Notfallprofessor im Coronavirus-Interview: Wie schlimm wird es wirklich?

Bild
Quelle: TCS MyMed

Prof. Dr. med. Aristomenis Exadaktylos ist Chefarzt und Direktor des universitären Notfallzentrums am Inselspital und Co-Präsident der schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin.

Herr Professor, auf den Strassen Englands sieht man zurzeit Aushängeschilder wie «where there is soap, there is hope» («wo es Seife gibt, gibt es Hoffnung»). London geht im Kampf gegen das Coronavirus einen anderen Weg: Die Regierung setzt auf die umstrittene Immunisierung. Kann das funktionieren?
Das Vereinigte Königreich hatte schon immer eine sehr spezielle Gesundheitsversorgung, den sogenannten National Health Service (NHS), welcher eine Art staatliche Krankenversicherung darstellt und auf die gleichmässige und kostengünstige Versorgung der Masse setzt, bei im Vergleich zur Schweiz niedrigen Krankenkassenkosten. Für die Inselbewohner stimmt das so. Eine gezielte «Durchseuchung» ist hoch riskant und ist wie, als wenn man einen Waldbrand mit einem Gegenfeuer bekämpft. Dafür braucht es sehr viel Erfahrung und diese haben wir in der Schweiz nicht. Aber im Moment scheint sich der Wind auch dort zu drehen, wie ich in den Zeitungen lese.

In Italien erkranken viele Rettungssanitäter und fallen wochenlang aus. Macht Ihnen das als Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin Sorgen?
Absolut. Wenn wir an der Front ausfallen, wer soll sich dann kümmern. Und unseren Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern gilt meine grosse Hochachtung.

Nach welchem Verfahren wird entschieden, wer an eine Beatmungsmaschine darf, wenn sich die Lage weiter zuspitzt und die vorhandenen Kapazitäten nicht mehr für alle Patienten ausreichen?
Ich hoffe nicht, dass wir irgendwann an einen Punkt kommen müssen, Menschen, welchen wir helfen könnten, diese zu versagen. Dies wäre eine riesige Tragik und ein Armutszeugnis für unsere reiche Schweiz. Wir richten uns nach den hohen ethischen Standards unserer medizinischen Standesorganisationen. Die Solidarität unter den Spitälern ist gross und wir werden alles Menschenmögliche machen, um allen Erkrankten zu helfen.

Wird das Coronavirus künftig in Form der bestehenden Grippesaison jedes Jahr wiederkehren?
Werden wir Ostern mit Freunden und Familie feiern können? Ich kann es zurzeit leider nicht beantworten.

In welchem Rahmen würden Sie das Gesundheitssystem nach der Corona-Krise ausbauen und verändern wollen, damit wir in Zukunft besser gewappnet sind?
Geld ist nicht alles und die öffentlichen Spitäler als Rückgrat der Versorgung der Bevölkerung in Notlagen müssen wieder gestärkt werden. Auf dem Land und in der Stadt.

Sollten wir in Zukunft auf den Bau von nationalen Infektionskrankenhäusern setzen, um das Schweizer Gesundheitssystem und die Wirtschaft vor einem erneuten Virus-Shutdown zu schützen?
Wir müssen die öffentlichen Ressourcen parat haben, reine «Seuchenspitäler» helfen nicht immer. Alle Spitäler müssen auf Notlagen vorbereitet sein, und Forschung und Ausbildung müssen unterstützt werden.

Laut dem Tessiner Infektiologen Christian Garzoni gelangen zunehmend auch junge Erwachsene mit schweren Corona-Symptomen auf die Intensivstationen und müssen künstlich beatmet werden. Teilen Sie diese Beobachtung?
Nein, im Moment hat uns die «Welle» aus dem Süden noch nicht erreicht. Diese Antwort kann ich eventuell in circa zwei Wochen beantworten.

Verwenden Sie diese Informationen nicht als alleinige Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Fragen Sie bei gesundheitlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Apotheker. Surfen im Internet ersetzt den Arztbesuch nicht.

Weitere Artikel zum Thema Corona, Reisenews