Das Gewicht sollte nicht an erster Stelle stehen

Bild
Training
Training
Quelle: TCS MyMed

Dr. Boris Gojanovic, Facharzt für Sportmedizin und Leiter der Abteilung Gesundheit und Leistung im Hôpital de La Tour in Meyrin, erklärt, wie man am besten trainiert, damit der Sport zur Gesundheit beiträgt.

Herr Dr. Gojanovic, müssen wir für unseren Körper täglich Sport treiben?
Nicht unbedingt. Allerdings müssen wir ihn täglich bewegen. Und wir dürfen kein «Home Office» auf einem unergonomischen Stuhl machen. Gehen, aufstehen, Luft schnappen, Velo fahren, Dinge herumtragen – das alles sind Alltagstätigkeiten, mit denen wir unsere Kondition erhalten.

Diese einfachen Grundbewegungen reichen aus?
Sie sind das Minimum. Natürlich kann Sport auch sehr viel grössere Bedeutung haben: Ein spezielles Training, mit dem wir unsere physiologischen Fähigkeiten verbessern, wirkt sich bereits positiv aus, wenn wir es zwei bis drei Mal pro Woche durchführen. Einige Übereifrige fangen direkt mit täglichem Training an. Das öffnet allerdings Verletzungen und daraus resultierender Frustration Tür und Tor.

Wie gestaltet man das Training am besten, sodass der Sport zur Gesundheit beiträgt?
Wenn wir unseren Körper trainieren oder ihn misshandeln, zeigt er uns das. Muskelkater ist ein gutes Zeichen. Wenn allerdings nach dem Sport bestimmte Schmerzen anhalten und wiederholt auftreten, deutet das eher auf ein falsches Training hin.

Selbst Athleten fällt es manchmal schwer zu differenzieren, obwohl sie ans Training gewöhnt sind. Wie soll dann jemand ohne Erfahrung den Unterschied dieser Anzeichen richtig interpretieren?
Kurz gesagt muss der Sport seinen Platz im Alltag finden, neben beruflichen und privaten Tätigkeiten. Wenn der Sport nur zusätzlich aufgenommen wird, zur Ermüdung führt, von der man sich nicht erholen kann, wenn er den wichtigen und erholsamen Schlaf beeinträchtigt, dann ist das Training nicht gut eingestellt. In diesem Fall profitiert man von einer Begleitung.

Häufig sagen Leute, dass sie mit dem Sport angefangen haben, um Gewicht zu verlieren oder eine Bikinifigur zu erzielen. Reicht diese Motivation aus, um diszipliniert und regelmässig zu trainieren?
Jeder hat eine andere Motivation, die ihn dazu bringt, Sport zu treiben. Manchmal ist die Frage des Gewichts tatsächlich das Hauptargument. Oder einfach der ästhetische Aspekt des Ganzen. All das kann jemanden dazu bringen, anzufangen und dranzubleiben. Tatsächlich beobachten wir manchmal Übertreibungen, wenn das Gewicht oder der ästhetische Aspekt im Vordergrund stehen. Dies kann dazu führen, dass der Sport zu ungesundem Training wird, was insbesondere im Bereich Krafttraining beschrieben wurde. Im Bereich Fitness begegnen wir Menschen, die sportsüchtig werden und ständig in den Spiegel schauen, weil sie eine perfekte Form anstreben, die sie niemals erreichen können, da ihr Blick auf sich selbst völlig verstellt ist. Diese Einstellung ist natürlich verhängnisvoll.

Doch dadurch, dass sich das Sporttraining messbar positiv auf das Gewicht oder ihr Erscheinungsbild auswirkt, erhalten die meisten zusätzliche Motivation, sodass sie mit ihrem Sport eine gesunde Richtung einschlagen können.

Welche Ratschläge geben Sie Menschen, die sich an Sie wenden?
In meiner Rolle als Begleiter von Personen, die sich wieder körperlich betätigen wollen, betone ich oft, dass das Gewicht nicht an erster Stelle stehen sollte. Denn es kann sein, dass sich das Gewicht in den ersten Wochen nicht verringert. In dieser Phase stellt man körperliche Veränderungen fest: Die Fettmasse verringert sich und die Muskelmasse steigt an. Deshalb bleibt das Gewicht stabil. Wenn man nur auf die Waage schaut, sieht man scheinbar kein Ergebnis. Darum ist es wichtig, diesen Menschen ihre erzielten Fortschritte zeigen zu können, auch wenn sich die Waage nicht bewegt. Dadurch erkennen sie, dass die Fakten, die wir beobachten, nicht unbedingt immer das sind, was die Personen erreichen wollen. Genau solche Gespräche sind Teil einer guten Begleitung. Manchmal misst man auch die Zusammensetzung des Körpers, um genau diese Veränderungen am unterschiedlichen Gewebe festzustellen.

Hallensport und Laufen sind zwei Formen, Sport zu treiben. Doch sie unterscheiden sich sehr. Kann man sagen, dass eines von beiden «besser» ist?
Das kommt ganz darauf an, wie man «besser» definiert. Beim Hallensport kann man analytischer, genauer und messbarer trainieren. Man kann Übungen für Muskelpartien und das Herz-Kreislauf-System abwechseln. Beim Laufen kann man zwar mit Höhenunterschieden oder der Intensität spielen, doch physiologisch betrachtet bietet dieser Sport weniger Abwechslung. Allerdings fördert er die Ausdauer besser und kann das ganze Jahr über betrieben werden, ohne besondere Einschränkung, ausser ab und zu einer guten Regenjacke. Das Training im Freien verbessert auch das kognitive Wohlbefinden. Die kreativen Fähigkeiten werden regeneriert und stimuliert. Wenn man die Wahl hat, sollte man Geräte und Hallensport bewusst und mit genauen Zielen nutzen. UND dieses Training mit Läufen im Freien ergänzen, sozusagen als «Bewegungslebensversicherung».

Gibt es Sportarten, die für ältere Menschen besser geeignet sind?
Im höheren Alter sollte man unbedingt die Kraft erhalten oder verbessern. Doch die Maximalkraft, insbesondere die der Beine, kann beim Laufen, beim Treppensteigen oder mit Steigung entwickelt werden. Bei Gelenkproblemen muss man sich eventuell für Velofahren entscheiden, das im Allgemeinen bis ins hohe Alter betrieben werden kann, sogar bei intensivem Training. Auch Pilates und ähnliche Sportarten stellen Disziplinen dar, bei denen man die Steigerung einfach anpassen kann, die spürbar zum Wohlbefinden beitragen und den Anforderungen des höheren Alters entsprechen.

Welche langfristigen Vorteile bringt regelmässiger Sport?
Eine bessere Beweglichkeit, mehr Kraft, eine verbesserte Herzfunktion, gesündere Gefässe, und und und. Die Liste ist so lang, dass hier nicht alle Vorteile aufgezählt werden können! Zusammenfassend kann man sagen: weniger chronische Erkrankungen, bessere Toleranz gegenüber diesen chronischen Erkrankungen (man «lebt mit ihnen besser»), weniger Medikamente, verbesserte kognitive Fähigkeiten, positive Auswirkungen auf das Sozialleben und geringere Risiken für Einsamkeit im Alter, usw. Als Arzt kann ich Ihnen ausserdem versichern, dass wir über ganz andere Gesundheitsausgaben reden würden, wenn sich alle ausreichend für ihre Gesundheit bewegen würden.

Welche Sportart können Sie abschliessend allen ans Herz legen, um gesund zu bleiben?
Eine Sportart, die an die eigenen körperlichen und logistischen Möglichkeiten angepasst ist – wobei man stets bedenken muss, dass sich diese Parameter nach jahrelangem Training verändern – und die man wiederholt, mit Freude, möglichst nicht ganz allein und ohne (allzu schlimme) Verletzungen ausübt.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

Weitere Artikel zum Thema Sport & Bewegung