Coronavirus und seine Folgen für unsere Psyche



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Quelle: TCS MyMed


Nicht nur die physische Gesundheit leidet unter dem Coronavirus. Auch die Psyche wird stark in Mitleidenschaft gezogen. Was das Virus für unser psychisches Wohlbefinden bedeutet erklärt Dr. med. Christian Imboden EMBA, ärztlicher Direktor und Vorsitzender der Klinikleitung der Privatklinik Wyss AG, im Interview mit TCS MyMed.

Herr Imboden, die psychische Belastung durch das Coronavirus hat stark zugenommen. Welche Auswirkungen hat das Virus in Bezug auf die Psyche?
Die aktuelle Pandemie mit SARS-CoV-2 hat verschiedene Effekte auf die Psyche. Einerseits kann die erhöhte Gefahr einer Ansteckung mit dem Virus Ängste schüren, welche gerade für Menschen mit einer bereits bestehenden Angst- oder Zwangserkrankung zu einer erheblichen Belastung werden kann. Andererseits haben die Anweisungen, zu Hause zu bleiben weitreichende soziale und psychische Effekte. So kann es zu vermehrten Konflikten in Familien kommen, ungünstige Verhaltensweisen wie Substanzkonsum und Verhaltenssüchte können sich steigern. Des Weiteren fördert die soziale Isolation und die einzuhaltende soziale Distanz auch Gefühle der Einsamkeit und der Machtlosigkeit, was Risikofaktoren für Depressionen und weitere psychische Erkrankungen darstellen.

Wie hat sich der Arbeitsalltag in der Privatklinik Wyss AG durch das Virus verändert?
Wir mussten in der Klinik diverse Prozesse anpassen, um das Risiko einer Ausbreitung von SARS-CoV-2 in der Klinik zu minimieren. Alle eintretenden Patienten werden bezüglich Symptome und Kontakt zu Menschen mit Infektionszeichen gescreent und allenfalls nach Eintritt auf das Virus getestet und auf eine Isolationsstation triagiert. Besuche sind während des Aufenthalts nicht mehr möglich und unsere grosse Anzahl an Gruppentherapien mussten komplett angepasst werden, um der 5-Personen-Regel zu entsprechen. Das Einhalten der Distanz von 2m zwischen Menschen wird auf dem gesamten Klinikareal umgesetzt, beispielsweise durch Anpassung der Sitzgelegenheiten und komplette Überarbeitung des Verpflegungsregimes. Des Weiteren arbeiten viele administrativ tätige Mitarbeitende im Home-Office und wir arbeiten sowohl untereinander als auch in ambulanten Patientengesprächen vermehrt mit elektronischen Kommunikationsmitteln.

Zuhause ist da, wo man sich wohl fühlt – denkt man zumindest. Wieso fällt vielen Leuten in den eigenen vier Wänden die Decke auf den Kopf?
Wir sind eine mobile Gesellschaft, welche viele Freiheiten hat. Was diese Freiheiten bedeuten wird uns erst jetzt wirklich bewusst. Eine Einschränkung unseres Bewegungsradius löst rasch negative Gefühle aus, da wir viele Verhaltensweisen anpassen müssen. Da kann das zu Hause noch so behaglich sein, es stellt sich rasch ein Gefühl der Isolation und des Abgeschnitten-seins von anderen ein, was wiederum das Risiko für Depressionen, Angsterkrankungen und Suchterkrankungen erhöht. Des Weiteren wohnen viele Menschen in der Schweiz allein oder teilen sich engen Wohnraum mit anderen, der rasch zu klein werden kann, wenn sich die verschiedenen Haushaltsmitglieder andauernd darin aufhalten, respektive den Arbeits- und Wohnort durch Home-Office nicht mehr klar trennen können.

Es wird befürchtet, dass es vermehrt zu häuslicher Gewalt kommt oder kommen wird. Wieso ist das so?
Es ist naheliegend, dass bereits bestehende Beziehungskonflikte sich weiter aufheizen, wenn sich die in Konflikt stehenden weniger aus dem Weg gehen können. Zudem können die bereits genannten Mechanismen zu einer erhöhten Gereiztheit führen, was bei Konflikten weiter zur Eskalation beitragen kann.

Welchen Stellenwert hat die Pflege der sozialen Kontakte via Telefon oder sozialen Medien in dieser Zeit?
Das ist sicher eine wichtige Strategie, um weiter in Kontakt mit dem sozialen Umfeld zu bleiben.

Viele leiden darunter, dass sie nicht mehr zur Arbeit gehen können. Zusätzlich werden die Leute von Zukunftsängsten geplagt. Was raten Sie diesen Menschen?
Wichtig ist es in dieser Situation, weiterhin auf einen geregelten und klaren Tagesablauf zu achten. Aufstehen morgens immer zur selben Zeit, das einteilen von anstehenden Aufgaben im Haushalt sowie das Pflegen von Hobbies – falls das zu Hause möglich ist – kann helfen, die schwierige Zeit zu überbrücken. Auch Musik hören, ein Instrument spielen, lesen, neue Kochrezepte ausprobieren etc. sind Möglichkeiten, die Zeit sinnvoll zu vertreiben. Es ist auch sehr zu empfehlen, sich täglich zu bewegen, weiterhin sportlich aktiv zu sein und täglich hinaus zu gehen und in der näheren Umgebung eine Runde spazieren. Für Menschen, die bisher nur wenig körperlich aktiv sind, ist das nun gerade eine gute Gelegenheit, mehr Bewegung in den Alltag zu bringen und beispielsweise damit anzufangen, täglich eine Stunde spazieren zu gehen oder mit dem Joggen zu beginnen. Dabei ist selbstverständlich darauf zu achten, dass man dies nicht dort tut, wo sich ohnehin schon viele andere Menschen aufhalten.

Und was raten Sie bei Home-Office?
Wer im Home-Office arbeitet sollte darauf bedacht sein, dass es eine klare zeitliche Trennung zwischen Arbeit und Freizeit gibt. Das Wochenende sollte der Freizeit vorbehalten sein und abends macht es Sinn, die Arbeitsunterlagen wieder weg zu räumen. Auch zu Hause sollte man regelmässige Arbeitspausen machen, während denen man sich nicht am Arbeitsplatz aufhält.

Eine weitere Belastung stellt die Kinderbetreuung dar. Einerseits die die Unterstützung der Kinder auf schulischer Ebene und andererseits die Beschäftigung während der restlichen Zeit. Wie starke Auswirkungen hat dieser Faktor auf die Psyche der Eltern?
Dies hat sicher verschiedene Aspekte. So können sich Kinder und Eltern in dieser Zeit näher kommen und die Eltern Anteil an deren schulischen Entwicklung nehmen. Andererseits sind viele Eltern – gerade fremdsprachige, oder Eltern mit mehreren Kindern – mit dem Home-Schooling sehr gefordert. Das ist für die Chancengleichheit nicht förderlich. Eine besondere Herausforderung stellt sich auch an Eltern, welche neben dem Home-Schooling zugleich im Home-Office arbeiten müssen oder eine Arbeitsstelle haben, an der sie präsent sein müssen. Sie müssen vieles unter einen Hut bringen, was zu zusätzlichem Stress führen kann. Auch den Kindern kann zu Hause die «Decke auf den Kopf fallen», was zu mehr Irritabilität und somit Auseinandersetzzungen untereinander und mit den Eltern führen kann. Jugendliche ziehen sich eventuell vermehrt in die sozialen Medien, das Gamen etc. zurück, was ebenfalls Konfliktpotenzial mit sich bringen kann. Ihnen fehlen die sozialen Kontakte zu ihren Peers ganz besonders und auch die Akzeptanz solcher Einschränkungen ist für Jugendliche nicht ganz einfach. Das weiss wohl jeder aus bester eigener Erfahrung sehr genau…

Was kann man aktiv machen um den aufkommenden Ängsten entgegenzuwirken?
Die bereits genannten Massnahmen sind sicher alle sinnvoll. Ablenkung kann helfen Ängsten entgegen zu wirken. Zudem empfiehlt es sich, nicht dauernd mit dem Thema Coronavirus konfrontiert zu sein indem man beispielsweise lediglich 2x täglich Nachrichten liest, hört oder schaut. Sich ganztags Newsticker anzuschauen ist kontraproduktiv und die verschiedenen Berichte über schlimme Verläufe etc. schüren Ängste nur zusätzlich anstatt das sie einen Nutzen bringen. Austausch mit anderen kann helfen, eigene Ängste zu relativieren. Sollten Ängste sehr ausgeprägt sein und den Alltag dominieren ist es sehr zu empfehlen, professionelle Hilfe zu suchen. Psychiatrische und psychologische psychotherapeutische Praxen haben geöffnet und können Termine häufig auch telefonisch oder über Videotelefonie anbieten. Auch die Ambulatorien der psychiatrischen Institutionen sind gute Anlaufstellen. Einige Institutionen haben bereits eigene Hotlines für solche Situationen aufgeschaltet, wo betroffene rasch Hilfe finden können.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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