Schnelle Hilfe bei Atemnot: Expertenrat von Prof. Dr. med. Jörg D. Leuppi

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Asthmaspray
Asthmaspray
Quelle: TCS MyMed

Atemnot ist ein ernstzunehmendes Symptom, das plötzlich auftreten kann. Egal, ob bei Asthma, einer Lungenembolie oder einer Panikattacke – schnelle Hilfe kann Leben retten. In diesem Interview erklärt Prof. Dr. med. Jörg D. Leuppi vom Kantonsspital Baselland, wie Sie bei Atemnot richtig reagieren und welche Ursachen häufig dahinterstecken. Lernen Sie die wichtigsten Erste-Hilfe-Massnahmen kennen und erfahren Sie, wie Sie im Notfall richtig handeln.

Herr Leuppi, gibt es verschiedene Ursachen für eine plötzlich auftretende Atemnot und welche sind die häufigsten?
Ja, es gibt zahlreiche Ursachen für plötzlich auftretende Atemnot, und sie lassen sich grob in vier Hauptkategorien einteilen: Herz, Lunge, psychogene Ursachen und metabolische Ursachen. Die häufigsten Auslöser sind jedoch Herz- und Lungenerkrankungen, die zusammen etwa 60 bis 80 Prozent aller akuten Atemnotfälle ausmachen.

Bei den Herzerkrankungen handelt es sich typischerweise um:

  • Koronare Herzkrankheiten (z.B. Angina pectoris, Herzinfarkt)
  • Herzrhythmusstörungen
  • Herzklappenfehler (z.B. Mitralstenose oder Aorteninsuffizienz)
  • Herzinsuffizienz (insbesondere Linksherzinsuffizienz mit Lungenstauung)

Im Bereich der Lunge sind die häufigsten Auslöser:

  • Asthma bronchiale, insbesondere schlecht eingestelltes Asthma
  • COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung)
  • Lungenembolie – diese liegt zwischen Herz und Lunge, da sie eine Durchblutungsstörung der Lunge durch ein Blutgerinnsel verursacht
  • Pneumonie (Lungenentzündung)
  • Spontanpneumothorax besonders bei jüngeren, schlanken Männern

Weitere Ursachen:

  • Panikattacken und psychogene Hyperventilation – besonders bei jüngeren Menschen unter Stress oder in belastenden Situationen
  • Metabolische Störungen (z.B. bei Niereninsuffizienz, Schilddrüsenüberfunktion oder bei diabetischer Ketoazidose)
  • Fremdkörperaspiration, vor allem bei kleinen Kindern oder älteren Menschen mit Schluckstörungen

Die häufigste einzelne Ursache lässt sich schwer eindeutig benennen, weil sie je nach Altersgruppe und Risikoprofil variiert. Generell lässt sich aber sagen: Bei jüngeren Menschen ist Asthma besonders häufig, bei älteren Personen dominieren COPD, Herzinsuffizienz und Lungenembolien.

Wie kann man einer oder einem Betroffenen rasch und wirkungsvoll helfen?
Wenn jemand plötzlich Atemnot bekommt, ist schnelles und zielgerichtetes Handeln entscheidend. Die erste Massnahme ist, Ruhe zu bewahren – sowohl für die betroffene Person als auch für die Helfenden. Panik verschärft die Situation und verstärkt die Atemnot.

Diese Schritte helfen schnell und effektiv:

  1. Beruhigend sprechen – durch ruhige Sprache kann man die Patientin oder den Patienten dazu bringen, ebenfalls ruhiger zu atmen. Emotionaler Beistand ist sehr wichtig.
  2. Aufrechte Position einnehmen – am besten im Sitzen, eventuell mit abgestützten Armen (Kutschersitz). Diese Haltung entlastet das Zwerchfell und erleichtert die Atmung.
  3. Lippenbremse anleiten – ruhig durch die Nase einatmen, langsam durch die locker aufeinanderliegenden Lippen ausatmen, als ob man eine Kerze nicht ausblasen, sondern nur zum Flackern bringen will.
  4. Spray verabreichen (wenn vorhanden) – bei bekannten Asthmatikerinnen oder COPD-Patienten sollte der eigene Notfallspray (z.B. Salbutamol) so früh wie möglich verabreicht werden.
  5. Notruf wählen, wenn keine Besserung eintritt, der Spray nicht hilft oder nicht zur Hand ist oder wenn sich die Symptome verschlimmern.

Wenn du als Helfende nicht medizinisch geschult bist, ist es wichtig, die Massnahmen auf das Wesentliche zu beschränken und den Rettungsdienst zu alarmieren. Je ruhiger du bleibst, desto besser kann die betroffene Person atmen.

Warum ist eine ruhige Atmung entscheidend, um eine Panikreaktion zu verhindern?
Eine ruhige Atmung ist bei Atemnot von entscheidender Bedeutung, weil sie sowohl die körperliche als auch die psychische Eskalation der Symptome verhindern kann. Atemnot kann sehr schnell zu Angst oder sogar Panik führen, was wiederum zu einer Hyperventilation führt – also zu einem schnellen, flachen Atmen. Dieser Kreislauf aus Atemnot und Panik verschlimmert die Situation erheblich.

Durch das ruhige, kontrollierte Atmen – etwa mit der Lippenbremse – wird der Druck in den Atemwegen erhöht, was besonders bei obstruktiven Lungenerkrankungen wie Asthma oder COPD hilfreich ist. Die Lippenbremse sorgt dafür, dass die oberen Atemwege nicht kollabieren und der Luftstrom kontrolliert aus der Lunge entweichen kann. Gleichzeitig sinkt durch die langsamere Atmung auch der CO₂-Verlust, der bei Hyperventilation sonst zu Schwindel und weiteren Symptomen führt.

Ein kontrollierter Atemrhythmus hilft zudem, das vegetative Nervensystem zu stabilisieren. Dadurch wird das Gefühl der Panik gemildert. Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie Schulungsprogramme (z.B. der Lungenliga oder des aha! Allergiezentrum Schweiz) vermitteln Techniken wie die Zwerchfellatmung, Lippenbremse oder gezielte Atemübungen, die helfen, in solchen Situationen ruhig zu bleiben. Weiter schulen diese die korrekte Anwendung der Inhalationsgeräte.

Hier finden Sie das Kursprogramm der Lungenliga.
Hier finden Sie das Kursprogramm des aha! Allergiezentrum Schweiz.

Erste-Hilfe-Massnahmen:

  1. Notfallspray wiederholt verabreichen
  2. Lippenbremse anwenden
  3. Patientin bzw. Patient aufrecht lagern
  4. Enge Kleidung öffnen
  5. Ruhig und langsam sprechen
  6. Notruf 

Gibt es spezielle Erste-Hilfe-Massnahmen bei einem Asthmaanfall?
Ja, bei einem akuten Asthmaanfall gibt es mehrere bewährte Erste-Hilfe-Massnahmen, die Leben retten können. Wichtig ist, frühzeitig zu reagieren, bevor sich der Zustand verschlechtert. Bei Kindern ist es besonders wichtig, elterliche Nähe und Ruhe zu bewahren. Kinder spüren sofort, wenn Erwachsene nervös werden – das verschlimmert die Situation.

Wann sollte unbedingt die Notärztin gerufen werden?
Ein Notarzt sollte unbedingt gerufen werden, wenn eine Person akut keine Luft mehr bekommt oder sichtbar um Luft ringt, wenn sie panisch wirkt oder Bewusstseinsveränderungen zeigt oder wenn sich Lippen und Fingernägel bläulich verfärben – ein Zeichen für Sauerstoffmangel. Auch technische Hilfsmittel wie ein Pulsoximeter können helfen: Liegt die Sauerstoffsättigung unter 90 Prozent, obwohl sie bei gesunden Menschen normalerweise zwischen 95 und 98 Prozent liegt, besteht dringender Handlungsbedarf. Können die Betroffenen nicht mehr sprechen, weil ihnen die Luft fehlt, oder handelt es sich um bekannte Asthmatikerinnen oder COPD-Patienten, die ihren Spray nicht bei sich haben oder deren Medikamente keine Wirkung mehr zeigen, sollte ebenfalls sofort der Notruf gewählt werden.

Besonders kritisch sind Situationen, in denen die Ursache der Atemnot unklar ist – etwa bei plötzlich auftretender Atemnot in Ruhe oder nach körperlicher Belastung. Das könnte auf schwerwiegende Erkrankungen wie eine Lungenembolie oder einen Herzinfarkt hindeuten. In jedem Fall gilt: Bei Unsicherheit lieber frühzeitig die Notärztin oder den Notarzt alarmieren, denn Zeit kann im Notfall Leben retten.

Was tun, wenn ein Asthmatiker seinen Spray nicht zur Hand hat?
Wenn eine Asthmatikerin in eine akute Notfallsituation gerät und ihren Spray nicht zur Hand hat, kommt es auf schnelles, gleichzeitig aber ruhiges und überlegtes Handeln an. Zunächst ist es entscheidend, die eigene Ruhe zu bewahren und der oder dem Betroffenen Sicherheit zu vermitteln, da Panik die Atemnot noch verstärken kann. Unterstützend wirkt die Lippenbremse. Sie hilft, die Atemwege länger offen zu halten und das Ausatmen zu erleichtern. Die Patientin oder der Patient sollte möglichst aufrecht sitzen, idealerweise im sogenannten Kutschersitz mit nach vorne abgestützten Armen, damit die Atemhilfsmuskulatur optimal eingesetzt werden kann. Unverzüglich sollte medizinische Hilfe organisiert werden – sei es durch das Wählen des Notrufs oder durch die Suche nach der nächstgelegenen Apotheke oder Arztpraxis, in der eventuell ein Notfallinhalator vorhanden ist.

In besonderen Fällen kann versucht werden, kurzfristig ein vergleichbares Notfallspray aus dem Umfeld zu organisieren – etwa von anderen Betroffenen –, wobei dies aus medizinischer Sicht nur in echten Notlagen und möglichst nach ärztlicher Rücksprache erfolgen sollte. In jedem professionellen Rettungsteam stehen bronchienerweiternde Medikamente zur Verfügung, was die Bedeutung einer schnellen Alarmierung unterstreicht. Langfristig ist es entscheidend, dass Menschen mit Asthma oder COPD konsequent darauf achten, ihren Spray immer griffbereit bei sich zu führen – denn im Notfall zählt jede Minute, und ein vergessenes Medikament kann lebensgefährlich sein.

Wie unterscheidet sich eine Atemnot durch Allergien von einer Atemnot mit anderen Ursachen?
Atemnot durch Allergien, insbesondere im Rahmen eines allergischen Asthmas hat einige typische Merkmale, die sie von einer Atemnot mit anderen Ursachen unterscheiden:

  • Anlassbezogen: Die Symptome treten häufig in einem direkten Zusammenhang mit einem bestimmten Auslöser auf, z.B. nach Kontakt mit Pollen, Tierhaaren, Hausstaubmilben, Schimmel oder Nahrungsmitteln.
  • Plötzlicher Beginn: Oft innerhalb von Minuten nach dem Kontakt mit dem Allergen.
  • Begleitsymptome: Häufig kommen juckende Augen, Niesen, Hautreaktionen oder eine laufende Nase hinzu – Hinweise auf eine allergische Reaktion.
  • Giemen (pfeifende Atmung) und trockener Reizhusten sind typisch.
  • Bei Insektengiftallergien oder Nahrungsmittelallergien kann Atemnot Teil einer anaphylaktischen Reaktion sein, was einen absoluten medizinischen Notfall darstellt.

Im Gegensatz dazu:

  • Herzbedingte Atemnot tritt oft bei Belastung oder im Liegen auf und bessert sich im Sitzen.
  • COPD-bedingte Atemnot ist meist chronisch vorhanden und verschlechtert sich schubweise, z.B. im Rahmen einer Erkältung.
  • Lungenembolien oder Pneumothorax verursachen Atemnot ohne pfeifendes Geräusch, dafür häufig mit Brustschmerz.

Die Unterscheidung ist wichtig für die richtige Therapie – allergische Atemnot spricht in der Regel gut auf Antihistaminika, Kortison und bronchienerweiternde Sprays an.

Welche Position hilft, die Atmung bei einem Notfall zu erleichtern?
Die Körperposition hat einen entscheidenden Einfluss auf die Atmung im Notfall. Die beste Position bei Atemnot ist meist der aufrechte Sitz, idealerweise in einem 45°-Winkel oder mehr, z.B. im Kutschersitz (nach vorne gebeugt, mit den Armen auf den Knien oder einem Tisch abgestützt). Diese Position erleichtert es dem Zwerchfell und den Atemhilfsmuskeln, effizienter zu arbeiten. Bei Herzproblemen, insbesondere bei einer Linksherzinsuffizienz, die zu einer Lungenstauung führt, kann die Patientin oder der Patient ebenfalls besser im Sitzen atmen. Liegt er flach, wird der Rückstau in die Lunge verstärkt, was die Atemnot verschlimmern kann. Ein leicht aufgerichtetes Lagern entlastet hier deutlich. Auch bei Kindern, z.B. bei einem Pseudokrupp-Anfall, hilft es, das Kind aufrecht auf dem Schoss zu halten, um die Atmung zu erleichtern.

Was sollte man vermeiden, um die Situation nicht zu verschlimmern?
In einer akuten Atemnotsituation ist es ebenso entscheidend, bestimmte Dinge bewusst zu unterlassen, um den Zustand des Betroffenen nicht zusätzlich zu verschlechtern. An erster Stelle steht dabei, keine Panik zu verbreiten – hektisches Verhalten, laute Stimmen oder unkontrollierte Bewegungen können die Angst der Patientin oder des Patienten steigern, was die Atemnot noch verstärken kann. Auch sollte die oder der Betroffene keinesfalls flach hingelegt werden, denn dies kann bei Atemwegserkrankungen oder Herzproblemen die Atemnot verschlimmern. Stattdessen ist eine aufrechte Sitzposition deutlich entlastender.

Wichtig ist auch, der Patientin oder dem Patienten weder Essen noch Trinken anzubieten, da in solchen Momenten die Koordination des Schluckreflexes gestört sein kann und Erstickungsgefahr besteht. Selbst wenn Hilfe bereits unterwegs ist, darf die Patientin oder der Patient nicht alleine gelassen werden – es könnte zu plötzlicher Bewusstlosigkeit oder Erbrechen kommen, was ohne Aufsicht lebensgefährlich werden kann.

Medikamente sollten nur dann zum Einsatz kommen, wenn sie aus dem Besitz der Patientin oder des Patienten stammen oder ihre Anwendung ausdrücklich ärztlich abgesichert ist. Auch gut gemeintes, aber übermässiges Zureden kann kontraproduktiv sein. Statt ständiger Appelle wie «Beruhig dich» oder «Atme ruhig» ist es hilfreicher, selbst Ruhe auszustrahlen, einfache Sätze zu verwenden und der oder dem Betroffenen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Letztlich trägt eine ruhige, strukturierte Unterstützung entscheidend dazu bei, die Situation unter Kontrolle zu halten und der Patientin oder dem Patienten Stabilität zu geben, bis professionelle Hilfe eintrifft.

Wie kann man langfristig das Risiko von Asthmaanfällen reduzieren?
Das Risiko von Asthmaanfällen kann durch eine konsequente und individuelle Basistherapie sowie durch gute Patientenschulung deutlich reduziert werden. Die wichtigsten Punkte sind:

  • Regelmässige Inhalationstherapie mit einer Kombination aus einem bronchienerweiternden Mittel und einem inhalativen Kortikosteroid, um die Entzündung in den Atemwegen dauerhaft zu kontrollieren.
  • Vermeidung von Auslösern (z.B. Pollen, Tierhaare, Rauch, kalte Luft, virale Infekte).
  • Nichtrauchen – auch Passivrauchen sollte vermieden werden.
  • Impfungen, z.B. gegen Influenza oder Pneumokokken, um Infekte zu vermeiden, die Asthma triggern können.
  • Regelmässige Schulungen durch die Lungenliga oder das aha! Allergiezentrum Schweiz, Physiotherapeuten oder Ärztinnen, um die Atemtechnik, das Erkennen von Warnzeichen und den Umgang mit Medikamenten zu verbessern.
  • Selbstmanagementpläne, um frühzeitig auf Verschlechterungen zu reagieren (z.B. Erhöhung der Inhalationen oder Einnahme von Kortisontabletten).
  • Körperliche Aktivität im Rahmen der Belastbarkeit, um die allgemeine Belastbarkeit zu verbessern.
Prof. Dr. med. Jörg D. Leuppi, Kantonsspital Baselland

 

Prof. Dr. med. Jörg D. Leuppi, Kantonsspital Baselland

Chief Medical Officer
Klinischer Professor für Innere Medizin der Universität Basel
Facharzt Allgemeine Innere Medizin und Pneumologie

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