Ein guter und ausreichender Schlaf ist wichtig für das körperliche und psychische Wohlbefinden. Jedoch ist er nicht selbstverständlich. Im Interview mit TCS MyMed beantwortet Dr. med. Thomas Ihde, Geschäftsführender Chefarzt Psychiatrie der Spitäler fmi AG, Fragen rund um das Thema «Insomnie».
Herr Ihde, was ist Insomnie und welche Symptome sind typisch dafür?
Unter Insomnien versteht man Schlafstörungen, bei denen der Schlaf entweder als quantitativ von der Menge her oder von der Qualität her als ungenügend betrachtet wird. Dabei unterscheidet man Menschen, die Mühe mit dem Einschlafen haben von Menschen, die Mühe mit dem Durchschlafen haben und schliesslich gibt es auch eine Gruppe von Menschen, die vor allem unter einem morgendlichen Früherwachen leiden. Häufig sind aber auch gemischte Formen. Betroffene leiden nicht nur nachts – morgens fühlen Sie sich nicht erholt und tagsüber erschöpft.
Unterschied zwischen vorübergehender Schlaflosigkeit und Insomnie
- Vorübergehende Schlaflosigkeit: dauert kürzer als einen Monat, in der Regel sogar kürzer als zwei Wochen
- Akute Insomnie: dauert mindestens vier Wochen
- Chronische Insomnie: dauert mindestens drei Monate
Wie weit verbreitet sind Insomnie und allgemeine Schlafprobleme in der Schweiz?
Ein- und Durchschlafstörungen gehören zu den häufigsten Krankheiten. Jede fünfte Person leidet einmal in ihrem Leben an einer mehrwöchigen Phase einer Schlafstörung. Schwere Schlafstörungen sind hingegen zum Glück recht selten. Hier trifft es zwischen zwei und vier Prozent der Bevölkerung. Schlafstörungen gelten aber als stille Leiden. Betroffene warten oft Monate und teilweise sogar Jahre, bevor sie sich Hilfe suchen. Dies hat damit zu tun, dass Schlafstörungen schambesetzt sind. Betroffene haben oft Angst, abgestempelt zu werden als jemand, der «immer nur eine Schlaftablette» möchte.
Welche Faktoren können zu Schlafstörungen wie beispielsweise Insomnie führen?
Ein- und Durchschlafstörungen haben häufig keine benennbaren Auslöser. Oft entstehen sie in kleineren oder grösseren Lebenskrisen, in denen der Schlaf kurzfristig leidet und sich nicht mehr normalisiert. Sie können aus einer körperlichen Krankheit entstehen, beispielsweise bei chronischen Schmerzen, aber auch aus einer psychischen Störung, indem beispielsweise eine Depression abklingt, aber dann die Schlafstörung zurückbleibt. Wesentlich häufiger ist hier aber das Gegenteil, nämlich dass aus einer Schlafstörung mit der Zeit eine Erschöpfungsdepression entsteht.
Welche Auswirkungen kann Insomnie auf die körperliche und geistige Gesundheit haben?
Bei den Insomnien ist die Stressachse übermässig aktiviert und verliert ihre normale Tages- bzw. vor allem Nachtrhythmik. Dies führt dann zu einem erhöhten Risiko für beispielsweise hohen Blutdruck, aber auch zu kardiovaskulären Erkrankungen wie beispielsweise Herzgefässverengungen. Diese Risiken sind zum Glück aber relativ gering. Das mit Abstand grösste Risiko ist dasjenige der Erschöpfungsdepression.
Welche diagnostischen Verfahren werden verwendet, um eine Insomnie zu identifizieren und zu bewerten?
Diagnostiziert werden Insomnien vor allem aufgrund der ausführlichen Befragung. Oft wird auch eine sogenannte Aktigraphie eingesetzt, einer Art Smartwatch, die über zwei Wochen den Tag-Nacht-Rhythmus nachzeichnet. Eine Untersuchung in einem Schlaflabor ist vor allem bei chronischen Insomnien indiziert, hier geht es aber vor allem darum, andere seltene Schlafstörungen auszuschliessen.
Welche nicht-medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Insomnie?
Es gibt Verhaltensansätze, aber auch eine schlafspezifische Kurzzeitpsychotherapie, welche auch in Gruppen angeboten werden kann.
Welche Medikamente werden zur Behandlung von Insomnie eingesetzt und welche Nebenwirkungen können auftreten?
Wichtig zu wissen ist hier, dass die Kurzzeitpsychotherapie den Schlafmedikamenten eigentlich überlegen ist. Wenn Medikamente eingesetzt werden, gibt es eine Art Stufen-System. Die erste Stufe sind pflanzliche Heilmittel, oft auf Hopfenbasis, oder auch Ashwagandha oder Melatonin. In einem zweiten Schritt werden oft kurzfristig sogenannte Z-Medikamente eingesetzt, welche kurzfristig den Schlaf verbessern können. In einem dritten Schritt werden oft milde Antidepressiva eingesetzt, die aber unabhängig vom Vorhandensein einer Depression den Schlaf positiv begünstigen können. Erst in einem vierten Schritt werden sogenannte Benzodiazepine eingesetzt, welche den Schlaf zwar gut begünstigen können, aber auch zu einer Abhängigkeit führen können.
Gibt es spezielle Schlafpraktiken, die bei der Bewältigung von Insomnie helfen können?
Ja, hier gibt es viele. Schlaf ist eine Gewohnheitssache, und diese ist an die innere Uhr gebunden, welche es zu stärken gilt. Wichtig ist es, immer zur gleichen Zeit zu Bett zu gehen, aber vor allem auch zur gleichen Zeit aufzustehen, unabhängig davon, wie viel oder eben wie wenig man geschlafen hat. Und dies gilt leider sieben Tage die Woche, also kein Versuch, am Sonntag etwas länger liegen zu bleiben. Gleichzeitig gilt es die Zeit, die man wach im Bett liegt, möglichst kurz zu halten. Wenn man nach 20 Minuten noch nicht eingeschlafen ist, ist es besser, für eine Weile wieder aufzustehen und dann erneut einen Versuch zu starten.
Wie wichtig ist die Identifizierung und Behandlung von zugrunde liegenden Ursachen, die zur Insomnie beitragen können?
Angstgedanken sind oft wichtige Treiber für die Wachheit. Liege ich im Bett und stelle mir bereits vor, dass sich nun wieder so wenig schlafen kann und dann am nächsten Morgen kaum arbeitsfähig sein werde, löst dies eine Stressreaktion aus, was mich noch mehr weckt. Andere Treiber können aber beispielsweise auch in der zu hohen Schlafzimmertemperatur oder Lichtern vom Wecker oder Smartphone liegen.
Welche langfristigen Strategien können ergriffen werden, um einen gesunden Schlaf zu fördern und Insomnie zu verhindern?
Wir alle leben heute in einer Welt, die uns mental sehr viel mehr fordert, und dies heisst, wir müssen auch mehr auf unsere Kräfte achten. Deshalb ist es wichtig, sich genügend Schlaf zu gönnen und in einen möglichst guten Schlaf zu investieren. Beginnende Erschöpfungszustände führen nämlich ebenfalls oft zu Insomnien.