Dr. Claude Geronimus vom medizinischen Team des TCS spricht mit uns über den zu hohen und den zu niedrigen Blutdruck – die beiden Fälle, in denen der Blutdruck aus dem Gleichgewicht gerät.
Dr. Geronimus, was versteht man unter Blutdruck?
Der Blutdruck ist der Druck, mit dem das Blut durch die Arterien gepresst wird, der Druck, den das Blut auf die Arterienwände ausübt, die sich dadurch ausdehnen. Daher rührt der Druck, den wir mithilfe eines Blutdruckmessgeräts in Millimetern Quecksilbersäule (mmHg) messen können. Während der Messung werden zwei Werte erhoben: Der erste Wert entspricht dem höchstmöglichen Druck und wird in dem Moment gemessen, in dem sich das Herz zusammenzieht. Das ist der sogenannte «systolische Wert». Der zweite Wert, der sogenannte «diastolische Wert» wird in dem Moment gemessen, in dem sich das Herz wieder entspannt und sich erneut mit Blut füllt. Er entspricht dem geringsten Druck.
Welche Werte gelten als Ideal- oder Standardwerte?
Der Blutdruck sollte idealerweise 120/80 betragen. Bei einem Wert von über 140/90 spricht man von Bluthochdruck, ein Blutdruck von unter 100/60 gilt als zu niedrig.
Wozu ist dieser Druck in den Arterien gut?
Dieser Druck, der durch die Spannung der Arterienwände entsteht, sorgt dafür, dass das Blut richtig zirkulieren kann, sodass es über das Netzwerk aus grossen und kleinen Arterien und Kapillaren zu all unseren Organen und unserem Gewebe gelangen kann.
Wie wird dieses Drucksystem reguliert?
Zwei Faktoren sind für den Blutdruck in den Arterien entscheidend: Die Pumpleistung des Herzens und der Widerstand, den das Blut überwinden muss, wenn es durch die arteriellen Gefässe fliesst, da sich in den Arterienwänden auch Muskeln befinden. Auch Mechanismen zur Regulierung des Drucks in den Arterien gibt es zwei an der Zahl: Einmal einen Mechanismus über die Nerven zur kurzfristigen Regulierung des Drucks. Dazu muss man wissen, dass einige grosse Gefässe, wie beispielsweise die Aorta und die Halsschlagader, eine Art Radar besitzen, der Druckschwankungen ans Gehirn weiterleitet. Das Gehirn ist dann aufgrund dieser Informationen in der Lage, den Herzschlag sofort zu beschleunigen oder zu verlangsamen. Der Körper verfügt noch über einen zweiten Mechanismus, der es erlaubt, den Druck über die Hormone und das Blut mittel- und langfristig zu regulieren.
Allerdings kann dieses fragile System manchmal aus dem Gleichgewicht geraten...
Ganz genau. Die Ursache der Probleme kann entweder beim Herzen oder bei den Gefässen liegen. Ein zu niedriger Blutdruck (Hypotension) kann durch Herzschwäche oder Probleme mit den Gefässen verursacht werden. Die Gründe für Bluthochdruck (Hypertension) sind komplexer. In 95 Prozent der Fälle bleibt die Ursache unbekannt. Bei den restlichen fünf Prozent wird er häufig durch eine Krankheit verursacht, etwa eine Fehlfunktion der Nieren oder eine hormonelle Störung beispielsweise der Nebennieren oder der Schilddrüse. Die Faktoren, die Bluthochdruck begünstigen können, sind hingegen genau bekannt: zu viel Salz, Rauchen, Stress, Übergewicht, Bewegungsmangel und Diabetes.
Welche Symptome gehen mit Bluthochdruck einher?
Da gibt es ganz verschiedene Symptome, beispielsweise Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen (Tinnitus), Sehstörungen oder Nasenbluten. Allerdings zeigen sich beim Bluthochdruck meistens gar keine Symptome und er wird eher zufällig festgestellt, wenn die Patienten aus anderen Gründen untersucht werden. Daher ist die regelmässige Blutdruckmessung beim Hausarzt so wichtig.
Welche Folgen hat Bluthochdruck für die Betroffenen?
Bluthochdruck ist einer der Hauptrisikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Er schädigt vor allem die Gefässe, die sich verhärten und verdicken, was das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen erhöht. Er kann ausserdem Herzrhythmusstörungen oder Herzinsuffizienz, Nierenversagen oder andere Durchblutungsstörungen verursachen, insbesondere in den unteren Gliedmassen und den Augen.
Wieviel Prozent der Schweizer Bevölkerung leiden unter Bluthochdruck?
Aus einem im August 2021 veröffentlichten Bericht der WHO geht hervor, dass sich der Anteil der Erwachsenen zwischen 30 und 79 Jahren mit Bluthochdruck weltweit schätzungsweise etwa verdoppelt hat. Allerdings ist die Schweiz neben Kanada am wenigsten von dieser Entwicklung betroffen. Aus den Zahlen des Schweizer Bundesamts für Statistik von 2017 geht hervor, dass 19 Prozent der Schweizer und 16 Prozent der Schweizerinnen unter Bluthochdruck leiden. Dieser Anteil steigt mit dem Alter und man geht davon aus, dass 47 Prozent der Männer und Frauen über 65 einen zu hohen Blutdruck haben, unabhängig vom Sprachraum oder Wohnort.
Lässt sich Bluthochdruck vermeiden?
Wie bereits gesagt, sind die genauen Ursachen für Bluthochdruck oft nicht oder nur wenig bekannt. Aber man kann beeinflussen, wie hoch der Blutdruck steigt. Zunächst ist eine Ernährungsumstellung zu empfehlen: weniger Salz, Kaffee und Alkohol. Dann sollte der Lebensstil geändert und zum Stressabbau regelmässig Sport getrieben werden, am besten drei Mal pro Woche je 30 bis 45 Minuten Ausdauersport.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Wir kennen zwar seine genauen Ursachen nicht, aber es gibt dennoch verschiedene Medikamente gegen Bluthochdruck. Es gibt acht Medikamentengruppen, die sich in ihrer jeweiligen Wirkungsweise unterscheiden, sich aber oft auch gegenseitig ergänzen. Darunter sind Medikamente für das Herz, die Gefässe oder die Nieren.
Gilt für niedrigen Blutdruck grundsätzlich das gleiche?
Bei niedrigem Blutdruck ist es genau umgekehrt: Der Druck in den Arterien ist nicht hoch genug. Dies kann ein vorübergehendes oder bleibendes Phänomen sein, das häufig auftritt oder nur gelegentlich. Niedriger Blutdruck ist keine Krankheit im eigentlichen Sinne, sondern mehr ein Symptom. Ein Blutdruck von unter 100/60 gilt als niedrig. Manche Menschen haben einfach von Natur aus einen niedrigen Blutdruck. Das nennt man konstitutionelle Hypotonie. Allerdings rauscht der Blutdruck auch in den Keller, wenn man dehydriert ist, bestimmte Medikamente einnimmt oder viel Blut verliert. Bei der sogenannten orthostatischen Hypotonie kommt es aufgrund des niedrigen Blutdrucks häufig zu Schwindelanfällen, wodurch die Betroffenen oft in ihrem Alltag eingeschränkt sind. Ihr Blutdruck fällt häufig ab, wenn sie nach dem Liegen oder Sitzen wieder aufstehen. Davon sind insbesondere Diabetiker betroffen und Patienten, die an Nierenversagen oder bestimmten Nervenerkrankungen leiden.
Welche Symptome gibt es?
Je nachdem, wie schnell und plötzlich der Blutdruck abfällt, können die Symptome sehr unterschiedlich ausfallen. Sie reichen von einem Gefühl der Müdigkeit oder Schwäche über Schwindelanfälle, «schwarze Punkte vor den Augen» und Herzflattern bis hin zum Kreislaufkollaps.
Kommt die Erkrankung häufig vor?
In der Schweiz leiden sieben Prozent der Bevölkerung an orthostatischer Hypotonie. Dieser Anteil steigt mit dem Alter. Bei den über 65-Jährigen beträgt er 15 Prozent.
Lässt sich ein niedriger Blutdruck vermeiden oder behandeln?
In der Regel wird auf eine medikamentöse Behandlung verzichtet und zur Behandlung der Symptome auf folgende Massnahmen zurückgegriffen, die auch gerne miteinander kombiniert werden: erhöhte Salzzufuhr, Förderung des Blutrückflusses zum Herzen (nicht abrupt aufstehen, nicht bewegungslos stehen bleiben, im Stehen die Beine übereinanderschlagen, die Beinmuskulatur anspannen), Tragen von Kompressionsstrümpfen, regelmässige Bewegung und ausreichende Flüssigkeitszufuhr.