Fabian Vaucher ist Präsident des Schweizerischen Apothekerverbands pharmaSuisse. Ein Gespräch mit TCS MyMed.
Herr Vaucher, die Nachfrage nach Schutzmasken dürfte in den kommenden Wochen steigen. Geht pharmaSuisse davon aus, dass es zu Engpässen kommt?
Ja, die Nachfrage ist riesig, der Engpass ist bereits da. Natürlich möchten wir in erster Linie gefährdete Personen mit Schutzmasken ausrüsten. In vielen Apotheken fehlen aber sogar Schutzmasken für den Eigenbedarf. Die Zuständigkeiten bei der Beschaffung und Zuteilung von Masken sind absolut unklar. Seitens Bund fehlt eine klare Strategie, wie gefährdete Personen zu Masken kommen sollen. Die Situation droht aus dem Ruder zu laufen.
Welche Medikamente sind derzeit in Apotheken und Drogerien besonders gefragt?
Im Moment stehen Masken und Desinfektionsmittel besonders hoch im Kurs. Auch Fiebermesser werden sehr stark nachgefragt. Die Hamsterwelle bei Medikamenten für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder leichten Grippesymptomen hat sich zum Glück etwas gelegt. Hier hat der Bund rechtzeitig den Riegel geschoben: Bei vielen Medikamenten wurde die Bevorratung sinnvoll limitiert, damit all diejenigen die Medikamente erhalten, die sie wirklich benötigen. Diesen Appell an den Solidaritätsgedanken haben die Apothekenteams der Bevölkerung gut erklären und umsetzen können.
Wann bieten Schweizer Apotheken und Drogerien einen Corona-Schnelltest oder Antikörper-Test an?
Wir hoffen, dass möglichst bald ein geprüfter und verlässlicher Antikörpertest zur Verfügung steht. Noch ist unklar, welche Antikörper und in welcher Konzentration diese Antikörper verlässlich vor einer weiteren Ansteckung schützen. Es gilt noch abzuwarten bis die offenen Fragen der Immunität beantwortet werden. Fest steht: Als erste Anlaufstelle im Gesundheitswesen sind Apotheken und Drogerien prädestiniert für Testdienstleistungen – und die Apotheken übrigens auch fürs Impfen, sobald ein Impfstoff da ist.
Als ich vor vier Wochen das Schmerzmittel Dafalgan kaufen wollte, erhielt ich es in der Apotheke nicht mehr – auch Desinfektionsmittel ist noch heute knapp. Warum ist es in der Schweiz so weit gekommen?
80 Prozent aller Medikamente und Wirkstoffe werden nicht mehr in der Schweiz oder in Europa, sondern in China oder Indien hergestellt. Ich hoffe, dass die Politik nach der Corona-Pandemie bereit ist, über Lieferketten und Lieferengpässe der Medikamente ernsthaft zu diskutieren und zielführende Massnahmen umgesetzt werden. Da muss man dann auch transparent über Preise reden können: Viele Medikamentenpreise sind heute staatlich viel zu billig angesetzt und die Herstellung kann deshalb nicht mehr in der Schweiz oder Europa erfolgen. Das Billigstprinzip hat zu Einsparungen geführt, die wir nun mit der kritischen Versorgungssicherheit und einer noch nie dagewesenen Auslandsabhängigkeit bezahlen.
Konnte man die Engpässe mittlerweile beheben?
Nein, Lieferengpässe sind ein latentes und zunehmend besorgniserregendes Thema. 2019 fehlten während des ganzen Jahres insgesamt über 3200 verschiedene Medikamente. Anstelle des kurzsichtigen Billigstprinzips, welches viele Hersteller aus dem Schweizer Medikamentenmarkt vertreibt und die Versorgungsprobleme verschärft, fordert pharmaSuisse eine umfassende nationale Strategie in der Gesundheitsversorgung mit Rahmenbedingungen, die eine nachhaltige und gute Arzneimittelversorgung gewährleisten. Die Corona-Pandemie zeigt uns klar auf: Medikamente sind keine normale Handelsware und benötigen spezielle Regulierungen punkto Anwendungssicherheit, aber eben auch Versorgungssicherheit.
Hamstern ist falsch, doch welche Medikamente sollte man immer zu Hause haben?
Die nächste Apotheke ist nicht weit und die persönliche Beratung garantiert eine wirkungsvolle und sichere und vor allem individuell abgestimmte Therapie der wichtigsten Symptome. Ich bin deshalb kein Freund des Medikamentenhortens. Ein fiebersenkendes Schmerzmittel, ein Magen-Darm-Mittel, Wunddesinfektionsmittel und eine Heilsalbe, und dann je nach Anfälligkeit der Mitbewohnenden auch Nasenspray, Augentropfen, Antiallergika und sicher etwas Verbandsmaterial, ein Fiebermesser und eine Kühlpackung im Eisfach dürften eine sehr gute Grundausstattung sein.
Müsste man in Zukunft Schweizer Pharma-Firmen, die zum Teil zweistellige Milliardengewinne erzielen, mehr in die Pflicht nehmen? Also beispielsweise dazu verpflichten, in der Schweiz zu produzieren?
Zulassungsinhaber müssen verpflichtet werden, schneller und detaillierter über sämtliche nicht verfügbaren kassenpflichtigen Medikamente zu informieren: Handelt es sich um ein Vertriebsproblem, weshalb wurde das Medikament aus dem Markt genommen oder ist es ein effektiver Medikamentenengpass? Zudem müssen sie die Pflichtlagerhaltung erweitern mit deutlich mehr Medikamenten von hohem therapeutischem Wert oder ohne Substitutionsmöglichkeiten. Lieferengpässe sehen wir aber vor allem bei den nicht patentgeschützten Medikamenten, also den Generika, für die nur geringe Gewinnmargen möglich sind. Hier macht es Sinn, Auflagen in Bezug auf die grössere Lieferantenvielfalt oder eine Lokalisation der Produktionsstätten zu überlegen. So könnte schneller und besser auf einzelne Produktionsausfälle reagiert werden. Klar ist, dass dies höhere Medikamentenpreise bedeuten würde. Die Versorgungssicherheit wird einen Preis haben, genau wie in der Landwirtschaft.
Präsident des Apothekerverbands warnt: «Die Situation droht aus dem Ruder zu laufen!»
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