Anaphylaktischer Schock: Was tun, wenn eine allergische Reaktion lebensbedrohlich wird?

Bild
Anaphylaxie
Anaphylaxie
Quelle: TCS MyMed

Eine Biene, ein Mittagessen, ein neues Medikament – manchmal reicht eine Kleinigkeit, um eine gefährliche Kettenreaktion im Körper auszulösen. Ein anaphylaktischer Schock trifft viele Menschen völlig unvorbereitet – und kann ohne rasche Hilfe tödlich enden. Sonja Hartmann vom aha! Allergiezentrum Schweiz spricht über Symptome, Erste-Hilfe-Massnahmen und typische Fehler im Umgang mit schweren allergischen Reaktionen – und gibt praktische Tipps, wie Betroffene und Angehörige sich besser schützen können.

Anzeichen für eine Anaphylaxie

Haut: Juckreiz, Hautausschlag oder Schwellungen (z.B. im Gesicht) 
Atemwege: Atemnot, pfeifende Atmung oder Engegefühl im Hals 
Magen-Darm-Trakt: Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen 
Kreislaufsystem: Schwindel, Herzrasen, Bewusstlosigkeit, Blutdruckabfall, Kreislaufkollaps 

Frau Hartmann, was ist ein anaphylaktischer Schock?
Ein anaphylaktischer Schock ist eine besonders schwere Form einer allergischen Reaktion und stellt einen akuten medizinischen Notfall dar. Dabei reagiert das Immunsystem überempfindlich auf bestimmte Stoffe (Allergene), z.B. auf Insektengifte, Medikamente oder Nahrungsmittel. Im Gegensatz zu einer leichten allergischen Reaktion, die sich etwa durch Hautausschlag oder Juckreiz zeigt, ist der anaphylaktische Schock systemisch – das bedeutet, dass mehrere Organsysteme gleichzeitig betroffen sein können. Ohne sofortige medizinische Behandlung kann ein anaphylaktischer Schock tödlich enden.

Welche ersten Massnahmen sollte man ergreifen, wenn jemand Anzeichen eines anaphylaktischen Schocks zeigt?
Die konkrete Erstversorgung hängt vom Schweregrad der Anaphylaxie ab. Eine Übersicht dazu ist im Infoblatt «Erste Hilfe bei einer anaphylaktischen Reaktion» von aha! Allergiezentrum Schweiz zu finden. Bei einer schweren allergischen Reaktion, die auf eine Anaphylaxie hindeutet, muss sofort gehandelt werden:

  1. Adrenalin verabreichen – mit einem Adrenalin-Autoinjektor (sofort und ohne Zögern, wenn die Reaktion schwer ist).
  2. Notruf 144 alarmieren – auf Anaphylaxie hinweisen und genaue Symptome beschreiben.
  3. Betroffene beruhigen und lagern – bei Bewusstsein, in flacher Lage mit hochgelegten Beinen. Bei Atemnot den Oberkörper hochlagern. Kommt es zu einem Atem- oder Herzstillstand: sofort mit wiederbelebenden Massnahmen starten!
  4. Weitere Medikamente wie Antihistaminika und gegebenenfalls Kortison können ergänzend gegeben werden, ersetzen jedoch nicht das Adrenalin.

Adrenalin ist der wichtigste Bestandteil der Behandlung und muss so früh wie möglich eingesetzt werden!

Warum ist Adrenalin so wichtig?
Adrenalin ist der entscheidende Bestandteil der Behandlung bei Anaphylaxie, da es schnell und zuverlässig gegen lebensbedrohliche Symptome wie Schwellungen, Kreislaufversagen und Atemnot wirkt. Es stabilisiert den Kreislauf und öffnet die Atemwege innerhalb von Minuten. Andere Medikamente im Notfallset, wie Antihistaminika und Kortison, haben einen langsameren Wirkungseintritt und sind in der akuten Phase weniger effektiv.

Welche Fehler passieren häufig bei der Ersten Hilfe bei Anaphylaxie?

  • Zögern beim Einsatz von Adrenalin: Die sofortige Anwendung ist entscheidend.
  • Notruf nicht oder zu spät absetzen: Der Notruf sollte nach der Adrenalin-Gabe sofort erfolgen.
  • Nur Antihistaminikum oder Kortison verabreichen: Diese Medikamente ersetzen nicht das Adrenalin und wirken zu langsam.
  • Falsche Lagerung: Bei Kreislaufproblemen muss der Betroffene flach gelagert werden, nicht aufrecht.
  • Kein zweiter Autoinjektor dabei: Ein zweiter Injektor ist wichtig, falls die Symptome zurückkehren.
  • Falsche Anwendung des Adrenalin-Autoinjektors: Eine korrekte Handhabung ist unerlässlich und muss geübt werden.

Wie lange dauert es, bis ein anaphylaktischer Schock ohne Behandlung lebensbedrohlich wird?
Anaphylaxie kann innerhalb von wenigen Minuten lebensbedrohlich werden. Der Verlauf hängt dabei stark vom Auslöser, der individuellen Empfindlichkeit der betroffenen Person und eventuellen Vorerkrankungen (z.B. Asthma) ab. Deshalb ist ein sofortiges Handeln entscheidend – insbesondere die Gabe von Adrenalin durch den Autoinjektor, idealerweise schon bei ersten eindeutigen Symptomen wie Atemnot, Kreislaufproblemen, Stimmveränderung oder Schwellung im Halsbereich.

Welche Massnahmen können Laien ergreifen, wenn kein Adrenalin verfügbar ist?
Wenn kein Adrenalin-Autoinjektor zur Verfügung steht, sollten – falls vorhanden – Antihistaminika und gemäss ärztlicher Verordnung auch Kortisonpräparate verabreicht werden. Erleidet eine Person zum ersten Mal einen anaphylaktischen Schock, muss sofort der Notruf gewählt und Erste-Hilfe-Massnahmen eingeleitet werden.

Wann sollte man zusätzlich zum Adrenalin Antihistaminika oder Kortison verabreichen?
Antihistaminikum und Kortison sollten im Rahmen einer Anaphylaxie möglichst früh gegeben werden – immer ergänzend, aber nie anstelle von Adrenalin. Sie wirken verzögert und sind daher nicht lebensrettend. Antihistaminika lindern vor allem Hautsymptome, Kortison kann einem späteren Rückfall vorbeugen. Das wichtigste und wirksamste Notfallmedikament bleibt Adrenalin – es muss bei schweren Symptomen sofort eingesetzt werden.

Welche Gruppen sind besonders gefährdet für eine Anaphylaxie?
Besonders gefährdet sind Menschen mit bekannten Allergien gegen Insektengifte, Nahrungsmittel (z.B. Erdnüsse, Kuhmilch) oder bestimmte Medikamente (z.B. Antibiotika, Schmerzmittel). Auch Personen mit früherer Anaphylaxie haben ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Kinder und Jugendliche sind häufig betroffen – bei ihnen stehen oft Nahrungsmittel im Vordergrund, bei Erwachsenen eher Insektengifte oder Medikamente.

Wie kann man sein eigenes Risiko minimieren und welche Präventionsmassnahmen gibt es?
Wichtig ist die konsequente Meidung des Auslösers und das Mitführen eines Notfallsets mit Adrenalin. Betroffene und ihr Umfeld sollten im Umgang damit geschult sein. Das aha! Allergiezentrum Schweiz bietet entsprechende Schulungen an, in denen das richtige Verhalten im Notfall geübt wird. Eine ärztliche Abklärung ist wichtig zur Diagnose und Therapieplanung, etwa für eine mögliche spezifische Immuntherapie, die das Risiko langfristig senken kann.

Gibt es Fortschritte in der Forschung zur Behandlung von Anaphylaxie?
Ja, die Forschung macht Fortschritte – insbesondere bei der Entwicklung neuer Medikamente, der Optimierung von Adrenalin-Autoinjektoren sowie in der spezifischen Immuntherapie, vor allem bei Nahrungsmittelallergien wie der Erdnussallergie. Dabei nehmen Betroffene über einen längeren Zeitraum hinweg definierte, geringe Mengen des auslösenden Allergens ein, um eine Toleranzentwicklung des Immunsystems zu fördern.

Extratipp: 
Die Stiftung aha! Allergiezentrum Schweiz bietet Schulungen zum Umgang mit einem anaphylaktischen Schock an. Diese Schulungen richten sich an Betroffene, Angehörige und Fachpersonen und kombinieren theoretisches Wissen mit praktischen Übungen, wie dem Einsatz eines Adrenalin-Autoinjektors. Ziel ist es, im Notfall richtig und schnell handeln zu können – das kann Leben retten. Die aktuellen Termine und Angebote finden Sie in der Agenda auf der offiziellen Website: aha! Allergiezentrum Schweiz – Agenda

Sonja Hartmann, aha! Allergiezentrum Schweiz

 

Sonja Hartmann, Projektleiterin bei aha! Allergiezentrum Schweiz 

Frau Hartmann ist gelernte Pflegefachfrau HF mit einem Nachdiplomstudium NDS HF Pflegeberatung. Sie war in unterschiedlichen Fachbereichen in Spitälern als Pflegefachfrau und in der Funktion als Fachverantwortliche Pflege tätig. Bei der Stiftung aha! Allergiezentrum Schweiz führt sie Projekte durch, berät und schult Allergiebetroffene und vermittelt Wissen an interessierte Personen sowie Unternehmen.
 

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

Weitere Artikel zum Thema Notfallratgeber