Schwangerschaft und Geburt trotz Coronavirus: Was der Professor für Gynäkologie rät

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Quelle: TCS MyMed

Professor Dr. med. Andreas Günthert ist Leiter des gyn-zentrum in Luzern und Cham. Er ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Zusatzbezeichnung Operative Gynäkologie und Schwerpunkt Gynäkologische Onkologie sowie zertifizierter Mammaoperateur –  bis Juni 2018 war er Chefarzt der Frauenklinik am Luzerner Kantonsspital. Im Interview mit TCS MyMed.

Herr Professor Günthert, soll man jetzt überhaupt noch Kinder zeugen?
Das wird voraussichtlich ohnehin der Fall sein, eine Situation wie diese ist prädestiniert, um für einen Anstieg von Schwangerschaften zu sorgen. Die Menschen haben mehr Zeit für sich und die Familie. Das Risiko für eine lebensbedrohliche COVID-19-Erkrankung für Schwangere ist sehr klein, grundsätzlich werden Schwangere auch nicht als Risikopopulation gewertet.

Aber viele Frauen haben bereits vor normalen Schwangerschaftskontrollen Angst – und vor einer Geburt in Spitalumgebung erst recht. Wie nehmen Sie den Frauen diese Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus?
Tatsächlich ist unsere Erfahrung, dass Schwangere ihre empfohlenen Kontrollen überwiegend auch weiterhin wahrnehmen, zumal sich Arztpraxen und Spitäler sehr früh über Sicherheitsmassnahmen Gedanken gemacht haben und diese auch umgesetzt haben. Das BAG kann nicht jeden Behandlungsschritt und jede Massnahme detailliert vorgeben, das ist die Aufgabe der Fachgesellschaften und der beteiligten Spitäler und Arztpraxen. Insofern gibt es auch hier kleine Unterschiede in der Handhabung. Wir haben bei uns sehr früh Kontrollen, die auch telefonisch möglich sind, proaktiv den Schwangeren als Telefonkonsultation angeboten und auch signalisiert, dass wir weiterhin für sie da sind. Die Konsultationszeiten wurden verlängert, damit das Wartezimmer leer ist und die Distanz eingehalten wird. Wir als Ärzte und das Team wiederum tragen seit über zwei Wochen Masken, um unsere Patienten, aber auch uns gegenseitig zu schützen.

Und die Spitäler?
Die Spitäler haben sich darauf eingestellt, dass möglichst keine verschiebbaren Behandlungen durchgeführt werden, um eine Überlastung zu vermeiden. Selbstverständlich war allen bewusst, dass Schwangerschaften und Geburten nicht dazu gehören, also hat frühzeitig jedes Spital individuelle Massnahmen ergriffen, um den Abstand zu wahren und das Infektionsrisiko sehr klein zu halten. Dazu gehört auch, dass möglichst wenige oder gar keine Besuche möglich sind. Einige Spitäler gehen so weit, dass es den Vätern nach der Geburt nicht gestattet ist, Mutter und Kind im Wochenbett zu besuchen. Insofern haben aktuell insbesondere Geburtshäuser einen deutlichen Zulauf.

Was raten Sie Frauen, die in Erwartung sind und eine Vorerkrankung haben?
Das hängt sicherlich von den individuellen Vorerkrankungen ab und dies sollte jeweils im Detail mit der Schwangeren besprochen werden. Relevant sind insbesondere Vorerkrankungen der Atemwege, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes mellitus und Bluthochdruck. Wir beobachten allerdings eher die Tendenz, dass viele Menschen sich selbst als Risikopatienten einstufen und können hier beruhigen. Es ist aber sicher nicht richtig, bei Beschwerden Arztkontrollen zu vermeiden, weil man Angst vor einer Ansteckung hat. Im Gegenteil, das kann sehr gefährlich werden.

Und gesunde schwangere Frauen, sollten diese sich nun bis zur Geburt isolieren?
Nein, es gelten für gesunde Schwangere die gleichen Vorgaben wie für andere gesunde Menschen.

Operationen sind vom Bund eingeschränkt. Gibt es nun somit mehr Spontangeburten und weniger geplante Kaiserschnitte?
Diese Beobachtung konnte ich bisher nicht machen, auch wenn ich noch keine konkreten Statistiken kenne. Kaiserschnitte sind von dieser Einschränkung nicht betroffen. Ebenso auch nicht Krebsoperationen. Die Massnahmen betreffen Eingriffe, die ohne nachhaltigen Schaden drei Monate verschoben werden können.

Welche zusätzlichen Schutzmassnahmen treffen Sie bei Kaiserschnitten, die stattfinden müssen?
Corona-Viren sind nicht die einzigen potenziell gefährlichen Erreger. Grundsätzlich sind bei einer Operation wie auch dem Kaiserschnitt Schutzmassnahmen vorgeschrieben, wir testen ja beispielsweise auch nicht jeden Menschen auf eine HIV-Infektion. Das bedeutet, dass bei einem Kaiserschnitt ohnehin Sicherheitsbestimmungen wie das Tragen von Schutzmasken und Schutzanzügen erfüllt werden. Anders ist dies bei Schwangeren, bei denen Symptome vorliegen und die positiv auf COVID-19 getestet wurden. Die Fachgruppe der Gynäkologie und Geburtshilfe hat hier bereits am 24. März eine Empfehlung herausgegeben. Bei einem positiven Test soll das Infektionsrisiko möglichst geringgehalten werden und dennoch die Nähe zur Mutter beibehalten werden, unter Einbezug entsprechender Sicherheitsvorkehrungen wie z.B. der Vermeidung eines Kontaktes zu potenziell kontaminierten Handschuhen und Schutzanzügen sowie der Einhaltung von zwei Metern Abstand im Wochenbett.

Was bedeutet der Erreger COVID-19 für Schwangere, Gebärende und Neugeborene?
Es gibt keine Hinweise, dass Schwangere für eine COVID-19-Infektion besonders gefährdet sind oder dass bei einer Infektion mit besonders schwerwiegenden Verläufen zu rechnen ist. Dennoch kann es wie bei anderen gesunden jungen Menschen zu einer Infektion kommen, die zu einer Einschränkung der Atemfunktion führen kann, welche in Einzelfällen dazu geführt hat, dass eine vorzeitige Entbindung notwendig wurde. Weltweit wurde aber bisher nur vereinzelt von derartigen Fällen berichtet. Die Geburt sollte dort stattfinden, wo die Schwangere sich bereits vorgestellt hat, und ohne Symptome benötigt es keine spezialisierte Klinik. Eine Übertragung in der Schwangerschaft auf das Kind ist bisher nicht nachgewiesen und eher unwahrscheinlich. Auch eine Übertragung über die Muttermilch ist nicht beschrieben. Bei Neugeborenen mit einer COVID-19-Infektion scheint diese wesentlich milder zu verlaufen als bei Erwachsenen. Es gelten die Vorgaben wie derzeit für alle Menschen: Hände waschen oder desinfizieren, Abstand halten, Kontakte auf das Notwendigste beschränken.

Welche Symptome treten bei einer Erkrankung mit dem neuen Coronavirus bei Schwangeren auf?
Es sind die gleichen Symptome wie bei Nicht-Schwangeren. Am 7. April hatte eine skandinavische Arbeitsgruppe die weltweit dokumentierten Fälle dazu analysiert und veröffentlicht. In den allermeisten Fällen verläuft die Infektion ohne schwere Symptome, 68 % haben Fieber, 34 % haben Husten und im Blut lassen sich Entzündungswerte nachweisen.

Kommt hier bei Ihnen auch die Telemedizin zum Einsatz – zum Beispiel Videoanrufe?
Ja, dieses Angebot hatten wir bereits vor der Ausnahmeregelung angeboten. Im Ausland erfreut sich die Telemedizin bereits grosser Beliebtheit. Tatsächlich ist bei uns die Nachfrage für Video-Konsultationen bisher überschaubar, bevorzugt werden Telefongespräche. Allerdings ist zu beachten, dass aus Angst vor einer Infektion inzwischen auch Arztbesuche vermieden werden, wo sie dringend angezeigt sind. Es nehmen Aufrufe der Ärzteschaften zu, die darauf hinweisen, dass bei Symptomen anderer Art oder auch bei gefühlten Knoten, wie zum Beispiel in der Brust, unbedingt ein Arztbesuch stattfinden sollte. Es ist nicht das Ziel, dass Herzinfarkte oder beispielsweise Brustkrebs nicht erkannt und behandelt werden, weil Arztbesuche vermieden werden.

Von Medikamenten rät man schwangeren Frauen ab, wie soll denn das Coronavirus therapiert werden?
Aktuell gibt es keine Grundlage für eine nachgewiesene Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung. Insofern findet man in Spitälern weltweit und auch in der Schweiz sehr unterschiedliche Vorgehensweisen bei der medikamentösen Behandlung. Im Vordergrund steht die Entlastung der Atemwege, wie Zurückhaltung bei der Gabe von Flüssigkeiten, Sauerstoffgabe und Überwachung der lebenswichtigen Organe. Bei milden Verläufen, die bei Schwangerschaften eher im Vordergrund stehen, gibt es fiebersenkende Medikamente und Medikamente, die den Husten lindern, die auch während der Schwangerschaft verabreicht werden dürfen. Im Moment arbeiten viele Unternehmen an der Entwicklung von Impfungen, die voraussichtlich noch in diesem Jahr verfügbar sein werden. Erfreulicherweise ist die Kurve der Neuerkrankungen bereits abgeflacht und eine flächendeckende Überlastung der Intensivstationen ist in der Schweiz bisher ausgeblieben. Dennoch, Corona-Viren werden uns weiterhin beschäftigen und wir werden Lösungen finden müssen für einen nachhaltigen Umgang damit.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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