Unfälle im Alter: «Knochenbrüche bei betagten Menschen sind ein einschneidendes Erlebnis»

Prof. Dr. med. Johannes Bastian


Notfallratgeber

Quelle: TCS MyMed


Der demografische Wandel in der Schweiz ist im Klinikalltag bereits Realität, die Patienten werden immer älter. «Diese medizinisch adäquat zu versorgen, stellt auch die Unfallchirurgie vor eine anspruchsvolle Aufgabe», erklärt der Hüft-und Beckenchirurg Prof. Dr. med. Johannes Bastian.

Mit zunehmendem Alter nimmt das Risiko zu stürzen stark zu. Dabei handelt es sich oft um ein Ereignis mit weitreichenden Folgen.
Prof. Dr. med. Johannes Bastian: Ja, das ist richtig. Das Risiko für einen Sturz nimmt bis zum 90. Lebensjahr um das Vierfache zu. Hierbei lauert die Gefahr oft im Alltag. Bei betagten Menschen ist der Sturz aus dem Stand heraus eine sehr häufige Unfallursache. Knochenbrüche sind allerdings erfreulicherweise nur bei etwa jedem 20. Sturz nachweisbar. Kommt es jedoch zu einem Knochenbruch, so ist das tatsächlich ein einschneidendes Ereignis, weil dies in der Regel einen Spitalaufenthalt nötig macht und einen Verlust an Selbstständigkeit bedeuten kann. Bei komplizierten Verläufen überlebt sogar nur bis zu jeder zweite Patient das erste Jahr nach einem Knochenbruch. Sehr häufig ist das Hüftgelenk und zunehmend das Becken betroffen.

Warum stürzen betagte Menschen so viel häufiger als jüngere?
Im Alter liegt häufiger eine Gangstörung vor, die zu einem Sturz führen kann. Die Gründe für eine Gangstörung sind vielfältig und komplex. Im Alter nehmen die Muskelmasse und Koordinationsfähigkeit ab, Arthrosen der Gelenke schränken die Beweglichkeit ein. Störungen des Gleichgewichtssinns, Gefühlsstörungen wie bei Zuckerkrankheit an der Fusssohle oder auch eine eingeschränkte Sehfähigkeit können ebenfalls zur Gangstörung führen. Auch Erkrankungen der Organe (wie Herzschwäche) oder des Nervensystems (wie Morbus Parkinson) können ursächlich sein. Das Tückische hierbei ist, dass sich die Gangstörung schleichend entwickelt. Daher ist eine Gangstörung den Betroffenen häufig nicht bewusst und wird zumeist erst nach einem Sturz festgestellt. Leider kommt es in der Hälfte der Sturzfälle innert einem Jahr zu einem weiteren Sturz. Auch psychische Folgen sind nicht zu unterschätzen, weil betagte Menschen sich nach einem Sturz aus Angst vor einem weiteren Sturz zurückziehen.

Welche Faktoren führen dazu, dass die Knochen im Alter schneller brechen?
Wenn die Belastung des Knochens dessen Belastbarkeit übersteigt, dann bricht er. Hierbei ist eine häufige Ursache für eine reduzierte Belastbarkeit die Abnahme der Knochendichte. Diese Erkrankung wird als Osteoporose bezeichnet und betrifft ab dem 60. Lebensjahr jede fünfte Frau, ab dem 80. Lebensjahr sogar jede zweite Frau. Daher brechen die Knochen bei Vorliegen von Osteoporose «schneller» respektive es braucht weniger Energie, wie beispielsweise eine Fallhöhe nur aus dem eigenen Stand.

Welches sind die häufigsten Frakturen beim älteren Patienten mit Osteoporose?
Bei betagten Patienten bei Vorliegen von Osteoporose sprechen wir von der sogenannten «Osteoporose-Karriere». Das bedeutet, bestimmte Frakturen treten in einem bestimmten Alter auf. So ist die zeitlich erste Fraktur am Handgelenk um das 60. Lebensjahr, danach sind es Kompressionsbrüche der Wirbelkörper um das 70. Lebensjahr, diesen folgen Hüftgelenkbrüche und Beckenbrüche ab dem 80. Lebensjahr. Ein ebenfalls häufiger Bruch ist jener des Oberarmkopfes. Zudem sehen wir zunehmend Knochenbrüche um künstliche Gelenke, wie zum Beispiel nach Implantation einer Hüfttotalprothese. Besonders diese Knochenbrüche sind anspruchsvoll, weil unfallchirurgische und orthopädische Kenntnisse vorhanden sein müssen für deren Behandlung.

Gibt es individuell an die Bedürfnisse der Patienten angepasste Operationstechniken, die zum Einsatz kommen?
Ja, Operationsverfahren wurden und werden weiterhin an die Gewebeeigenschaften betagter Menschen angepasst. So sind weichteilschonende Techniken in den letzten Jahren stark weiterentwickelt worden. Wir haben in Bern eine neue Operationsmethode bei Hüftpfannenbrüchen entwickelt, mit der sich neue Bruchformen bei betagten Menschen optimaler behandeln lassen. Weiterhin stehen bei schlechtem Knochen moderne Implantate zur Stabilisierung von Knochenbrüchen oder auch Methoden zur Augmentation des Knochens zur Verfügung.

Eine Operation ist für einen älteren Menschen mit mehr Risiken verbunden, als dies bei einem jüngeren Patienten der Fall ist. Wie gehen Sie in der Unfallchirurgie damit um?
Verunfallte, betagte Menschen im Akutspital adäquat zu versorgen, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. In der Unfallchirurgie haben wir uns auf die «Persönlichkeit des Knochenbruches» durch ein Umdenken in der Operationsmethodik eingestellt. Neu ist für uns Chirurgen jedoch die Komplexität der «Persönlichkeit der Patienten». Betagte Menschen haben häufig mehrere Begleiterkrankungen und benötigen eine Vielzahl an Medikamenten. Dies ist eine sehr hohe fachliche und organisatorische Herausforderung, bei welcher wir auf unsere Kollegen der Altersmedizin angewiesen sind. Unsere gemeinsame Behandlung zielt darauf ab, die Knochenbrüche unserer Patienten schnellstmöglich operativ zu stabilisieren – ohne Komplikationen und mit einer frühestmöglichen Rehabilitation. Wichtig ist auch die Anbindung an die Osteoporose-Medizin zur weiteren Abklärung und Therapie.

Das heisst, Therapie, Rehabilitation und Prävention sollten idealerweise fast zur selben Zeit beginnen?
Unbedingt und sozusagen «Alles aus einer Hand». Die Therapie von Knochenbrüchen bei betagten Menschen ist Teamarbeit und hat immer zum Ziel, längere Bettlägerigkeit zu vermeiden und den Zustand vor dem Unfall rasch wieder zu erreichen. Wir wollen unsere Patienten in ihr gewohntes soziales Umfeld zurückführen und bei ihnen weitere Knochenbrüche möglichst vermeiden. Eine Akutrehabilitation beginnt heute bereits bei Spitaleintritt. Hierbei ist eine enge Zusammenarbeit der Unfallchirurgie mit der Altersmedizin, der Osteoporose-Medizin sowie mit der Physio-und Ergotherapie, der Ernährungsberatung, der Pflege und den sozialen Diensten sehr wichtig. Anhand von definierten sogenannten «orthogeriatrischen» Behandlungspfaden und einer klaren Verteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten werden Patienten bereits früh zur Selbstständigkeit angehalten. Komplikationen können so vermieden oder rechtzeitig erkannt und die Aufenthaltsdauer im Spital verkürzt werden.

Sie haben sowohl im Inselspital wie auch im Tiefenauspital diese orthogeriatrische Kooperation ins Leben gerufen.
Unsere Aufgabe ist die ständige Verbesserung der Versorgung dieser anspruchsvollen «orthogeriatrischen» Patienten, dies mitunter, indem man sogenannte spezialisierte «Chirurgische Alterszentren» einrichtet. Durch eine Kooperation der Universitätsklinik für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie mit der Universitätsklinik für Altersmedizin haben wir in der Inselgruppe ein ebensolches, spezialisiertes Angebot etabliert. Unser Behandlungsansatz geht sogar weiter, da wir unser Kooperationsmodell nicht auf betagte Unfallpatienten beschränken. So schliessen wir auch solche Patienten ein, die eine orthopädische Operation – wie beispielsweise die Implantation oder den Wechsel einer gelockerten Hüfttotalprothese – erhalten.

Und bei Ihrer Fachgesellschaft «Swiss Orthopaedics» haben Sie eine Expertengruppe gegründet, die sich für die Bedürfnisse von betagten Patienten in der Orthopädie und Unfallchirurgie einsetzt…
Das ist richtig. Die Expertengruppe «Orthogeriatrie und Alterstraumatologie» ist interdisziplinär, wir konnten Kollegen der Altersmedizin und Rehabilitationsmedizin für diese Idee gewinnen. Wir haben somit die Möglichkeit, Empfehlungen aufzubauen, uns auszutauschen, Problemfälle zu besprechen und uns in der Forschung zu organisieren sowie Fortbildungen anzubieten.

Quelle und mehr Infos: www.inselgruppe.ch

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