Prof. Dr. med. Aristomenis Exadaktylos ist Chefarzt und Direktor des Universitären Notfallzentrums am Inselspital und Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin.
Herr Professor, US-Präsident Trump nimmt seit eineinhalb Wochen zur Vorbeugung gegen Covid-19 den Wirkstoff «Hydroxychloroquin» ein. Raten Sie auch dazu?
Der Präsident hat sicher die besten Berater und eventuell Zugang zu Informationen, die mir verschlossen sind. Die bisherigen Studien, welche zugänglich sind, zeigen keinen Benefit dieses Medikaments auf, welches auch schwere Nebenwirkungen haben kann. Aber es zeigt auch, wie schwierig die Zeiten sind und dass wir medizinisch auf dem falschen Fuss erwischt worden sind und es Zeit braucht zu forschen. Aber ich selbst würde es nicht nehmen.
Nach zwei Monaten Corona-Pandemie ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Welche Schlüsse können Sie für Ihre Arbeit bisher daraus ziehen?
Jedes Land muss in einer solchen Krise seinen eigenen Weg gehen und den Mut dazu aufbringen. Es gibt keine eine Lösung für alle. Es ist besser, vorzubeugen und zu planen, als Notfallübungen oder Covid-Spitäler aus dem Boden zu stampfen. Ich erinnere nur an das Problem mit den Masken. Auch unangenehme Fragen müssen gestellt werden und im gesellschaftlichen Konsens beantwortet werden. Zum Beispiel: Wieviel Solidarität sind wir bereit, bei einer nächsten Pandemie zu leisten?
Lange hatten die Leute Angst auf den Notfall zu kommen, hat sich das mittlerweile geändert?
Seit einigen Tagen sehen wir einen deutlichen Anstieg der Patientenzahlen, welche nichts mit Corona zu tun haben. Auf der einen Seite bin ich froh, aber auch besorgt, weil ich mir Gedanken mache, wo sie die ganze Zeit waren und ob Krankheiten verpasst oder verschleppt worden sind. Dies werden wir in den nächsten Wochen und Monaten beantworten können.
Eine bisher unveröffentlichte Umfrage zeigt: Spardruck und Bürokratiestress treiben angeblich Hunderte Ärzte an den Rand eines Burnouts. Beobachten Sie das in Ihrem Team auch?
In meinem Team habe ich mich immer mit Erfolg dafür eingesetzt, dass dies nicht der Fall ist. Und habe dafür auch Unterstützung beim Inselspital gefunden. Allerdings leiden leider einige Notfallstationen, vor allem in kleineren und mittleren Spitälern, sehr stark unter dem Spardruck, und viele Kaderärzte sind am Limit, da es nicht einfach ist, Nachwuchs für diesen harten Job zu finden. Unsere Leute arbeiten jeden Tag und jede Nacht des Jahres – und im Zweifelsfall auch bis ins Pensionsalter. Das ist ein Knochenjob und wurde bis jetzt noch zu wenig von der Politik gewürdigt.
Um die Ausbreitung des Coronavirus weiter einzudämmen und Infektionsketten zu durchbrechen und nachzuverfolgen, wird das Bundesamt für Gesundheit eine App herausgeben. Empfehlen Sie diese App?
Oh je, die App und die legalen Voraussetzungen müssten schon längst da sein, um maximal nützlich zu sein. Jetzt heisst es Ende Juni, wenn überhaupt. Da hätte ich mehr erwartet.
Statistiken sind das wichtigste Kriterium für das Risikobewusstsein der Menschen in dieser Krise. Das gilt umso mehr, wenn kaum jemand in seinem persönlichen Umfeld einen Covid-19-Patienten kennt. Müssen wir weiterhin vorsichtig sein?
Wie viele Opfer im Strassenverkehr kennen Sie persönlich, aber dennoch ist es Ihnen ein Anliegen vorsichtig zu fahren und niemanden zu verletzen? Die Menschen sind reif genug, um sich nichtbürgerkriegsähnliche Zustände zu wünschen, damit wir vor Corona sicher sind.
Was glauben Sie, führt die Corona-Pandemie zu einer höheren Impfbereitschaft?
Ich denke, es wird bei vielen Menschen einen ergebnisoffenen Denkprozess in Gang setzen. Es wird im Moment viel spekuliert und diskutiert, und im Moment sehe ich eher, dass sich bestimmte Lager in ihren Meinungen bestätigt fühlen. Wir sollten die Themen nicht zu sehr vermischen im Moment, denke ich.
Coronavirus-App des BAG: «Da hätte ich mehr erwartet»
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