
Jeder Familienalltag bringt Herausforderungen mit sich – ob es um Trotzanfälle im Kleinkindalter, Schwierigkeiten in der Schule oder pubertäre Konflikte geht. Doch wann ist es sinnvoll, eine Elternberatung zu kontaktieren? Sandra Niederhauser, Beraterin und Fachverantwortliche Beratung bei Pro Juventute, erklärt, wie Eltern durch die Beratung gestärkt werden und warum es keine Schande ist, Unterstützung zu suchen.
Frau Niederhauser, wann ist es sinnvoll, eine Elternberatung zu kontaktieren, und welche Unterstützung können Eltern konkret erwarten?
Die Elternberatung von Pro Juventute ist eine vertrauliche Anlaufstelle für Eltern, die Unterstützung in ihrem Familienalltag suchen. Unser Beratungsteam besteht aus Fachpersonen der Psychologie, Sozialpädagogik und sozialen Arbeit. Die Beraterinnen und Berater sind rund um die Uhr da, wenn Eltern schnelle und fachliche Unterstützung benötigen – sei es, um unmittelbare herausfordernde Situationen zu bewältigen, Unsicherheiten zu klären oder Antworten auf allgemeine Fragen zur Erziehung und Entwicklung ihres Kindes zu finden.
Wir helfen auch bei Herausforderungen im Alltag, bei Problemen in der Schule oder in akuten Krisensituationen. Ziel ist es, Eltern genau dort zu stärken, wo sie es brauchen, und ihnen dabei zu helfen, ihren Familienalltag zu meistern.
Wie unterscheidet sich die Beratung je nach Altersgruppe der Kinder und welche Herausforderungen treten typischerweise in den verschiedenen Entwicklungsphasen auf?
Ob Kleinkindalter, Schuleintritt oder Pubertät: Jeder Entwicklungsschritt eines Kindes bringt Veränderungen mit sich, was im Familienalltag zu neuen Fragen und Herausforderungen führen kann. Bei Bedarf klären wir über die verschiedenen Entwicklungsphasen und Besonderheiten auf. Für mich als Beraterin steht immer die konkrete Situation der ratsuchenden Person im Vordergrund. Es gibt nicht die eine Lösung, die für alle passt.
Jede Familie ist einzigartig und deshalb braucht jede Familie individuelle Lösungen und Strategien, um mit Problemen umzugehen.
Was passiert während einer Elternberatung bei Pro Juventute und wie läuft eine solche Beratung ab?
Ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit ist das aktive Zuhören. Wir nehmen uns Zeit, hören aufmerksam zu und begegnen den ratsuchenden Personen mit Wertschätzung und ohne Vorurteile. Dabei ist es uns besonders wichtig, die Anliegen der Eltern ernst zu nehmen. Oft erlebe ich, dass Eltern sich für Probleme schämen, die in Wahrheit viele Familien betreffen. Deshalb möchte ich betonen: Herausforderungen gehören zum Familienalltag – und niemand muss sich dafür schämen, Hilfe zu suchen. Im Gegenteil: Es ist extrem wichtig, sich Unterstützung zu holen, wenn man nicht weiterweiss und einen Rat von aussen braucht.
Ein Gespräch kann bereits sehr viel bewirken. Gemeinsam schauen wir, welche Schritte die ratsuchende Person in ihrer konkreten Situation gehen kann. Wenn es sinnvoll ist, vermitteln wir auch weiterführende Unterstützung, etwa an eine Beratungsstelle vor Ort. Unser Ziel ist es, den Eltern das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein, und sie dabei zu unterstützen, passende Lösungen zu finden.
Wer trägt die Kosten und gibt es finanzielle Unterstützung für Familien in schwierigen Situationen?
Die Elternberatung von Pro Juventute ist für alle Ratsuchenden kostenlos. Wir bieten keine finanzielle Unterstützung an, stehen aber rund um die Uhr bereit, Eltern je nach ihrer individuellen Situation an die passenden Fachstellen in ihrer Nähe zu vermitteln. Unser Fokus liegt darauf, Orientierung und Unterstützung in herausfordernden Momenten zu geben und den Eltern den Zugang zu weiterführender Hilfe zu erleichtern, wenn diese benötigt wird.
Gibt es besondere Herausforderungen bei Alleinerziehenden im Vergleich zu Elternpaaren und wie wird darauf in der Beratung eingegangen?
Weil Alleinerziehende zu Hause kein erwachsenes Gegenüber haben, um sich regelmässig auszutauschen, kann es vorkommen, dass sie sich eher an uns wenden. Trotzdem besprechen wir meist ähnliche Themen wie bei Eltern, die zusammenleben. Letztendlich stehen bei unserer Beratung immer die individuellen Bedürfnisse der Familie und vor allem das Wohl des Kindes im Mittelpunkt. Unabhängig davon, ob es sich um Alleinerziehende oder Elternpaare handelt, ist unser Ziel, Familien bei Bedarf zur Seite zu stehen.
Ein Kind weigert sich, mit Eltern oder Beratern zu sprechen – welche Möglichkeiten gibt es in einer solchen Situation?
In so einem Fall ist es wichtig zu prüfen, ob es sonst eine Vertrauensperson im Umfeld des Kindes gibt, zum Beispiel Grosseltern, Götti, Gotte oder die Schulsozialarbeit, mit der das Kind über Schwierigkeiten sprechen kann. Vertrauensvolle Beziehungen sind ein wertvoller Schutzfaktor für die psychisch gesunde Entwicklung eines Kindes.
Wie sollten die Eltern vorgehen, um eine problematische Situation am besten anzusprechen?
Eltern sollten keinen Druck ausüben, sondern signalisieren, dass sie immer für das Kind da sind, ein offenes Ohr haben und die Sorgen ernst nehmen. Eine offene und wertschätzende Atmosphäre zu Hause ist entscheidend, damit die Kinder sich trauen, auch über schwierige Gedanken und Gefühle zu sprechen. Ich empfehle, solche Gespräche in einem entspannten Rahmen zu beginnen, etwa während einer Alltagstätigkeit wie dem gemeinsamen Kochen oder bei einem Spaziergang. Es hilft, das Thema behutsam und aus der Ich-Perspektive anzusprechen, zum Beispiel: «Ich habe den Eindruck, dass du nicht mehr so oft über die Schule redest.» Wichtig ist dabei, geduldig zu bleiben und das Kind nicht zu drängen – es soll sich frei fühlen, in seinem eigenen Tempo zu erzählen.
Inwiefern spielt die Zusammenarbeit mit Schulen oder anderen Institutionen eine Rolle, um das Wohl des Kindes sicherzustellen?
Je älter ein Kind wird, desto mehr Zeit verbringt es in der Schule – ein zentraler Ort in seiner Lebenswelt. Eine enge Abstimmung zwischen Schulen und Eltern ist daher entscheidend, um Probleme frühzeitig zu erkennen und ganzheitliche Unterstützungsmassnahmen umzusetzen. Solche Massnahmen greifen ineinander und stärken wichtige Schutzfaktoren im Leben des Kindes.