Hirslanden-CEO Daniel Liedtke im Gespräch mit TCS MyMed.
Herr Liedtke, Sie haben turbulente Wochen hinter sich. Was war für Sie als Hirslanden-CEO die grösste Herausforderung?
Die grösste externe Herausforderung war die Abstimmung mit den nationalen und kantonalen Behörden, wobei es gleichzeitig sehr erfreulich war, wie gut die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Spitälern während der COVID-19-Krise funktioniert hat. Wir waren an allen Standorten in den kantonalen Krisenstäben vertreten. Weitere Herausforderungen waren die Medikamente-/Materialbeschaffung und der Abbau von Angst, sich bei einem notwendigen und dringlichen Arztbesuch anzustecken. Und die grösste interne Herausforderung war die laufende Szenario-Planung für den Verlauf der Pandemie und davon abhängig die Steuerung des optimalen Einsatzes von Health Professionals inkl. technischen Ressourcen pro Versorgungsregion sowie das Management der davon abhängigen finanziellen Konsequenzen.
Klinikchefs klagen, man habe in den letzten Wochen wegen dem Operationsverbot Millionen verloren. Ist die Situation wirklich so schlimm?
Vorneweg muss klargestellt werden, dass fast die gesamte Volkswirtschaft aufgrund der Pandemie von wirtschaftlichen Einbussen betroffen ist bzw. sein wird. Nichtsdestotrotz trifft es zu, dass wir aufgrund der Befürchtung vor einer Überlastung der Schweizer Spitäler und auf Anordnung des Bundesrates lange – retrospektiv zu lange – auf nicht dringliche Hospitalisationen von Patienten verzichten mussten. Hinzu kam, dass Menschen sich davor fürchteten, sich im Spital oder beim Arzt anzustecken und sich davor scheuten, auch für notwendige Konsultationen und dringliche Krankheiten die Ärztin oder das Spital zu kontaktieren. Dies hat partiell wahrscheinlich gar zu einer medizinischen Unterversorgung geführt. Bei Spitälern hat dies sicherlich Mindereinnahmen zur Folge gehabt. Nun im Nachhinein ist man immer gescheiter, viel wichtiger für die in die Pandemie involvierten Spitäler ist nun die Vergütung der Vorhalteleistungen, welche zum Glück nicht beansprucht, aber dennoch im Sinne des Gesetzgebers und zum Schutz der Bevölkerung erbracht wurden.
Eine Laienfrage: Hirslanden ist ein guter Kunde bei Pharmafirmen. Die machen nach wie vor Milliardengewinne. Wird von dieser Seite Hilfe angeboten?
Die Pharmaindustrie ist Lieferant für Health Professionals. Wie mit allen Lieferanten haben wir vor, während und nach der Pandemie intensiv verhandelt. Grundsätzlich sind verhältnismässige Gewinne nichts Schlechtes – im Gegenteil, unsere Schweizer Volkwirtschaft profitiert von den Exportleistungen der Pharmaindustrie sehr. Ich habe mir eher wegen des schleppenden Nachschubs Sorgen gemacht.
Hirslanden spannt jetzt mit der Migros-Tochter Medbase zusammen. Was ändert sich für die Patienten?
Hirslanden steht für spezialärztliche Diagnostik und Medizin, während Medbase schweizweit qualifizierte ambulante Hausarztmedizin, Nachversorgung und Prävention anbietet. Die beiden Partner ergänzen sich somit ideal mit ihren Kompetenzen auf dem integrierten Versorgungspfad und rücken mit dem partnerschaftlich organisierten Netzwerk konsequent den Menschen entlang seines gesamten Lebenswegs ins Zentrum. Die nicht exklusive Partnerschaft stärkt und optimiert die wohnortnahe integrierte ambulante und stationäre medizinische Versorgung ganz grundsätzlich – das kommt insbesondere den Patienten zu Gute.
Immer wieder wird Privatkliniken vorgeworfen, es werde in der Schweiz viel operiert – ist die Kritik berechtigt?
Wir dürfen uns «von» schreiben – die Schweiz hat ein ausgezeichnetes Gesundheitswesen. Unser Wohlstand über die letzten Jahre hat uns erlaubt, die Medizin nicht nur fürs Überleben, sondern auch für eine bessere Lebensqualität einzusetzen. Denken Sie z. B. an die schweren Schmerzzustände bei Hüftarthrose – für Betroffene ist eine neue Hüfte ein Segen für ihre Lebensqualität. Selbstverständlich soll vor jedem Eingriff genau geklärt werden, ob es ihn überhaupt braucht. Mit sogenannten interdisziplinären Indikationsboards kann man das Risiko eines Zu-vielen-Operierens deutlich verringern. Genau das ist u. a. eine Massnahme, welche wir gemeinsam mit Hausärzten und Therapeuten von Medbase umsetzen.
Hauptthema im Gesundheitswesen sind die hohen Krankenkassenkosten. Ist in den nächsten Jahren mit grossen Anstiegen zu rechnen?
Nein, ich glaube ein Anstieg wäre unberechtigt, es sind tausende von Eingriffen abgesagt und verschoben worden. Diese kann man in Kombination mit dem laufenden Betrieb nicht in den restlichen Monaten vollständig aufholen. Die Covid-19-Patienten waren zwar medizinisch gesehen im Einzelfall enorm aufwendig, aber im Durchschnitt nicht überaus belastend für die Versicherer. Darüber hinaus haben Versicherer per se Risikobeträge für solche Situation über Jahre zu bilden. Unter diesen Gesichtspunkten sehe ich aktuell keinen Grund für einen Prämienschub.
Es klingt in der aktuellen Situation absurd, doch es gibt die These, dass in den nächsten zehn Jahren rund 30 Prozent der Spitalbetten verschwinden. Ist das realistisch?
Solche Prozentangaben sind willkürlich und möchte ich nicht kommentieren. Hingegen ist klar, dass sich die Medizin in den ambulanten Sektor verschiebt. Das ist ein weltweiter Trend, den wir unterstützen und jetzt schon aktiv gestalten. Dies wird zu einem Abbau der Spitalbetten führen. Hingegen muss wohl nach Covid-19 allen ebenso klar sein, dass es gesunde Spitäler mit Notfallversorgung in der Schweiz braucht und insbesondere die vorgehaltenen Intensivbetten auf keinen Fall abgebaut werden dürfen.
Und wer steht auf der Gewinnerseite, welche Therapiefelder haben am meisten Wachstumspotenzial?
Digital Health und das breite Gebiet der Genomik. In beiden Gebieten stellen wir uns auf. Künftig werden wir deshalb auch Gesundheitsdienstleistungen für gesunde Menschen anbieten, um eine gute Lebensqualität zu erhalten. Dank der Genomik wird es in Zukunft möglich sein, Menschen viel individueller als bisher zu ihrem Lebensstil zu beraten, aber auch im Sinne einer personalisierten Medizin zu behandeln. Wir werden diese Möglichkeiten rasch einem breiten Publikum zugänglich machen, was Verbesserungen der klinischen Ergebnisse und neue präventive Möglichkeiten bringen wird.
Immer mehr Menschen informieren sich vor dem Arztbesuch im Internet. Haben seriöse Gesundheitsplattformen Zukunft?
Ja, Plattformen, die im Sinne des «Patient Empowerment» Menschen nicht steuern und bevormunden wollen, sondern sie befähigen, selbst zu entscheiden, haben Potenzial.
Und wie lässt sich mit einer Gesundheitsplattform Geld verdienen?
Wie definiert sich eine Gesundheitsplattform? Ich denke, Sie sprechen die neutrale Wissensvermittlung zu individuellen medizinischen Fragestellungen an. Grundsätzlich ist die Schweizer Bevölkerung seit Jahrzehnten bekannt, dass sie für qualitativ hohe Dienstleistungen bereit ist, Geld aus dem eigenen Sack auszugeben. Sofern der Fokus auf der Befähigung der Menschen und nicht auf der Steuerung und Bevormundung liegt, könnte ich mir neben dem Selbstzahlermarkt auch sehr gut vorstellen, dass Versicherer solche Plattformen mittragen würden. Darüber hinaus erachte ich es als unsere Pflicht als Gesundheitskonzern, qualitativ hochstehende beratende Angebote anzubieten.
Wo sehen Sie in Zukunft das Potenzial der Telemedizin?
Das Potenzial ist sehr gross. Die Pflege der Patientenbeziehungen und die Patientenorientierung wurden z. B. in der Corona-Krise vor allem durch Telemedizin und digitale Hilfsmittel unterstützt. Die Entwicklung neuer digitaler Angebote in Kombination mit den bestehenden Versorgungsstrukturen wird für viele chronisch kranke Menschen, z. B. mit Diabetes, aber auch mit bestimmten Krebsarten usw., einen grossen Mehrwert leisten. Durch den Einsatz neuer technologisch ausgereifter und fortschrittlicher Applikationen werden wir die betroffenen Menschen in Zukunft noch umfassender, enger und insbesondere zeitlich und örtlich unabhängig betreuen können – auch oder gerade in der digitalen Welt.
Und wo setzen Sie noch Schwerpunkte in Ihrer Arbeit als Konzernchef?
Auch wenn die COVID-19-Pandemie als eine globale Krise mit tragischen Auswirkungen in Erinnerung bleiben wird, ist das Leben mit dem Coronavirus bereits zur neuen Normalität für uns geworden. Vor diesem Hintergrund haben wir bei Hirslanden gezeigt, dass wir in der Lage waren, diese unglaubliche Herausforderung als Team zu bewältigen – mit einer klaren «Can-do-Haltung». Ich bin sicher, dass uns diese Haltung und der ausgezeichnete Ruf befähigt, unseren strategischen Schwerpunkt – nämlich die aktive Mitgestaltung des schweizerischen Gesundheitswesens der Zukunft entlang der physischen und digital integrierten Versorgung eines Menschen, d. h. von der Wiege bis ans Ende des Lebens – erfolgreich umzusetzen.
«Die Schweiz hat ein ausgezeichnetes Gesundheitswesen»
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Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.