Roche Chef Dr. Oliver Bleck zum Coronavirus: «Wir als Roche nutzen unser weltweites Netzwerk.»

Bild
Quelle: TCS MyMed

Dr. Oliver Bleck ist General Manager bei Roche Pharma (Schweiz) AG. Im Exklusiv-Interview mit TCS MyMed spricht er über die Bewältigung der Corona-Krise.

Roche erhielt Medienberichten zufolge als erstes Unternehmen die Zulassung für kommerzielle Tests zum Nachweis des Coronavirus. Wie ist es Ihnen gelungen, in so kurzer Zeit eine marktreife Diagnostiklösung zu entwickeln?
Als führendes Unternehmen in der Diagnostik ist es Roche ein Anliegen gerade in Notlagen dem Gesundheitswesen Tests zur Verfügung zu stellen. Mithilfe unseres weltweiten Netzwerks und des dort vorhandenen Expertenwissens konnten unsere Teams die Entwicklung eines Diagnosetests rasch vorantreiben. Um diese Lösung auf den Markt zu bringen, haben viele Teams zusammengearbeitet: Der Test wurde in Pleasanton, Kalifornien, entwickelt und wird in Branchburg, New Jersey, produziert. Und das System, auf dem dieser Test läuft, wird in Rotkreuz, Schweiz, produziert. Wichtig war auch die gute Unterstützung der Behörden, die mit einer schnellen Zulassung ermöglicht haben, dass der Test überhaupt so rasch für Patientinnen und Patienten zur Verfügung gestellt werden konnte.

Mit hochgefahrener Produktion und knappen Beständen an Verbrauchsmaterialien versucht sich Roche derzeit daran, die Bedürfnisse eines Markts zu befriedigen, der einen deutlichen Nachfrageüberhang mehrerer Anspruchsgruppen aufweist. Welche Strategie fahren Sie, um eine möglichst effiziente und zeitnahe Bewältigung der Corona-Krise herbeizuführen?
Wir als Roche nutzen unser weltweites Netzwerk und arbeiten mit der Weltgesundheitsorganisation, Gesundheitsbehörden und Nichtregierungsorganisationen zusammen, um sicherzustellen, dass die Menschen in den Ländern Zugang zu Diagnostik und wirkungsvollen Therapien haben. Gleichzeitig fahren wir unsere Fertigungskapazitäten hoch, um den steigenden Bedarf abzudecken, sowohl bei Wirkstoffen als auch bei Tests. Die derzeitige ausserordentliche Situation erschwert unsere Aufgabe sicherlich.

Wie zeigt sich das?
Wir müssen nämlich die ganze Wertschöpfungskette im Auge behalten, bei Medikamenten beispielsweise von der Produktion des Wirkstoffes, über die Abfüllung, die Verpackung und schliesslich auch den Transport. Dabei müssen teilweise neue Wege gefunden werden, damit die Waren weiterhin ausgeliefert werden können. Es ist daher ausserordentlich wichtig, dass der grenzüberschreitende Austausch von Waren möglich bleibt. In der Schweiz sind wir im regen Austausch mit dem BAG, Spitälern und Ärzten, um sicherzustellen, dass unsere Medikamente und Tests auch hier weiterhin bei den Patienten ankommen. Für die Entlastung des Gesundheitssystems sind unsere Tests ein wichtiger Baustein. Damit können wir beispielsweise die Spitäler und Labore enorm entlasten. Denn ein Hochdurchsatz-System wie unseres ist voll automatisiert. Das Laborpersonal hat so mehr Zeit, sich um andere wichtige Dinge zu kümmern. Wir können in der Schweiz jede Woche mehrere zehntausend dieser neuen Tests ausliefern. Trotzdem empfehlen wir, dass Tests auch in der Schweiz gemäss den amtlichen Empfehlungen durchgeführt werden.

Die Ungeduld der Weltbevölkerung wächst mit jedem Tag, der ohne die Zulassung eines Impfstoffs oder Medikaments gegen das Coronavirus verstreicht. Wie nah ist Roche einem möglichen Durchbruch?
Ärzte in China haben mit einem unserer Medikamente, das für eine andere Krankheit zugelassen ist, erste Erfahrungen bei der Behandlung von Patienten mit schweren COVID-19-Lungenentzündungen gemacht. Allerdings sind diese Daten noch nicht klinisch gesichert, darum läuft hier aktuell eine entsprechende Studie mit 300 Patienten. Wir können nicht über den Zeitpunkt einer möglichen Zulassung spekulieren. Wir werden die Ergebnisse sicherlich so früh wie möglich bekanntgeben. Darüber hinaus haben wir ein internes Forschungsprogramm zur Entwicklung von Medikamenten gegen das Corona-Virus initiiert und arbeiten auch mit externen Partnern zusammen. Unsere Studien zielen derzeit auch darauf ab, bereits zugelassene Medikamente zu identifizieren, welche gegen diese neue Krankheit wirksam sein könnten.

Nach welchem Aufteilungsschlüssel beliefern Sie betroffene Gebiete in Zeiten der Knappheit mit hilfeleistenden Tests, Medikamenten und einem möglichen Impfstoff – steht die Schweiz aus Gründen der Loyalität in dieser Angelegenheit an erster Stelle?
An erster Stelle steht der Patient! Wir haben in der Schweiz eines der besten Gesundheitssysteme weltweit und unabhängig von Corona müssen ja auch die vielen anderen Erkrankungen wie beispielsweise Krebs weiter behandelt werden. Hier stellt Roche sicher, dass weiterhin genügend Medikamente zu den Patienten in der Schweiz und weltweit gelangen. Bei den Tests ist wegen der steigenden Zahl der Infizierten der weltweite Bedarf grösser als das Angebot. Deshalb bemühen wir uns gemeinsam mit Behörden, Regierungen und Gesundheitsorganisationen, dass der Test dorthin geliefert wird, wo er die grösste Wirkung für die Bevölkerung erzielt. Wir müssen dabei auf zwei Dinge achten. Einerseits muss die Infrastruktur vorhanden sein. Wenn in einem Land oder in einem Spital keine entsprechenden Diagnosegeräte oder zu wenig Personal vorhanden sind, dann nützt es nichts, unsere Tests dorthin zu schicken. Andererseits schauen wir uns an, wo der medizinische Bedarf am grössten ist. Zu Beginn war das vor allem in China der Fall, mittlerweile sind viele andere Länder und Regionen betroffen. Wir freuen uns, dass in der Zwischenzeit weitere Unternehmen mit ihren Tests das verfügbare Angebot in dieser schwierigen Situation vergrössern.

Vor der Corona-Krise machte Roche vor allem mit der Entwicklung neuer Krebsmedikamente Schlagzeilen. Ist das Geschäft mit den Viren denn überhaupt ein lukratives?
Roche hat ein breites Portfolio mit einem Schwerpunkt bei Krebs, das ist richtig. Daneben sind wir auch in Bereichen wie Ophthalmologie, Neurologie sowie seltene Erkrankungen tätig. Roche hatte aber auch immer schon antivirale Wirkstoffe im Portfolio und forscht in diesen Bereichen weiter.

In Krisenzeiten stellt man gerne mal die bestehende Infrastruktur im Gesundheitswesen und in der Produktion an den Pranger. Sehen Sie konkreten Handlungsbedarf nach der Krise oder interpretieren Sie die aktuelle Lage eher als einen akuten Stresstest ohne nennbare Folgen für den künftigen Geschäftsverlauf?
Derzeit bündeln wir alle Kräfte um Testkapazitäten und Medikamente zur Verfügung stellen zu können. Wie jede Krise wird auch die Corona-Pandemie eine Gelegenheit sein, bestehende Abläufe und Systeme zu hinterfragen und zu verbessern. Jetzt ist - meiner Ansicht nach - noch nicht die Zeit, Schlussfolgerungen zu ziehen. Gegenwärtig ist die Situation ein absoluter Stresstest nicht nur für das Gesundheitswesen und ihre Akteure, sondern für die ganze Volkswirtschaft und Staatengemeinschaft, und natürlich auch für alle Menschen, die mit vielen ungeahnten Herausforderungen konfrontiert sind. Allerdings zeigt die Krise bereits jetzt wie wertvoll ein gut funktionierendes Gesundheitssystem und wie wichtig internationale Solidarität ist. Zudem orientiert man sich vermehrt an Forschung und Wissenschaft und hört auf die fundierten Einschätzungen von Experten. Für forschungsorientierte Unternehmen wie wir als Roche ist es auch eine Chance, wieder vermehrt für unsere wichtige Rolle im Bereich der Gesundheit wahrgenommen zu werden.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

Weitere Artikel zum Thema Corona, Reisenews