«Bei Arthrose zählt jedes Kilo!»



Krankheiten

Quelle: TCS MyMed


Pr. Thomas Hügle, CHUV

Professor Thomas Hügle, Leiter der Rheumatologie am CHUV in Lausanne, zum Thema Arthrose.

Professor Hügle, was genau ist eine Arthrose?
Bei der Arthrose handelt es sich um eine Degeneration, die hauptsächlich die Gelenkknorpel betrifft. Ausgelöst wird sie von einem Ungleichgewicht der Mechanismen zur Chondrozyten-Neubildung (die Zellen, aus denen das Knorpelgewebe besteht). Im Fall einer Arthrose übersteigt die Zahl der zerstörten Chondrozyten die der neu gebildeten. Der Knorpel nutzt sich ab und das ganze Gelenk (Bänder, Knochen, Muskeln, Gelenkflüssigkeit) wird geschädigt. Deshalb kann Arthrose zu einer Gelenkkapselentzündung und Verkalkung führen.

Welche Gründe gibt es dafür?
Die meisten primären Arthrosen haben ihren Ursprung im Stoffwechsel. Die Patienten leiden an einer Verkalkung der Gelenkknorpel, die häufig aufgrund eines erhöhten Cholesterinspiegels oder eines Diabetes auftritt.

Spielen die Gene dabei auch eine Rolle?
Da es sich bei Arthrose um eine multifaktorielle Erkrankung handelt, spielen auch die Gene eine Rolle. Tatsächlich betreffen die Gene, die zu einer Arthrose-Prädisposition führen, aber besonders die Knochen und weniger das Knorpelgewebe. Doch man hat auch bei eineiigen Zwillingen beobachtet, dass einer von beiden eine Arthrose entwickelt hat, der andere aber nicht. Wenn Sie also an einer Arthrose leiden, ist Ihr Kind nicht unbedingt betroffen.

Lässt sich ein Unterschied zwischen den Geschlechtern feststellen?
Ja, Frauen sind etwas häufiger von Arthrose betroffen als Männer. Das liegt sicherlich an hormonellen Faktoren. Während der Menopause, die für die Knochen wirklich ein einschneidendes Ereignis darstellt, ist gleichzeitig ein Abfall des Östrogen- und ein Anstieg des Cholesterinspiegels zu beobachten. Für die Gelenke ist das ein grosses Problem.

Tritt Arthrose nur im Alter auf oder kann sie auch junge Menschen betreffen?
Arthrose ist keine Krankheit, die nur aufgrund des Alters auftritt. Sie kann aus einem Trauma, problematischem Übergewicht, einer strukturellen Fehlbildung (X- oder O-Beine) oder auch einer rheumatischen Erkrankung resultieren. Bei jungen Menschen folgt eine Arthrose oft auf einen Unfall, wie beispielsweise ein Kreuzbandriss beim Sport. Oder es liegt eine Fettleibigkeit vor, die auch eine Ursache von Arthrose bei jungen Menschen sein kann, weil Übergewicht eine Instabilität der Bänder zur Folge hat.

Können alle Gelenke von Arthrose befallen werden?
Das am häufigsten betroffene Gelenk ist eindeutig das Knie, weil es ein komplexes, leistungsstarkes und extrem bewegliches Gelenk ist. Danach folgt die Hüfte, allerdings deutlich seltener. Dann die Finger (in 90 % der Fälle bei Frauen). Und genauso häufig stellt man eine Arthrose im Bereich der Wirbelsäule fest. Im Bereich des Rückens verursacht Arthrose häufig starke Schmerzen, weil sie die Bandscheiben betrifft, die sich abnutzen. Auch die kleinen Gelenke im Gesäss können von Arthrose betroffen sein. Und wenn die Arthrose sich weiter ausbreitet, kann sie gegen die Rückenmarksnerven drücken. Die Schulter hingegen ist seltener betroffen. Häufig beobachtet man hier Entzündungen, eine Verkalkung oder einen Sehnenriss, die in der Folge zu einer Arthrose führen können.

Wie macht sie sich bemerkbar? Durch gleichbleibende Schmerzen, unterschiedlich starke Schmerzen oder beides?
Das hängt ganz vom Arthrosestadium ab. Jeder Patient stellt einen Einzelfall dar. Aber es ist klar, dass die Schmerzen aufgrund einer Arthrose niemals linear verlaufen. Sie zeigen sich immer in Form von unterschiedlich starken Schmerzen. Da es sich um eine mechanische Beeinträchtigung handelt, sind die Schmerzen tagsüber schlimmer, wenn man sich viel bewegt hat, etwa nach einer Wanderung. Verbunden mit diesen Schmerzen kann man auch eine Schwellung des Gelenks beobachten, die aufgrund der Reibung auftritt. Ausserdem kann sich morgens beim Aufwachen eine Steifheit zeigen.

Warum verursacht Arthrose Schmerzen?
Das Erstaunliche ist, dass das Knorpelgewebe, das am stärksten betroffen ist, über keinerlei Schmerzrezeptoren verfügt. Die Schmerzen kommen hauptsächlich vom Knochen unter dem Knorpel, von der Kapsel, die sich entzündet, oder vom Meniskus (beim Knie). In 10 % der Fälle kommen die Schmerzen aus der Gelenkumgebung (Sehnen, Schleimbeutel etc.), das sind die so genannten periartikulären Schmerzen.

Gibt es gegen diese Schmerzen eine wirksame Behandlung?
Die Schmerztherapie entwickelt sich ständig weiter. Natürlich gibt es entzündungshemmende Mittel, die zwar schnell Abhilfe schaffen, aber wegen ihrer Nebenwirkungen nicht langfristig angewendet werden können. Man wendet auch Kortisoninfiltrationen an, die aufgrund ihrer Nebenwirkungen umstritten sind, aber das wirksamste Mittel darstellen, um ein sehr entzündetes und geschwollenes Gelenk zu beruhigen. Die Behandlung muss sehr vorsichtig und mehrfach durchgeführt werden. Eine andere Möglichkeit ist die Injektion von Hyaluronsäure in die Kapsel. Dabei ersetzt sie die Gelenkflüssigkeit und kann Schmerzen lindern, indem sie die Reibung verringert. Ausserdem wirkt sie sich positiv auf Entzündungen aus. Doch auch in diesem Fall sind sich die Studien uneins. Schliesslich sollte man wissen, dass zurzeit einige vielversprechende neue Medikamente die klinischen Studien durchlaufen. Sie können uns ermöglichen, Schmerzen besser und gezielter zu bekämpfen.

Kann man auch präventiv handeln? Wie genau?
Man sollte darauf achten, sich zu bewegen, um eine gute Stützmuskulatur zu haben. Doch am wichtigsten ist es, das eigene Gewicht im optimalen Bereich zu halten, da man möglichst vermeiden sollte, die Gelenke zu überlasten. Darum muss man unbedingt an seinem Gewicht arbeiten. Bei Arthrose zählt jedes Kilo! Physiotherapie stellt ein gutes Mittel dar, um die Muskeln in der Umgebung des Gelenks zu stärken und dessen Stabilität bestmöglich zu verbessern. Daneben kann man auch auf kleine chirurgische Eingriffe zurückgreifen, um die Funktion bestimmter Gelenkteile zu verbessern, etwa im Fall einer Kniescheibe, die schlecht von oben nach unten «gleitet». Oder schwerwiegendere Eingriffe, um etwa bei X- oder O-Beinen die Beinachse zu korrigieren.

Kann es eine «Besserung» geben?
Nein, die Arthrose ist unglücklicherweise irreversibel. Wir sind keine Reptilien, wir können uns nur sehr begrenzt regenerieren. Die Betroffenen können nur versuchen, das Gelenk so gut wie möglich zu entlasten, indem sie die Muskulatur stärken und ihr Gewicht sowie die Ernährung kontrollieren. Man kann auch auf Hilfsmittel wie orthopädische Einlagen oder eine Knieschiene zurückgreifen, um das betroffene Gelenk bestmöglich zu stabilisieren. Bei schwerwiegenderen Fällen kommt der Einsatz einer Prothese infrage. Sehr wirkungsvoll ist dies bei der Hüfte, hier erhält man exzellente Ergebnisse und die Lebensdauer der Prothesen hat sich in den letzten Jahren verbessert. Doch jeder Fall ist einzigartig, deswegen muss man, wenn Probleme auftreten, einen Arzt aufsuchen, um von einer individuellen, persönlichen Behandlung zu profitieren, die auf das eigene Krankheitsbild angepasst ist.


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