Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2: Das grosse Experten-Interview

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Quelle: TCS MyMed


Diabetes betrifft weltweit Millionen von Menschen. Es gibt verschiedene Formen von Diabetes, darunter Typ 1 und Typ 2, die sich in Ursachen, Symptomen und Behandlungsmöglichkeiten unterscheiden. Im Interview mit diabeteschweiz erfahren Sie die Unterschiede zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 sowie die neuesten Entwicklungen in der Diagnose und Therapie dieser Erkrankungen.

Was versteht man unter Diabetes Typ 1 und Typ 2 und was sind die Hauptunterschiede?
Der Diabetes Typ 1 wurde früher auch als insulinabhängiger Diabetes oder juveniler Diabetes bezeichnet und ist eine Autoimmunerkrankung. Sie entsteht, wenn die Betazellen der Bauchspeicheldrüse, welche das für die Regulierung des Blutzuckers notwendige Insulin herstellen, vom Immunsystem des Körpers zerstört werden. Der Diabetes Typ 1 tritt häufiger bei Kindern und jungen Erwachsenen auf, kann aber Personen in jedem Lebensalter treffen.

Der Diabetes Typ 2 war früher auch als nicht-insulinabhängiger Diabetes oder Altersdiabetes bekannt. Bei Menschen mit Diabetes Typ2 produziert die Bauchspeicheldrüse zwar weiterhin Insulin, jedoch nicht genügend, oder der Körper kann es nicht mehr wirksam verwenden, um Blutzucker in Energie umzuwandeln (Insulinresistenz).

Was gibt es weiter über die beiden Typen zu wissen?
Die oben beschriebene Unterscheidung zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 ist nach wie vor weit verbreitet und bekannt. Sie basierte allerdings in erster Linie auf dem Alter bei Beginn der Erkrankung und einigen weiteren Faktoren, wie der Notwendigkeit einer Insulinbehandlung. Heute lassen sich dank Entwicklungen in der Molekulargenetik und Diagnostik Subtypen von Diabetes mellitus (darunter 4 Subtypen des Diabetes Typ 2) identifizieren, die individueller behandelt werden können. Weitere Informationen rund um die neuen Ansätze der Diabetesklassifizierung erhalten Sie 
hier.

Diabetes Typ 1

Symptome Diabetes Typ 1

  • grosser Durst
  • übermässiges Wasserlassen
  • Gewichtsverlust
  • Müdigkeit
  • gehäufte Infekte
  • Sehstörungen

Welche Symptome deuten auf Diabetes Typ 1 hin und wie wird die Diagnose gestellt?
Der Diabetes Typ 1 kann bei genauer Beobachtung frühzeitig erkannt werden, da die typischen Symptome normalerweise stark ausgeprägt sind. Die Diagnose wird durch eine Blutzuckerbestimmung sehr einfach gestellt.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Diabetes Typ 1?
Die Behandlung des Diabetes Typ 1 besteht im Ersatz des fehlenden Insulins. Dies ist die einzige Behandlungsmöglichkeit. Die erforderliche Dosis richtet sich nach dem aktuellen Blutzucker, der Menge an zugeführten Kohlenhydraten und der geplanten körperlichen Aktivität. Zum Erlernen der Insulintherapie stehen spezielle Schulungskurse für Betroffene und Angehörige zur Verfügung.

Wie wird das Insulin verabreicht?
Die Verabreichung des Insulins muss in Form von Injektionen erfolgen, da bei einer oralen Verabreichung (als Tablette) das Insulin durch Verdauungsenzyme zerstört würde. Die Entwicklung von modernen Injektionshilfen (Pen oder Pumpe) ermöglicht den Menschen mit Diabetes eine einfache, diskrete und exakt dosierte Insulinverabreichung.

Wie können Patienten mit Diabetes Typ 1 ihren Blutzuckerspiegel selbstständig kontrollieren und regulieren?
Die Kontrolle des Blutzuckerspiegels erfolgte bis vor einigen Jahren mehrmals täglich durch Blutzucker-Selbstmessungen. Dazu gewann man mit einer Lanzette einen Tropfen Blut aus der Fingerspitze, trug diesen auf einen Teststreifen auf und führte diesen in ein elektronisches Blutzuckermessgerät ein. Heute erfolgt bei Diabetes Typ 1 die Kontrolle meistens durch Messungen des Zuckergehalts im Unterhautfettgewebe mittels sogenannter kontinuierlicher Glukosemesssysteme (bisweilen auch Glukosesensoren genannt).

Wie funktioniert das Glukosemesssystem genau?
Diese CGM-Geräte (CGM – continuous glucose monitoring) messen den Zuckerwert im Unterhautfettgewebe alle paar Minuten und geben diese Werte an ein Lesegerät oder an eine Smartphone-App weiter. Sie sind mit Alarmen ausgestattet, die bei einem zu hohen oder zu niedrigen Wert den Träger warnen. Punktuelle Messungen mit konventionellen Blutzuckermessgeräten sind bei einigen Herstellungen zu Kalibrierungszwecken erforderlich, doch sie sind selten und sollten nur mit grösster Sorgfalt erfolgen, da sie eine grosse Fehlerquelle für kontinuierlich falsche Messergebnisse des Sensors darstellen. 

Welche langfristigen Komplikationen können bei unzureichend kontrolliertem Diabetes Typ 1 auftreten?
Ein langfristig zu hoher Blutzuckerspiegel kann Blutgefässe und Nerven schädigen. Ein chronisch erhöhter Blutzuckerspiegel ist – zusammen mit anderen Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Rauchen – ein wichtiger Risikofaktor für die Entstehung von Gefässerkrankungen (Atherosklerose).

Mögliche Folgeerkrankungen

  • Herz- und Gefässerkrankungen der grossen Gefässe, wie Herzinfarkt und Hirnschlag, sowie Durchblutungsstörungen in den Beinen
  • Schäden an der Netzhaut des Auges (diabetische Retinopathie) 
  • Schäden der Nieren (diabetische Nephropathie) 
  • Nervenschäden, vor allem in den Händen und Füssen (diabetische Neuropathie)

Diabetes Typ 2

Symptome Diabetes Typ 2

  • Müdigkeit und Abgeschlagenheit
  • Infektanfälligkeit
  • Sehstörungen
  • trockene und juckende Haut
  • schlecht heilende Wunden
  • grosser Durst und übermässiges Wasserlassen
  • Gewichtsverlust

Welche Symptome deuten auf Diabetes Typ 2 hin und wie wird die Diagnose gestellt?
Beim Diabetes Typ 2 sind (im Gegensatz zum Diabetes Typ 1) die typischen Symptome häufig nicht sehr ausgeprägt, da der Körper in der Regel weiterhin Insulin produziert. Im Frühstadium sind die Symptome vielfach gar nicht bis wenig spürbar und werden nicht mit Diabetes in Verbindung gebracht. Die Diagnose der Krankheit wird daher häufig erst gestellt, wenn die ersten Komplikationen der Erkrankung, wie schlecht heilende, infektionsanfällige Wunden oder Sehstörungen, auftreten.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Diabetes Typ 2?
Die Behandlung des Diabetes Typ 2 besteht in einer ausgewogenen Ernährung, unterstützt durch regelmässige körperliche Aktivität, und einer Reduktion eines allfälligen Übergewichts. Lassen sich die erhöhten Blutzuckerwerte durch eine Umstellung des Lebensstils und/oder eine Gewichtsreduktion nicht normalisieren, werden Tabletten (Antidiabetika) bzw. andere Medikamente, die zum Teil ebenfalls injiziert werden, eingesetzt. Wird auch damit keine gute Blutzuckereinstellung erreicht, wird eine Therapie mit Insulin notwendig.

Welche Risikofaktoren können die Entstehung von Diabetes Typ 2 begünstigen?
Die Entwicklung des Diabetes Typ 2 wird begünstigt durch Erbfaktoren, Übergewicht und Bewegungsmangel. Der Diabetes Typ 2 tritt in den meisten Fällen erst in der zweiten Lebenshälfte auf, man findet ihn aber zunehmend auch bei jüngeren Menschen mit starkem Übergewicht. Voraussetzung, dass sich ein Diabetes Typ 2 entwickeln kann, ist eine im Detail sehr komplex vererbte Veranlagung. Man kennt heute unzählige Veränderungen am Erbgut, die verantwortlich dafür zu sein scheinen, dass sich bei einem bestimmten Menschen ein Diabetes Typ 2 entwickeln kann. Diese genetische Vielfalt erklärt auch, weshalb sich dieser Diabetestyp nicht bei allen Leuten genau gleich manifestiert.

Was heisst das genau?
Obwohl es sich, da erblich bedingt, um eine in den betroffenen Familien gehäufte Erkrankung handelt – 40  Prozent der Diabetiker Typ 2 haben direkte Familienangehörige, die ebenfalls an einem Diabetes Typ 2 erkrankt sind –, darf man nicht von einer eigentlichen Erbkrankheit sprechen. Eine solche würde starr nach bestimmten Vererbungsregeln in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben, dies ist aber nicht der Fall.

Was passiert in den Zellen?
Aufgrund der vererbten Veranlagung sprechen die Zellen, an denen das Insulin wirken soll, zunehmend schlechter auf den Insulinreiz an; sie werden also mehr und mehr insulinresistent. Typischerweise handelt es sich um Zellen der Muskeln und der Leber. Um diese Resistenz zu überwinden und ein Ansteigen des Blutzuckers zu verhindern, muss die Bauchspeicheldrüse immer grössere Mengen Insulin ans Blut abgeben. Diese Phase der Krankheitsentwicklung wird als «Prädiabetes» bezeichnet.

Welche Charaktereigenschaften sind typisch für diese Phase?
Sie ist charakterisiert durch einen höchstens leicht erhöhten Blutzucker, einen deutlich erhöhten Insulinspiegel und völlige Beschwerdefreiheit des betroffenen Menschen (in Bezug auf den Blutzucker). Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte man therapeutisch eingreifen. Die Zeitspanne vom Prädiabetes bis zur Entwicklung des Diabetes Typ 2 wird nämlich nicht nur durch die vererbte, nicht korrigierbare Veranlagung beeinflusst, sondern vor allem durch weitere, grundsätzlich beeinflussbare Faktoren wie Körpergewicht und Bewegung.

Was passiert im Körper durch ein zu hohes Gewicht in Bezug auf den Diabetes?
Bei Übergewicht spielt am meisten das sog. viszerale Fett (das Fettgewebe, das sich im Bauchraum befindet), eine grosse Rolle. Es produziert verschiedene Botenstoffe, die mit den zusätzlich vermehrt vorhandenen freien Fetten im Blut zu einer Störung der komplexen Insulinwirkung führen, d. h. diese Faktoren sind u. a. verantwortlich für die Insulinresistenz. Wird das viszerale Fett – durch Gewichtsabnahme, Medikamente oder eine Operation – reduziert, bessert sich die Insulinresistenz, und der Diabetes kann im Idealfall verschwinden.

Welche Medikamente werden zur Behandlung von Diabetes Typ 2 eingesetzt und welche Nebenwirkungen können auftreten?
Der erste Schritt in der Therapie des Diabetes Typ 2 ist die Umstellung des Lebensstils (mehr Bewegung, ggf. Gewichtsreduktion). Genügt dies nicht, um den Blutzuckerspiegel in einen normalen Bereich zu bringen, stehen Personen mit Diabetes Typ 2 verschiedene Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Die Wahl der Medikation kann vom Diabetes-Subtyp abhängen und erfolgt – unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands der Betroffenen, ihres Alters und allenfalls auch ihrer körperlichen oder geistigen Einschränkungen – gemeinsam mit dem Arzt oder der Ärztin.

  • Biguanide: Metformin ist das einzige in der Schweiz zugelassene Biguanid. Metformin steigert die Empfindlichkeit der Zellen auf Insulin und hemmt die Leber bei der Neubildung von Zucker. Metformin ist in der Regel das Medikament, das als erstes verordnet wird.
  • Sulfonylharnstoffe: Sie können eingesetzt werden, solange Betroffene noch eigenes Insulin herstellen. Sie regen die Bauchspeicheldrüse an, mehr Insulin auszuschütten. Sie werden heute praktisch nicht mehr eingesetzt, da sie ungünstige Nebenwirkungen haben.
  • DPP-4-Hemmer (Gliptine): Gliptine hemmen den Abbau des körpereigenen Hormons GLP-1. Dieses Hormon trägt auf verschiedene Arten dazu bei, den Blutzuckerspiegel zu senken, unter anderem indem es die Ausschüttung von Insulin fördert. GLP 1 wird bei Blutzuckeranstiegen nach dem Essen aktiv und normalerweise schnell wieder abgebaut.
  • GLP-1-Rezeptor Agonisten/GIP-GLP-1-Rezeptor Agonisten: Sie imitieren die Wirkung des Darmhormons GLP-1/GIP (siehe oben). Neben den blutzuckersenkenden Eigenschaften reduzieren diese Medikamente das Gewicht.
  • SGLT-2-Hemmer: Sie hemmen in den Nieren das Eiweiss SGLT 2, das den Zucker aus den Nieren zurück in den Blutkreislauf führt. Sie sorgen somit dafür, dass die Nieren vermehrt Glukose mit dem Harn ausscheiden.
  • Insulin


Mögliche Folgeerkrankungen

  • Herz- und Gefässerkrankungen der grossen Gefässe, wie Herzinfarkt und Hirnschlag, sowie Durchblutungsstörungen in den Beinen
  • Schäden an der Netzhaut des Auges (diabetische Retinopathie) 
  • Schäden der Nieren (diabetische Nephropathie) 
  • Nervenschäden, vor allem in den Händen und Füssen (diabetische Neuropathie)
Ernährung

Allgemeine Informationen

Wie wichtig ist eine gesunde Ernährung bei der Behandlung von Diabetes Typ 1 und Typ 2?
Nebst der medikamentösen Therapie und der Bewegung ist die richtige Ernährung eine der wichtigsten Säulen in der Diabetes-Behandlung. Ziel ist die Verbesserung der Blutzucker- und der Blutfett-Werte sowie des Blutdrucks, die Senkung des Gewichts bei Übergewicht und die Vermeidung von Folgeerkrankungen aufgrund des Diabetes (Organschäden). Weitere Informationen rund um die Ernährung erhalten Sie hier.

Welche Rolle spielt die körperliche Aktivität bei der Kontrolle von Diabetes?
Wie bereits erwähnt, hat körperliche Aktivität einen positiven Einfluss auf den Blutzucker, verbessert die Insulinempfindlichkeit, baut Übergewicht ab, wirkt hohem Blutdruck entgegen und reduziert das Risiko für Folgeerkrankungen. Worauf Sie bei der Wahl der Sportart und der Intensität achten sollten, erfahren Sie 
hier.

Wie wirkt sich Stress auf den Blutzuckerspiegel aus und wie können Diabetiker damit umgehen?
Stress erhöht den Blutzuckerspiegel und kann zu einer Verschlechterung der Diabetes-Einstellung führen. Gleichermassen wie Menschen ohne Diabetes sollten Diabetes-Betroffene dem Stress mit Entspannungstechniken entgegenwirken. Hierzu gehören spezielle Atemtechniken, Meditation etc.

Gibt es spezielle Empfehlungen für Diabetiker in Bezug auf Reisen und Urlaub?
Ferien sollen etwas Schönes sein und voller positiver Erinnerungen im Gedächtnis bleiben. Daher sollten einige Dinge beachtet werden. Damit alles glatt geht, erhalten Sie 
hier alle wichtigen Informationen rund ums Reisen mit Diabetes.

Wie können Eltern erkennen, ob ihr Kind an Diabetes leidet, und was sollten sie in diesem Fall tun?
Der Diabetes Typ 1 kann bei genauer Beobachtung frühzeitig erkannt werden, da die typischen Symptome normalerweise stark ausgeprägt sind: grosser Durst, übermässiges Wasserlassen, Gewichtsverlust und Müdigkeit. Beim Auftreten dieser Symptome sollte ein Arzt, eine Ärztin konsultiert werden.

Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für Menschen mit Diabetes, um ihren Lebensstil anzupassen und ihre Gesundheit zu verbessern?
Alle Menschen mit Diabetes mellitus haben auf Basis einer ärztlichen Verordnung die Möglichkeit, eine Diabetesfachberatung und eine auf Diabetes spezialisierte Ernährungsberatung in Anspruch zu nehmen. Diese Fachpersonen, die hauptsächlich in regionalen Diabetes-Gesellschaften, in Diabetes-Schwerpunktpraxen und in Spitälern angestellt sind, unterstützen bei der Lebensstilanpassung und geben zahlreiche weitere Hilfestellungen in Bezug auf die Therapie des Diabetes. Zudem gibt es weitere Angebote, wie das Diabetesprogramm DIAfit, das an diversen Spitälern angeboten wird. Es handelt sich um ein Schulungs- und Trainingsprogramm mit Diabetesfachberatung, Ernährungsberatung und Physiotherapie, das auf ärztliche Verordnung zulasten der Krankenkassen abgerechnet werden kann


Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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