Patienten sind mehr als nur ihre Krankheit

integrative Medizin


Therapie

Quelle: TCS MyMed


Professor Pierre-Yves Rodondi, Leiter des Instituts für Hausarztmedizin an der Universität Freiburg und schweizweiter Vorreiter im Bereich der integrativen Medizin, spricht bei einem Kolloquium der Vereinigung der im Bereich Psychosomatik tätigen Ärztinnen und Ärzte Association romande de formation en médecine psychosomatique et psychosociale (ARFMPP), die bei der Behandlung chronischer Schmerzen einen integrativen bzw. ganzheitlichen Ansatz verfolgt und dafür Schul- und Alternativmedizin verbinden möchte.

Die klassische Schulmedizin wird immer offener für verschiedene alternativmedizinische Verfahren. Den Ärzten ist mittlerweile klar, dass sie zum Wohle der Patienten verschiedene Behandlungsmöglichkeiten und Therapieansätze ausprobieren sollten, und sie tun dies auch. Daher setzen die Ärzte heute manchmal auch auf chinesische Medizin, Hypnose, Massagen oder sogar Schamanismus, um ihre Patientinnen und Patienten auf dem Weg zur Heilung voranzubringen.

Im Rahmen einer Weiterbildungsveranstaltung der ARFMPP zu diesem für Mediziner doch recht heiklen Thema stellte Professor Pierre-Yves Rodondi als Praxisbeispiel eine seiner Patientinnen vor, die unter chronischen Schmerzen litt, die einfach nicht besser wurden.

Aus Sicht des Mediziners muss man an chronischen Schmerz, der ebenso viele Ausprägungen wie Ursachen haben kann, äusserst behutsam herangehen, und auch die Behandlung sieht der Arzt als heikle Angelegenheit. Das Beispiel, das Prof. Rodondi hier gibt, zeigt sehr schön, wie komplex das Thema ist: Die 40-jährige Patientin kommt wegen hartnäckiger chronischer Schmerzen zum Arzt, die sich auf verschiedene Weise äussern. Die depressive Frau hat laut eigener Aussage «immer und überall Schmerzen», sie «kann nicht mehr», weiss nicht mehr, «was sie tun soll» und scheint vom Arzt das «Wunder» zu erwarten, dass er die Schmerzen, die ihr das Leben seit mehreren Jahren zur Hölle machen, im Nu heilen kann. Eine ganz schöne Herausforderung!

Wie geht man am besten an einen solchen Fall heran? Bei der Anamnese ergibt sich das Bild einer Frau, die bereits mehrmals operiert wurde, an mehreren Stellen Schmerzen hat und gegen fast jedes ihrer zahlreichen Symptome ein anderes Medikament nimmt. Sie leidet und steht kurz vor einem Zusammenbruch. Hier kann die Schulmedizin nicht mehr weiterhelfen.

Aber da die Patientin ganz offensichtlich schnelle Linderung erwartet, wird ihr zunächst ein Antidepressivum verschrieben, das gegen die Schmerzen helfen soll. Dieses Medikament hilft allerdings nur kurz, dann lässt die Wirkung wieder nach. Aber zurück zur Ausgangsfrage. Je länger die Behandlung dauert, desto mehr erfährt der Arzt über seine Patientin. Einmal vertraut sie ihm im Gespräch an, dass sie schon lange arbeitslos ist. Sie hat schon sehr früh angefangen zu arbeiten, da sie aus schwierigen familiären Verhältnissen kommt und daher möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen wollte. Der Arzt geht daher von nun an verstärkt auf die psychosomatische Seite ihrer Schmerzen ein und überweist sie an eine sogenannte «Körperpsychiaterin», eine Spezialistin für Körperpsychotherapie.

Nach und nach lässt die Patientin zu, dass die Spezialistin sie während der Behandlung unter Hypnose auch sanft massiert, obwohl sich die Patientin vorher nie berühren lassen wollte. Der Zustand der Patientin verbessert sich zunächst ungefähr ein Jahr lang, bevor dann keine Fortschritte mehr zu verzeichnen sind. Der Arzt führt dies auf ein Trauma aus der Vergangenheit zurück, unter dem die Patientin bis heute stark leidet, da sie dafür nie in psychiatrischer Behandlung gewesen ist und dies auch nicht will.

Daher erhofft man sich von einer neuen Behandlungsmethode weitere Fortschritte, der sogenannten «Wiederherstellung des energetischen Gleichgewichts». Die Patientin bekommt Akupunktur verschrieben. Dadurch bessert sich ihr Zustand noch ein wenig mehr, diesmal für zwei Jahre. Und nachdem sich die Patientin jetzt sowohl geistig als auch körperlich besser und stärker fühlt, erklärt sie sich auch bereit, mit einem Psychiater zu sprechen. Bei den Sitzungen stellt sich heraus, dass ihre schwierige Kindheit der Auslöser für all ihre Probleme war. Von dieser Last kann sie sich jetzt befreien. Die Schmerzen werden bedeutend besser und die Patientin fühlt sich deutlich ruhiger und kann jetzt gelassener auf ihre Vergangenheit zurückblicken.

Um das zu erreichen, waren ganz unterschiedliche Therapieansätze notwendig, manche aus der Schulmedizin und andere, die eher aus dem Bereich der Alternativmedizin stammen. Hauptsache, das Endergebnis stimmt. Am Ende eines schmerzhaften Weges hat die Patientin jetzt Qi Gong für sich entdeckt und praktiziert es regelmässig. Dadurch gewinnt sie langfristig wieder an Lebensqualität. Sie hat ihr Leben wieder im Griff und kann sich jetzt selbst helfen, wie ihr Arzt sagt.

Die verschiedenen Schritte und ein unmerkliches Zusammenwirken der Disziplinen, wie in diesem Fall – darin liegt die wahre Stärke der integrativen Medizin. In der integrativen Medizin kommt es laut Professor Pierre-Yves Rodondi darauf an, «eine Verbindung zwischen Körper, Geist und Seele herzustellen und bei der Schmerztherapie zur Ursache vergangenen Schmerzes zurückzukehren. »

Ist die integrative Medizin eine «Allzweckwaffe»? In der integrativen Medizin spielt die Anamnese eine wichtige Rolle dabei, mögliche Ursachen für den Schmerz zu finden. Darüber hinaus nimmt das Zuhören eine zentrale Rolle ein und in der integrativen Medizin ist man offen für unterschiedliche Therapieansätze, die sich mit dem Körper des Patienten, aber auch mit seiner Psyche, Körperpsyche, Energie und Spiritualität befassen.

Das ist Kern und Zweck der integrativen Medizin: Der Patient wird nicht einfach nur als «Kranker» betrachtet, sondern ganzheitlich, in all seinen Facetten. Im Idealfall lernt der Patient, begleitet von einem Spezialisten, der ihn betreut und ihm hilft, wie er sich später selbst helfen kann. Das ist die wissenschaftliche Antwort auf die Frage, die sich die Patienten am Anfang der Behandlung stellen, nämlich, wie sich ihre Schmerzen «wegzaubern» lassen.


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