Barbara Stocker, Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverband, über Handys im Gebärsaal, Hausgeburten und über die Herausforderungen des Hebammen-Berufs.
Frau Stocker, wie hat sich der Hebammen-Beruf in den letzten 125 Jahren verändert?
Vor 125 Jahren fanden die Geburten zu Hause statt, die Hebammen haben fast ausschliesslich ausserklinisch gearbeitet. Hebammen waren Ansprechperson für sämtliche Belange rund um die Mutterschaft. In den 1930-er Jahren verlagerten sich die Geburten zunehmend ins Spital. Heute finden rund 95 Prozent aller Geburten im Spital statt. Entsprechend arbeiten viele Hebammen angestellt im Spital. Seit rund dreissig Jahren gibt es in der Schweiz von Hebammen geleitete Geburtshäuser. Seit rund zehn Jahren sind sie auf der Spitalliste und die Leistungen der Geburt werden vollumfänglich von der Grundversicherung bezahlt. Frauen schätzen die kontinuierliche und umfassende Hebammen-Betreuung während der Schwangerschaft, der Geburt, im Wochenbett und während der Stillzeit. Stark zugenommen hat die ambulante Nachbetreuung zu Hause.
Warum?
Seit der Einführung der Fallpauschalen hat sich die Aufenthaltsdauer im Spital drastisch reduziert und die Frauen verlassen innerhalb der ersten 72 Stunden das Spital und sind auf die Hebammen-Betreuung zu Hause angewiesen.
High-Tech hält immer mehr Einzug im Klinikalltag. Vertrauen werdende Eltern auch alten Methoden?
Werdende Eltern schätzen häufig beides. Die High-Tech-Methoden aber nur dann, wenn es nötig ist und die bewährten natürlichen Methoden, wenn alles physiologisch verläuft. Eine Geburt ist noch immer ein normales Ereignis im Leben einer Frau und zum Glück verläuft die Mehrheit aller Geburten ganz normal. Hebammen sind bestrebt, die Physiologie zu fördern und die Frau in ihren Ressourcen zu stärken. Es ist daher wichtig, dass sich eine Frau oder ein Paar schon im Voraus darüber Gedanken macht, wie mit allfälligen Interventionen umgegangen werden soll. Eine Geburtsvorbereitung bei der Hebamme unterstützt werdende Eltern darin, informierte Entscheidungen treffen zu können.
Welches sind die grössten Herausforderungen im Berufsalltag einer Hebamme?
Geburten sind nicht planbar und finden zu allen Tages- und Nachtstunden statt. Dafür muss ein Spital gerüstet sein. Deshalb sind Geburtenabteilungen für Spitäler teuer. Spart ein Spital beim Personal, müssen Hebammen unter enormem Druck arbeiten, manchmal mehrere Frauen parallel betreuen. Nicht genügend Zeit zu haben, einer werdenden Mutter nicht so beistehen zu können, wie man dies eigentlich gelernt hat und gerne tun würde, fordert viele Hebammen sehr.
Also eine stetige Bereitschaft?
In der Freiberuflichkeit ist ebenfalls diese permanente Rufbereitschaft zu Tag- und Nachtzeiten eine Herausforderung. Aber wenn man sich für den Beruf der Hebamme entscheidet, weiss man, dass Kinder auch an Weihnachten oder Pfingsten zur Welt kommen und nimmt dies in Kauf. Leider sind die Tarife für ambulante Hebammenleistungen noch immer nicht so, dass sich eine Hebamme einen marktgerechten Lohn bezahlen kann und ihre Auslagen gedeckt sind. Obwohl Hebammen häufig bei Tag und Nacht, Regen und Schnee unterwegs sind, erhält eine Hebamme beispielsweise als Kilometer-Entschädigung bloss 60 Rappen. Damit ist knapp das Auto bezahlt, nicht aber ihre Arbeit und ihr Aufwand. Über einen solchen Ansatz lacht jeder Handwerker. Die Tarife sind komplett veraltet und bedürfen einer Anpassung. Im Moment wartet der Schweizerische Hebammenverband darauf, dass der Bundesrat eine neu erarbeitete Tarifstruktur endlich genehmigt.
Die Verantwortung einer Hebamme ist gross, doch im Vergleich zu Ärzten verdienen sie deutlich weniger. Warum?
Das ist eine gute Frage. Der Beruf der Hebamme ist ein typischer Frauenberuf und Statistiken zeigen, dass gerade solche Berufe schlechter bezahlt sind als typische Männerberufe. Zudem ist es leider eine Tatsache, dass Frauen in der Schweiz generell weniger verdienen als Männer. Inzwischen absolviert die Hebamme ein Studium, die Ausbildungsdauer ist nicht mehr wesentlich anders als bei Medizinerinnen. Längerfristig gesehen, muss sich der Lohn der Hebamme nach oben korrigieren.
Welche Karriere-Möglichkeiten hat eine Hebamme?
Im Spital sind es die klassischen Karriere-Möglichkeiten: Leitende Funktion im Gebärsaal oder auf einer Wochenbett-Abteilung bis hin zur Pflegedienstleitung oder Pflegedirektorin. Hebammen arbeiten als selbstständig Erwerbende, gründen Praxen, haben Angestellte, eröffnen Geburtshäuser und werden somit zu Unternehmerinnen. Oder sie studieren weiter, werden zu Hebammenexpertinnen mit erweiterten Rollen, gehen in die Forschung oder werden Dozentinnen an den Fachhochschulen. Auch das berufspolitische Engagement ist gefragt und die Präsidentin des Verbandes zu sein der schönste Karriereschritt überhaupt!
Mütter erinnern sich oft ein Leben lang an die Stunden im Gebärsaal, für Sie ist das Alltag. Was berührt Sie da immer noch?
Grosse Ehrfurcht. Immer wieder. Ich finde es eine unglaubliche Leistung von jeder Frau, dass sie eine Schwangerschaft austragen und aus eigener Kraft ein Kind gebären kann. Bei einer Geburt zeigt der Körper der Frau eine enorme Leistung, die Körperarbeit ist gewaltig und jede Frau muss diesen Weg mit ihrem Kinde alleine gehen. Man kann ihr beistehen, doch die Arbeit muss sie selber leisten. Das berührt mich immer wieder von neuem. Auch wenn es so selbstverständlich ist, dass Kinder auf die Welt kommen, ist jede Geburt eine Meisterleistung und verdient Respekt.
Was halten Sie von Hausgeburten?
Im vertrauten Umfeld ein Kind zu gebären, ist wohl das Schönste, was es gibt. Nicht jede Frau traut sich eine Hausgeburt zu und nicht jede Schwangerschaft lässt eine Hausgeburt zu. Ich finde es gut, dass es diese Wahlmöglichkeit grundsätzlich gibt.
Welchen Ratschlag geben Sie einer werdenden Mutter, die Angst vor der Geburt hat?
Nehmen Sie Kontakt mit einer Hebamme auf, besprechen Sie mit ihr, wie und wo Sie Ihr Kind gebären möchten! Ihre Hebamme wird Sie informieren und unterstützen.
Fast alle werdenden Eltern haben im Gebärsaal Smartphones dabei – wie sollte Ihrer Ansicht nach der Umgang damit beschränkt werden?
Gebären ist Körperarbeit, der Kopf sollte wenn möglich ausgeschaltet sein! Je mehr sich eine Frau auf die Gebärarbeit einlassen kann, desto besser wird es ihr gelingen, mit den Wehen umzugehen. Smartphones stören diese Prozesse – übrigens auch dann, wenn der Mann ständig mit dem Gerät beschäftigt ist –, hindern die Frau daran, richtig «abzutauchen». Manchmal sehen frischgebackene Eltern nach der Geburt vor lauter WhatsApp-Nachrichten, Instagram-Storys und Facebook-Posts ihr Kind nicht mehr. Die erste Zeit mit einem frisch geborenen Kind ist fast ein bisschen ein heiliger Moment. Da ist das Smartphone überflüssig, die ganze Aufmerksamkeit soll nämlich dem Kind gehören, denn dieser intime und innige Moment ist einmalig und kommt nie wieder.
Für Anregungen und Inputs, können Sie uns gerne per Mail kontaktieren: med@tcs.ch