicht möglich.
Quelle & Zusammenarbeit: TCS MyMed und Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), EEK-Bericht 2015, (Empfehlungen für die Säuglingsernährung 2009. Paediatrica 2009; 20(5):13-15), Empfehlungen für die Säuglingsernährung (2017).