Prof. Dr. med. Markus Béchir: Warum trotz Coronavirus operiert werden muss

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Quelle: TCS MyMed

TCS MyMed im Gespräch mit Prof. Dr. med. Markus Béchir, Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin und Leiter des Zentrums für Innere Medizin.

Herr Professor Béchir, derzeit müssen Eingriffe beschränkt werden, die sich auf die Kapazität der Intensivstationen auswirken. Welche Eingriffe können Sie derzeit noch vornehmen?
Vereinfacht lässt sich sagen, dass alle dringlichen Eingriffe weiterhin durchgeführt werden. Dies sind Eingriffe, die für das weitere Leben wichtig sind. Eine Unterlassung in den nächsten drei Monaten würde zu schweren gesundheitlichen Schäden, Invalidität oder sogar zum Tod führen.

Zu welchen Konsequenzen führt eine Unterlassung von chirurgischen Eingriffen?
In dringlichen Fällen bedeutet es, dass sich schwerwiegende gesundheitliche Schäden für den Patienten ergeben. Bei weniger dringlichen Eingriffen kann es dazu führen, dass beispielsweise Schmerzen bei einer schweren Hüftarthrose unter Umständen einfach drei Monate länger ausgehalten werden müssen.

Steigt damit auch das Risiko von notfallmässigen Krankenhauseinweisung in den kommenden Monaten?
Da es im Einzelfall schwierig ist, das Risiko korrekt einzuschätzen, kann es natürlich zu akuten Verschlechterungen oder Komplikationen kommen. In diesen Fällen muss eine sofortige Einweisung zum Wohle des Patienten veranlasst werden. Auf unseren Notfallstationen verzeichnen wir bereits vermehrt Fälle, bei welchen zu lange zugewartet wurde.

Welche zusätzlichen Schutzmassnahmen treffen Sie bei operativen Eingriffen, die stattfinden müssen?
Wir versuchen, alle Corona-Patienten und Verdachtsfälle von den regulären Patienten zu trennen. So gibt es Stationen für Corona-Patienten und Stationen für reguläre Patienten. Auch auf der Notfall- und Intensivstation wird dies so gehandhabt. Das Personal arbeitet nach Möglichkeit ausschliesslich in einem der beiden Bereiche, um Übertragungen zu vermeiden. Alle an unserer Klinik durchgeführten Eingriffe und Interventionen werden von einer interdisziplinären Fachgruppe besprochen und auf die Vorgaben überprüft. Alle Eingriffe müssen von den Verantwortlichen an diesen Triage-Stab angemeldet werden, mit der Angabe der Dringlichkeit. Erst nach Überprüfung dieser Angaben durch den Triage-Stab wird eine Erlaubnis zur Durchführung erteilt. Alle Entscheide werden zur Dokumentation und Nachvollziehbarkeit nur aufgrund schriftlicher Anmeldung vorgenommen, um eine volle Transparenz gewährleisten zu können. Selbstverständlich sind in diesem Triage-Stab vor allem nicht-operative oder interventionell tätige Ärzte, um eine grösstmögliche Unabhängigkeit erreichen zu können.

Ist eine Privatklinik bezüglich ihrer Infrastruktur und den innerbetrieblichen Prozessabläufen überhaupt für die behördlich angeordnete Behandlung von Pandemie-Patienten gewappnet?
Absolut, wir wollen unserer Verpflichtung selbstverständlich nachkommen und müssen als Listenspital sämtliche Anforderungen des Kantons und des Bundes erfüllen. Die Hirslanden Klinik Aarau ist zusammen mit den anderen Zentrumsspitälern KSA und KSB sowie dem Spital Muri zuständig für die intensivmedizinische Betreuung der Coronavirus-Patienten im Kanton Aargau. Die Taskforce der Klinik hat die gesamte Organisation frühzeitig auf die Betreuung von Coronavirus-Erkrankten umgestellt und IPS-Kapazitäten ausgebaut. In den kantonalen Planungen sind wir in die entsprechenden Dispositive integriert. Beispielsweise sind unsere Spezialisten der Infektiologie in den kantonalen Gremien stark präsent.

Wie schätzen Sie als Chef der Inneren Medizin die Problematik einer Ansteckung mit dem Coronavirus in Bezug auf die Herzgesundheit ein?
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Komplikationsrate und die Mortalität des Coronavirus mit der Anzahl Vorerkrankungen eines Menschen steigen. Aus meiner Sicht sind die schwer Lungenkranken, wie Patienten mit COPD oder Lungenfibrose, nebst den Immunsupprimierten die höchste Risikopopulation. Bei der Herzgesundheit kommt es vor allem auf die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislaufsystems an, wenn diese wie bei der Herzinsuffizienz eingeschränkt ist, steigt das Risiko ebenfalls beträchtlich, ist das System gut leistungsfähig, erachte ich das Risiko als geringer. Insgesamt müssen wir uns aber eingestehen, dass wir einerseits Erfahrungen von anderen Erkrankungen zu Rate ziehen und auf Corona anwenden, sowie anderseits das bisherige Wissen und die statistischen Daten über das Coronavirus noch nicht für hoch valide Aussagen qualifizieren.

Wozu raten Sie zurzeit Patienten, die an einer schweren Erkrankung leiden und nicht operiert werden können?
Hier geht es ganz klar um eine Risiko- und Schadensabwägung. Sobald die oben erwähnten potenziellen gesundheitlichen Risiken oder Schäden drohen, meine ich, sollte eine akutmedizinische Versorgung in Betracht gezogen werden. Vielleicht muss auch einmal bedacht werden, dass von den Risikogruppen, also von älteren und lungenkranken Menschen, nach den aktuellen weltweiten Zahlen – auch wenn diese mit Vorsicht zu geniessen sind – 85 bis 90 % überleben. Ich vermute, dass diese Zahlen in der Schweiz sogar noch höher sein werden, haben wir doch eines der besten und leistungsfähigsten Gesundheitssysteme der Welt. Ich bin klar der Meinung, dass wenn ein grosses gesundheitliches Risiko durch eine schwere Erkrankung besteht, der entsprechende Eingriff unter Einhaltung der etablierten Konzepte, Vorgaben und hygienischen Massnahmen nach Möglichkeit durchgeführt werden sollte.

Kommt hier auch die Telemedizin zum Einsatz?
Es kommen alle möglichen Formen von Telemedizin zum Einsatz. Entscheidend ist jedoch der Zugang der Bevölkerung zu solchen Systemen, oft hat vor allem die Hochrisikogruppe der alten Menschen hier nicht die technischen Hilfsmittel, daher wird vieles über das gute, bewährte, klassische Telefon erledigt, was überraschend gut geht, aber leider nur bis zu einem gewissen Masse. In etlichen Situationen ist es einfach wichtig, dass ein Patient «live» untersucht werden kann.

Inwiefern zeigen sich Ihre Patienten in Bezug auf bevorstehende Eingriffe verunsichert?
Interessanterweise ist sich die Situation seit einigen Tagen am Verändern. Zu Anfang herrschte viel Angst, eine Art Schockstarre, alle Eingriffe und Arztbesuche wurden vor allem auch von den Patienten von sich aus abgesagt. Mittlerweile hat sich die Lage etwas entspannt, eine gewisse «Gewohnheit» ist eingekehrt oder die gesundheitlichen Probleme sind grösser geworden, so dass sich ein Arztbesuch nicht mehr aufschieben lässt. Gerade in den letzten Tagen wurden wir mit vielen solchen Anfragen überhäuft. Wichtig zu wissen ist: Wir sind für die Patientinnen und Patienten immer da, erst recht in der «Krise». Aufgrund unserer besonderen Vorkehrungen sind sie bei uns auch während der Pandemie optimal aufgehoben.

Hirslanden Healthline
Die Hirslanden-Gruppe stellt eine telefonische Patienten-Helpline unter der Telefonnummer 0848 333 999 zur Verfügung, an die sich alle Patientinnen und Patienten rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche wenden können, wenn sie Fragen haben oder medizinische Hilfe benötigen.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

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