Prof. Dr. med. Christian Ruef ist Facharzt FMH für Innere Medizin und Infektionskrankheiten in der Klinik Hirslanden. Ein Gespräch mit TCS MyMed.
Herr Professor Ruef, langsam möchten wir alle zur Normalität zurückkehren, was ist die beste Strategie, um mit dem Virus koexistieren zu können?
Es wird nun eine Weile dauern, voraussichtlich mehrere Jahre, bis das Virus keine Bedrohung mehr darstellt. Solange wir nicht bei einem Grossteil der Bevölkerung einen Schutz haben, anhand einer durchgemachten Krankheit oder einer Impfung, müssen wir die frühere «Normalität» vergessen und uns mit den mittlerweile bekannten Massnahmen gegenseitig schützen. Ich bin überzeugt, dass wir als Gesellschaft lernfähig sind und mit der Zeit eine neue Routine und auch eine gewisse Gelassenheit entwickeln, sodass wir trotz des Coronavirus erneut ein gutes und vielfältiges Leben haben werden. Sollten wir oder einzelne unter uns mit der Zeit nachlässig werden, wird die Retourkutsche in Form von mehr Erkrankten und damit erneut verschärften Massnahmen unweigerlich kommen.
Wie stehen Sie zu Schul-, Kindergarten- und Kitaöffnungen?
Ich befürworte dies. Wir müssen eine neue Normalität entwickeln und mit entsprechenden Schutzkonzepten die Aspekte unseres gesellschaftlichen Lebens wieder aufnehmen, die wichtig sind. Dazu gehört die Bildung von der Kita bis zur Uni.
Braucht es jetzt repräsentative Antikörpertests für die Gesamtbevölkerung, um herauszufinden, wie viele wirklich schon angesteckt waren?
Das muss man sicher in Form von guten epidemiologischen Studien machen. Dafür genügen aber repräsentative Bevölkerungsgruppen. Voraussetzung ist eine gute Qualität der durchgeführten Tests und ein gutes Studienkonzept. Einzeltests in Arztpraxen sind für die epidemiologische Fragestellung nicht sinnvoll.
«Remdesivir» ist das erste Arzneimittel, das in Studien einen positiven Einfluss auf den Verlauf von Covid-19 gezeigt hat. Wird es in der Schweiz auch eingesetzt?
Ja, im Rahmen von Studienprotokollen.
Wie lange ist man nach einer durchgemachten Covid-19-Infektion immun?
Die Frage der Immunität nach einer Infektion ist völlig offen, bezüglich Grad der Immunität und auch bezüglich Dauer.
Weiss man bereits, ob es bei einer durchgemachten Corona-Infektion zu Spätfolgen kommen kann – zum Beispiel zu Leberschäden oder Reaktivierungen, so wie es bei Lippen-Herpes der Fall ist?
Die Krankheit kennt man erst seit fünf Monaten. Es ist zu früh, um über Langzeiteffekte eine Aussage zu machen. Reaktivierungen sind aber unwahrscheinlich.
Wann können wir auf einen Impfstoff oder ein Medikament hoffen?
Ein Impfstoff kommt frühestens im Laufe des Jahres 2021. Medikamente werden jetzt schon getestet. Weitere Studien werden sicher im Laufe der nächsten sechs bis zwölf Monate folgen.
Was halten Sie von der Theorie, dass das Virus aus dem Labor stammt?
Das würde mich sehr erstaunen.
Bieten Masken einen Schutz für die breite Bevölkerung?
Jetzt ist die Zeit gekommen, um Masken zu tragen, falls der Abstand von zwei Metern nicht gewahrt werden kann. Siehe BAG-Empfehlungen.
Es existieren neben Epidemiologen, Virologen, Hygienikern, Mikrobiologen, Soziologen und Pädagogen noch viele weitere Wissenschaftsrichtungen. Wer interpretiert die Daten am besten?
Es geht nicht darum, wer die Daten am besten interpretiert, sondern darum, dass die Experten gut zusammenarbeiten und sich gegenseitig bei der Interpretation hinterfragen. Dann entstehen eine gute Meinungsbildung und eine abgestützte Entscheidungsgrundlage.
Stellt eine Pandemie wie diese für Infektiologen einen beruflichen Höhepunkt dar oder ist es ein Ereignis, auf das Sie gerne verzichtet hätten?
Es ist sicherlich eine sehr grosse Herausforderung und eine Gelegenheit, ein neues Virus und eine neue Krankheit kennenzulernen. Gleichzeitig ist es aber etwas, was nicht schön ist, sondern traurig, denn es sterben unzählige Menschen an dieser Infektion.
Welche Schlüsse gilt es aus dieser Pandemie zu ziehen?
Wir müssen die Pandemievorbereitung in vielen Bereichen verbessern. Wahrscheinlich müssten wir das schlimmste Modell der Fallzahlen und der Dynamik als Basis nehmen und dieses verdoppeln. Dann wären wir besser vorbereitet, auch in den Spitälern mit den Schutzmaterialien.
«Wir müssen eine neue Normalität entwickeln»
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