Schwangerschaftsdiabetes – ein ernst zu nehmendes Risiko



Schwangerschaft & Familie

Quelle: TCS MyMed


Dr. Bénédicte le Tinier, HUG

Dr. Bénédicte le Tinier, Leiterin der Abteilung für Geburtshilfe bei Hochrisikopatientinnen des HUG in Genf spricht mit uns über Gestationsdiabetes, auch Schwangerschaftsdiabetes genannt.

Frau Dr. le Tinier, was ist ein Schwangerschaftsdiabetes?
Der Gestationsdiabetes, oder Schwangerschaftsdiabetes, ist ein vorübergehender Diabetes, der sich nach der Entbindung wieder zurückbildet. Bei einer normalen Schwangerschaft tritt im zweiten Trimester eine Insulinresistenz auf, die von den Plazentahormonen ausgelöst und durch eine höhere Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse der Mutter ausgeglichen wird. Wenn ihre Bauchspeicheldrüse die Ausschüttung von Insulin hingegen nicht steigern kann, tritt dieser Gestationsdiabetes auf.

Wie wird er erkannt?
Zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche führt man einen Blutzuckertest durch, den sogenannten oralen Glukosetoleranztest, um einen möglichen Gestationsdiabetes zu erkennen. Bei diesem Test wird Blut abgenommen, um den Nüchternblutzucker zu bestimmen. Anschliessend wird eine Zuckerlösung getrunken und dann wird der Blutzucker eine Stunde und zwei Stunden nach Einnahme des Zuckers gemessen. Wenn ein Ergebnis der drei Blutzuckerwerte die festgelegten Werte überschreitet, liegt ein Gestationsdiabetes vor.

Wie hoch ist der Anteil der Schwangeren, die von diesem Schwangerschaftsdiabetes betroffen sind?
In der Literatur geht man davon aus, dass dieser Diabetes zwischen 10 und 15 % der Schwangeren betrifft. Deshalb ist das Thema wirklich wichtig. Und der Anteil steigt tendenziell weiter an, da das Risiko für Gestationsdiabetes eng mit Übergewicht und Fettleibigkeit zusammenhängt, die aufgrund des sitzenden Lebensstils in unserer Gesellschaft häufiger werden. In etwa 15 % der Fälle von Gestationsdiabetes handelt es sich um einen nicht erkannten Diabetes Typ 2. Doch diese Unterscheidung kann erst nach der Entbindung gesichert werden, mit einem Test des Nüchternblutzuckers.

Gibt es eine genetische Prädisposition für diesen Diabetestyp?
Ja, auch wenn diese nicht eindeutig ermittelt ist. So weiss man beispielsweise, dass bei Frauen, in deren Familien Verwandte ersten Grades vom Diabetes Typ 1 oder Typ 2 betroffen sind, ein deutlich höheres Risiko dafür besteht, einen Gestationsdiabetes zu entwickeln. Dasselbe gilt, wenn sie diesen Diabetestyp bereits in einer früheren Schwangerschaft entwickelt haben.

Gibt es noch weitere Faktoren, die in Betracht kommen?
Die Zunahme des sitzenden Lebensstils, durch den auch junge Frauen im gebärfähigen Alter an Übergewicht oder Fettleibigkeit leiden, ist ein wichtiger Faktor, der für einen Gestationsdiabetes anfällig macht. Ausserdem gibt es eine «ethnische Prädisposition»: Man hat festgestellt, dass Frauen aus Afrika, vom indischen Subkontinent, aus Asien und Lateinamerika eher dazu neigen, einen Gestationsdiabetes zu entwickeln. Möglicherweise gibt es verschiedene Faktoren im Zusammenhang mit der traditionellen und kulturellen Ernährung des jeweiligen Landes. Eine reichhaltige, auf frittierten Nahrungsmitteln basierende Diät sowie Gerichte mit viel Fett oder schnell resorbierbaren Zuckern erhöhen das Risiko.

Wie unterscheiden sich ein Schwangerschaftsdiabetes und ein «gewöhnlicher» Diabetes?
Im Wesentlichen durch die Tatsache, dass der Gestationsdiabetes vorübergehend ist. Er bildet sich am Ende der Schwangerschaft zurück. Der Diabetes Typ 1, der bei jungen Menschen auftritt, hängt mit einer Autoimmunerkrankung zusammen: Antikörper bekämpfen die Langerhans-Zellen, die das Insulin produzieren. Die Person schüttet nicht genug Insulin aus und entwickelt deshalb einen Diabetes. Der Diabetes Typ 2 tritt im Allgemeinen später im Leben auf und hängt, ähnlich wie der Gestationsdiabetes, mit einer Insulinresistenz und einer unzureichenden Ausschüttung von Insulin durch die Bauchspeicheldrüse zusammen, um diese Insulinresistenz auszugleichen. Dies kann im Zusammenhang mit Übergewicht, Fettleibigkeit oder der Tatsache stehen, dass die Langerhans-Zellen aufgrund des Alters nicht mehr genug Insulin produzieren können. Aber im Gegensatz zum Gestationsdiabetes sind Diabetes Typ 1 und 2 bleibend und bestehen fort, wenn sie einmal auftreten. Der Diabetes Typ 2 kann sich nur zurückbilden, falls er mit Übergewicht oder Fettleibigkeit zusammenhängt und der Patient es schafft, zum Normalgewicht zurückzukehren. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass der Gestationsdiabetes weder Augen, noch Nieren oder Herz gefährdet.

Wenn er so «ungefährlich» ist, muss man den Schwangerschaftsdiabetes trotzdem behandeln?
Ja, wegen des Komplikationsrisikos, das er für Fötus und Mutter während der Schwangerschaft und bei der Entbindung mit sich bringt. Wenn der Gestationsdiabetes behandelt und der Blutzucker ausgeglichen wird, entspricht das Risiko dieser Schwangerschaft dem einer normalen Schwangerschaft.

Welche Risiken gibt es für den Fötus?
Das Baby «nutzt» sozusagen den Zucker, der sich im Blut seiner Mutter befindet. Wenn die Mutter einen Gestationsdiabetes entwickelt, besteht beim Baby ein Zuckerüberschuss. Falls diese Hyperglykämie der Mutter anhält und nicht richtig eingestellt wird, produziert das Baby, dessen Bauchspeicheldrüse wunderbar funktioniert, eine grosse Menge Insulin, um auf diese Hyperglykämie zu reagieren. Nun ist Insulin aber ein exzellentes Wachstumshormon und fördert die Anlage von Fettreserven. Deshalb entwickelt das Baby eine sogenannte Makrosomie: Es wächst stärker als normal und legt mehr an Gewicht zu, was zu Problemen bei der Entbindung führen kann. Das Fettgewebe lagert sich insbesondere an Bauch und Schultern an, was bei der Entbindung zu einer Dystokie der Schultern führen kann, also zu einem Problem bei der Passage der Schultern des Babys, oder zum Traumarisiko, das sogar das Ersticken während der Geburt bedeuten kann. Auf der anderen Seite entwickelt das Baby nach der Geburt plötzlich eine Hypoglykämie, da es an den hohen Blutzucker der Mutter gewöhnt ist. In der Folgezeit normalisiert sich sein Insulinspiegel nach und nach. Und zuletzt, aber nicht weniger gefährlich: Wenn der Gestationsdiabetes der Mutter völlig unausgeglichen ist und nicht behandelt wird, besteht kurz vor Ende der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für den Tod in utero.

Und die Risiken für die Mutter?
Im Gegensatz zum Diabetes Typ 1 und 2 besteht kein Risiko für Schädigungen der Augen, Nieren oder des Herzens.  Bei einem schlecht eingestellten Gestationsdiabetes gibt es allerdings ein höheres Risiko, im Laufe der Schwangerschaft eine Präeklampsie zu entwickeln. Diese entsteht aus einer Fehlfunktion der Plazenta, die den Widerstand beim Blutfluss zum Baby verstärkt. Infolgedessen steigt bei der Mutter der Blutdruck, um diesen Widerstand zu überwinden und ihr Baby weiterhin zu versorgen. Dies führt dazu, dass Proteine in den Urin gelangen, und bei schweren Formen dieser Schwangerschaftskomplikation können Organe wie Leber und Gehirn betroffen sein.

Bestehen für die Mutter weitere Risiken?
Wenn das Baby eine Makrosomie aufweist, ist das häufigste Risiko bei der Entbindung ein Notkaiserschnitt, da das Baby zu gross für das Becken der Mutter ist. Mögliche Komplikationen davon sind eine Lungenembolie, Venenentzündungen, Infektionen, Auswirkungen von Uterusnarben auf spätere Schwangerschaften, etc.

Kann sich ein Gestationsdiabetes zu einem «dauerhaften» Diabetes der Mutter entwickeln?
Sehr langfristig besteht tatsächlich ein höheres Risiko für die Mutter, an Diabetes Typ 2 zu erkranken. Man schätzt, dass eine Frau, die einen Schwangerschaftsdiabetes entwickelt hat, ein siebenfach höheres Risiko im Vergleich zu anderen Frauen hat, später an Diabetes Typ 2 zu erkranken. Deshalb führt man in den ersten sechs Wochen nach der Geburt bei der Mutter denselben Blutzuckertest (oralen Glukosetoleranztest) oder einen Test des Nüchternblutzuckers durch, um zu klären, ob ein Diabetes Typ 2 oder die Kriterien für einen Prädiabetes vorliegen. Wenn dieser Test normal ausfällt, wird empfohlen, ihn einmal pro Jahr bei seinem Arzt zu wiederholen, um so den Nüchternblutzucker zu überwachen.

Wie behandelt man einen Schwangerschaftsdiabetes?
Ganz konkret legt man hygienisch-diätetische Regeln fest: Bestimmte Ernährungsempfehlungen von einer auf Diabetes spezialisierten Diätberaterin, Verringerung von schnell absorbierbarem Zucker und eine leichte Steigerung der körperlichen Aktivitäten entsprechend der Schwangerschaft. Zwei Wochen lang befolgt die Schwangere die hygienisch-diätetischen Regeln und überwacht ihren Blutzucker dreimal täglich: morgens nüchtern sowie nach dem Mittag- und Abendessen, mit einem Stich in die Fingerkuppe und einem kleinen Apparat. Mit dieser einfachen Diabetikerdiät und körperlicher Betätigung kann man den Blutzucker oft einstellen und weitere Behandlungsformen vermeiden. In diesem Fall überwacht die Patientin weiterhin ihren Blutzuckerspiegel, allerdings weniger häufig. Falls diese Massnahmen nicht ausreichen, kann man wie bei einem Diabetes Insulinspritzen geben, die zwar einschränken, sich aber perfekt eignen, da das Insulin nicht durch die Plazentaschranke gelangt und sich also in keiner Weise auf den Fötus auswirkt.

Haben Kinder, deren Mutter einen Gestationsdiabetes entwickelt hat, ein höheres Risiko als andere Kinder, später selbst einen Diabetes zu entwickeln?
Diese Kinder haben ein höheres Risiko, an Fettleibigkeit zu erkranken, einen Diabetes zu entwickeln und, infolgedessen, ein höheres Risiko, später an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkranken. Aber, um es noch einmal deutlich zu sagen, es handelt sich nur um ein «Risiko», und das gilt nur, wenn der Gestationsdiabetes schwerwiegend war. Wenn der Gestationsdiabetes während der Schwangerschaft gut kontrolliert werden konnte, besteht für das Baby kein Unterschied zu einer normalen Schwangerschaft.


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