Heute ist der Welttag der psychischen Gesundheit, und die Psyche wurde besonders in den letzten Jahren vermehrt thematisiert. Dr. med. Christian Imboden EMBA, ärztlicher Direktor und Vorsitzender der Klinikleitung der Privatklinik Wyss AG, beantwortet spannende Fragen rund um das Thema «psychische Gesundheit».
Herr Imboden, wie schätzen Sie die psychische Gesundheit der Schweizerinnen und Schweizer ein?
Die Belastung der Bevölkerung hat in den letzten Jahren sicher zugenommen. Durch die Pandemie sowie die heute brandaktuellen Themen wie der Krieg in der Ukraine sowie die Energiekrise sind wir mit deutlich mehr Unsicherheiten konfrontiert. Zudem zeigte sich im regelmässig durch die Gesundheitsförderung Schweiz erhobenen Job-Stress-Index, dass sich der erlebte Stress am Arbeitsplatz seit 2014 signifikant erhöht hat.
Wie sieht die Auslastung in den psychiatrischen Praxen aus?
In den psychiatrischen Praxen und Kliniken wird eine sehr hohe Auslastung der Angebote erlebt, was sich einerseits durch die höhere psychische Belastung, andererseits durch eine raschere Inanspruchnahme dieser Angebote erklären lässt. Ich habe den Eindruck, dass die Berichterstattung während der Pandemie auch dazu geführt haben könnte, dass offener mit psychischen Belastungen umgegangen wird.
Nicht selten wurde auch über die Wichtigkeit der sozialen Kontakte und der Work-Life-Balance berichtet. Wie stufen Sie diese zwei Punkte im Zusammenspiel mit der psychischen Gesundheit ein?
Für die psychische Gesundheit ist es enorm wichtig, dass Belastungen auch Ressourcen gegenüberstehen. Das genau ist auch ein wichtiger Aspekt in der Work-Life-Balance. Wir können nur dann Leistungen in einem anspruchsvollen Umfeld erbringen und dabei gesund bleiben, wenn wir genügend Ausgleich über Freizeitaktivitäten und ein gutes soziales Umfeld haben. Allerdings spielen gute soziale Kontakte auch an der Arbeit eine wichtige Rolle. Am Arbeitsplatz sind weitere stresspuffernde Elemente wichtig, etwa die Wertschätzung sowie der Entscheidungs- und Handlungsspielraum.
Sport ist zu viel mehr in der Lage, als nur den Körper gut aussehen zu lassen. In welchem Zusammenhang stehen psychische Gesundheit und Sport?
Sport hat ausgesprochen positive Effekte auf die psychische Gesundheit, was inzwischen mehrfach wissenschaftlich untersucht wurde. Ein wichtiger Aspekt sind die sogenannt stresspuffernden Effekte von regelmässigen sportlichen Aktivitäten, was zu Zeiten erhöhter Belastung relevant wird. So hat sich gerade während der Pandemie gezeigt, dass das Aufrechterhalten körperlicher Aktivität einen schützenden Effekt auf depressive Symptome und Ängste mit sich bringt. Des Weiteren wurde für verschiedene psychische Erkrankungen gezeigt, dass Sport sowohl präventiv wirksam ist als auch in der Behandlung positive Effekte mit sich bringt.
Wieviel Sport sollte innerhalb einer Woche getrieben werden, um einen nachweislich positiven Effekt auf die Psyche zu erzielen?
Die nationalen Empfehlungen des Bundesamts für Sport, die sich auf die Empfehlungen der WHO abstützen, umfassen wöchentlich mindestens 150 Minuten Aktivitäten moderater Intensität (z. B. spazieren gehen, moderates Fahrrad fahren) oder 75 Minuten hoher Intensität (Aktivitäten, bei denen man sich angestrengt fühlt, wie Joggen oder sportlich Fahrrad fahren). Die Intensitäten können auch entsprechend kombiniert werden.
150 Minuten moderate Bewegung klingt für Menschen, die sich sonst wenig bewegen, nach viel. Kann man auch klein anfangen?
Menschen, die sich kaum bewegen, erfahren schon einen guten Effekt auf das psychische Wohlbefinden, wenn sie klein anfangen und die Aktivität bereits etwas steigern, ohne die Empfehlungen von Beginn weg zu erreichen.
Welchen psychischen Erkrankungen kann man mit Sport vorbeugen?
Gut belegt ist ein präventiver Effekt regelmässiger körperlicher Aktivität für Depressionen, Schlafstörungen sowie Demenz. Für andere psychische Erkrankungen wie Angsterkrankungen oder Traumafolgestörungen gibt es ebenfalls positive Hinweise, wobei es hier noch mehr Studien braucht. Wichtig ist allerdings, dass die körperliche Aktivität in der Freizeit über Jahre hinweg regelmässig als Teil des persönlichen Lebensstils betrieben wird.
Wird die körperliche Aktivität auch als ergänzende Therapiemethode bei Patientinnen und Patienten eingesetzt?
Sport- und bewegungstherapeutische Ansätze werden in den psychiatrischen Institutionen regelmässig als ergänzende Therapie angewendet. Für viele psychische Erkrankungen, insbesondere Depression, Schizophrenie, Suchterkrankungen und Angsterkrankungen gibt es mittlerweile auch solide wissenschaftliche Befunde, die eine Wirkung auf die Symptomatik dieser Erkrankungen belegen können.
Bei welcher Erkrankung konnten die positiven Effekte von körperlichen Aktivitäten am besten belegt werden?
Am besten belegt sind positive Effekte in der Behandlung der Depression. Um einen Effekt zu erzielen, sollte mehrmals pro Woche im Ausdauer- oder Kraftbereich (oder in Kombination) trainiert werden. Dabei ist es hilfreich, dass Aktivitäten gewählt werden können, die den Betroffenen auch persönlich zusagen.
Können Sie weitere Tipps geben, um die eigene psychische Gesundheit zu schützen und zu optimieren?
Neben regelmässiger körperlicher Aktivität ist es wichtig, generell auf einen gesunden Lebensstil zu achten. Das heisst auf eine ausgewogene Ernährung, wenig Alkohol, keine Drogen sowie genügend Schlaf. Positive soziale Kontakte und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeitaktivitäten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.