Rückenschmerzen: Was der Experte rät

Dr. med. Lukas Wildi, Chefarzt Rheumatologie des Kantonsspitals Winterthur


Therapie

Quelle: TCS MyMed


Eine ungewohnte Bewegung, ein falsches Heben schwerer Gegenstände, zu langes Sitzen oder allenfalls doch eine Entzündung? Rückenschmerzen können viele Ursachen haben. Eins ist jedoch immer gleich: Rückenschmerzen sind unangenehm. Dr. med. Lukas Wildi, Chefarzt Rheumatologie des Kantonsspitals Winterthur, erklärt, welche Ursachen Rückenschmerzen haben und wie sie behandelt oder gar vermieden werden können.

Herr Wildi, welche Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, Rückenschmerzen zu entwickeln?
Zu den grössten Risikofaktoren zählen eine ungenügende Ergonomie und Fitness. Tätigkeiten, die ohne adäquates Training in ungünstiger Position und mit zu grossen Gewichten ausgeführt werden, können zu Überlastungsbeschwerden führen.

Gibt es weitere Risikofaktoren?
Ja, es gibt noch zahlreiche weitere Risikofaktoren. Nikotin und Alkohol schädigen nicht nur Lunge und Leber, sondern auch die Wirbelsäule. Aus biomechanischer Sicht ist es Übergewicht, das Rückenschmerzen begünstigt. Anderseits können eine Mangelernährung oder die sogenannte Malabsorption, bei der die Nahrungsaufnahme durch die Darmwand in die Lymph- oder Blutbahn vermindert wird, zu Schmerzen führen. Immunsuppression und intravenöser Drogenkonsum erhöhten zudem das Infektrisiko an der Wirbelsäule. Und schliesslich spielt auch der familiäre Hintergrund eine Rolle.

Ursachen von Rückenschmerzen

  • Überlastung oder Abnutzung, die sämtliche Rückenstrukturen betreffen können
  • Entzündungen, die durch Fehlfunktionen des Immunsystems oder Stoffwechselstörungen verursacht werden können
  • Infektionen von Bandscheiben und Wirbeln
  • Krebsmetastasen
  • Wirbelfrakturen und Verkrümmungen der Wirbelsäule aufgrund von abnehmender Knochendichte (Osteoporose)

Welche Symptome weisen auf ernsthafte Rückenprobleme hin?
Ein wichtiges Warnsignal sind lang anhaltende Schmerzen, die unabhängig von der Körperposition oder der Bewegung auftreten. Dazu gehören auch nächtliche Schmerzen, die einen zwingen, aufzustehen. Wenn die Beschwerden rasch zunehmen und gleichzeitig Symptome wie Fieber, ein ungewollter Gewichtsverlust und ein allgemeines Krankheitsgefühl auftreten, deutet das auf Rückenbeschwerden hin. Weitere «Red Flags» sind starke Schmerzen nach einem Unfall oder bei Osteoporose, eine chronische Kortisonbehandlung, Gefühlsstörungen oder Lähmungen in den Beinen und Armen, ein Kontrollverlust der Blasen- oder Enddarmfunktion sowie lang anhaltende Schmerzen.

Wie werden Rückenschmerzen diagnostiziert und welche Untersuchungen werden durchgeführt?
Die behandelnde Fachperson befragt die Patientin oder den Patienten eingehend, schätzt ihre Symptome ein und untersucht sie körperlich. Harmlose Beschwerden lassen sich oftmals auf Überlastung oder eine ungewohnte Bewegung zurückführen. Sie können in der Regel klar lokalisiert werden, sind positions- oder bewegungsabhängig und treten in Ruhe nicht oder kaum auf. Auch wenn die Schmerzintensität durchaus heftig ausfallen kann, handelt es sich meist um eine harmlose Angelegenheit.

Welche weiteren Diagnostikmethoden gibt es?
Erst wenn die erwähnten Warnsignale auftreten, sind vertiefte Abklärungen nötig. Dazu gehören Blutuntersuchungen, mit denen  Entzündungen und Mangelerscheinungen erkannt werden können. In den allermeisten Fällen braucht es weder ein Röntgenbild noch eine MRI-Untersuchung. Eine Bildgebung ist nur angezeigt, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit eine spezifische medikamentöse Therapie oder eine Operation notwendig ist.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Rückenschmerzen?
Die Behandlungsmöglichkeiten sind sehr breit gefächert und hängen von der Art und Intensität der Rückenschmerzen ab. Sie reichen von einer kurzen Schonphase bis zur Rückenoperation. Meistens benötigen Rückenschmerzen keine spezifische Therapie. Vorübergehend können einfache Schmerzmittel wie Paracetamol oder Ibuprofen eingenommen werden. Intensiver wirksame Opioide sollten nur bei stärksten Schmerzen und zeitlich streng limitiert eingesetzt werden. Bei hartnäckigeren Beschwerden, schmerzhaften Muskelverspannungen und muskulären Defiziten kann eine Physiotherapie kombiniert mit einem gezielten Krafttraining sinnvoll sein.

Gibt es weitere Möglichkeiten, welche in Betracht gezogen werden?
In seltenen Fällen ist eine stationäre Behandlung in einer Akut- oder Rehaklinik nötig. Wenn die Schmerzen in Arme und Beine ausstrahlen, zum Beispiel durch einen Bandscheibenvorfall, können Cortisonpräparate helfen und im Notfall werden sensible Nerven verödet. Gegen entzündliche Rückenerkrankungen werden Medikamente gezielt und erfolgreich eingesetzt, um die Signalwege zu blockieren. Bei Wirbelfrakturen, Lähmungserscheinungen, Tumorerkrankungen oder Infektionen können dagegen oftmals nur chirurgische Eingriffe Erleichterung bringen.

Insbesondere bei überlastungsbedingten Rückenschmerzen spielen körperliche Aktivitäten, gezielte Kräftigungsübungen und Entspannungstraining eine ausserordentlich wichtige Rolle.
Dr. med. L. Wildi, Kantonsspital Winterthur

Gibt es bestimmte Übungen oder Dehnungen, die bei Rückenschmerzen helfen können?
Bei hartnäckigeren Beschwerden kann in der Physiotherapie ein ganz spezifisches, auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmtes Übungs- und Dehnprogramm zusammengestellt werden. Meistens reichen aber auch einfache Gymnastikübungen. Dadurch wird die Durchblutung des Gewebes angeregt und die Regeneration verbessert. Das lässt die Schmerzen schneller abklingen.

Ist es sinnvoll, sich zu schonen, wenn Rückenschmerzen auftreten?
Sich zu schonen, ist sicher nicht falsch. Übermässiges Schonverhalten kann jedoch in einen Teufelskreis münden, da sich die Rückenmuskulatur, die nicht durch Belastungsreize stimuliert wird, sehr rasch zurückbildet. Sie ist dann ihrer Alltagsaufgabe, die Wirbelsäule zu führen und zu stabilisieren, nicht mehr gewachsen. Die Bandstrukturen und die Bandscheiben werden überlastet. Das führt zu überforderungsbedingten Muskelschmerzen.

Welche Auswirkungen können psychische Faktoren wie Stress und Angst auf Rückenschmerzen haben?
Stress und Angst führen ganz generell zu einer Fluchtreaktion, die die betroffenen Personen im Alltag jedoch meist nicht ausleben können. Der Wunsch zu flüchten, wird in der Folge durch eine übermässige Muskelanspannung kompensiert. Die Muskulatur verträgt eine andauernde Anspannung aber nur sehr schlecht. Sie wird nicht mehr ausreichend durchblutet und die Muskeln verhärten und verkürzen sich schmerzhaft. Der wesentlichste Punkt ist in solchen Situationen, dass die Betroffenen erkennen, was bei ihnen vorgeht. Durch gezielte Entspannungstechniken bis hin zum Biofeedbackverfahren können sie Gegensteuer geben. Sinnvoller ist es jedoch, solchen Verspannungen mit regelmässigen Kräftigungs- und Dehnübungen und dem Versuch, in Stresssituationen bewusst loszulassen, vorzubeugen.

Wie kann man Rückenschmerzen im Alltag vorbeugen, insbesondere beim Heben schwerer Gegenstände oder bei längerem Sitzen?
Schwere Lasten sollten nur körpernah und aus der Hocke heraus mit den Beinen hochgestemmt werden und nicht mit vornübergebeugtem Oberkörper. Drehbewegungen sollten ebenfalls aus den Beinen heraus mit kleinen Schritten gemacht werden und nicht durch eine Rotation der Wirbelsäule. Um Druckschäden und Muskelverspannungen vorzubeugen, wenn man über längere Zeit sitzen muss, sollte die Position regelmässig und oft leicht verändert werden, um die Druckspitzen zu verlagern.

Wie sehen solche Positionswechsel in der Praxis aus?
Dafür reichen oft schon kleine Positionswechsel wie von der Vorderkante der Sitzfläche an die Rückenlehne oder von der einen Gesässbacke auf die andere. Regelmässiges Aufstehen und kurze Gymnastikeinheiten des Rückens und des Schultergürtels bewirken zudem wahre Wunder. Ein höhenverstellbarer Arbeitstisch kann ebenfalls sehr hilfreich sein.

Welche Komplikationen können bei chronischen Rückenschmerzen auftreten?
Das hängt ganz von der Art des schmerzauslösenden Mechanismus ab. Chronische Schmerzen wegen Überlastung und Abnutzung können den Bewegungsumfang des Rückens schleichend einschränken. Die Restbeweglichkeit ist in aller Regel aber ausreichend für die Ansprüche im Alltag. Chronische Schmerzen können jedoch auch zermürbend sein, auf die Stimmung schlagen und in einen Teufelskreis aus Inaktivität und Depression münden. Wird eine chronische Entzündungserkrankung des Rückens nicht behandelt, können einzelne Wirbelsäulenabschnitte bis hin zur ganzen Wirbelsäule komplett versteifen.

Wann ist es an der Zeit, einen Arzt zu konsultieren?
Bei den oben beschriebenen Warnsignalen oder wenn eigentlich harmlose Schmerzen nach spätestens sechs Wochen nicht abklingen oder sich sogar verschlechtern.


Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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